Jahrelang ist der Wunsch gereift. Monatelang habe ich trainiert. Stundenlang war ich unterwegs. Um am Ende was zu erreichen? Das Ziel des IRONMAN Austria 2016 und eine einfache Erkenntnis: Die wirklich wichtigen Erfolge – sind die Siege über sich selbst.

Von Axel Rabenstein


Die Knöchel schmerzen. Der Rücken zwickt. Die Sonne blendet mich. Wenigstens hat die Wadenmuskulatur vorübergehend das Wehklagen eingestellt, aber dafür gerät so langsam meine Willenskraft ins Taumeln. Ich kämpfe noch einen Kilometer dagegen an. Dann muss ich stehenbleiben. Und weitergehen – statt laufen.

Die letzten beiden Labe-Stationen habe ich kaum was runtergekriegt, weder ein Gel noch meinen Puls. Und nach 25 Kilometern im abschließenden Marathon des IRONMAN Austria reichen Wassermelone, Orangen und Cola offenbar nicht mehr aus, um meinen Energiebedarf zu decken. 6 Kilometer hatsche ich wie ein Roboter vor mich hin. Linkes Bein, rechtes Bein. Mehr scheint in meinem Kopf nicht mehr vor sich zu gehen. Minutenlang bewege ich mich durch mentales Niemandsland und versuche, mich damit abzufinden, bis ins Ziel zu gehen.

Aber – das möchte ich nicht! Ich will noch einmal loslaufen, muss irgendwie meinen Körper überrumpeln; so, wie man ein liegengebliebenes Auto anschiebt und mit einem Ruck den zweiten Gang einlegt. Und mein Plan geht auf: Bei Kilometer 31 springt doch tatsächlich der Motor wieder an!


WEIL ICH ES WILL
An den zwei Labestationen zuvor hatte ich mehrere Becher Cola getrunken, ein halbes Gel runter gewürgt, und mir immer wieder vor Augen geführt, dass mich niemand dazu gezwungen hat, diesen IRONMAN zu bewältigen. Sondern, dass ich es tue – weil ich es will. Und zum ersten Mal seit Stunden kann ich lächeln. Es ist ein Geschenk, denke ich mir, so gesund und fit zu sein, dass ich einen solchen Tag erleben darf. Und die Aussicht, das Ziel in etwa einer Stunde zu erreichen, schiebt mich Schritt für Schritt nach vorne. Aus Selbstvertrauen wird Euphorie.

Nach quälend langen 4:52 Stunden auf der Marathonstrecke passiere ich den roten Teppich und höre diese Worte, die nichts als heiße Luft im lauen Kärnten sind – und mir in diesem Augenblick dennoch die Welt bedeuten: „Axel ... you are an Ironman."

„SAURE BEINE" AM RAD
Um 7 Uhr früh springe ich mit 2.900 anderen Triathleten ins türkisblaue Wasser des Wörthersees. Nun gilt es, die Aufregung hinter sich zu lassen und sich langsam, aber sicher in Trance zu schwimmen, um die 3,86 km möglichst unaufgeregt zu bewältigen. Ich versuche, wenig zu denken und meinen Atem zu beruhigen, folge den Luftblasen anderer Schwimmer und freue mich über jede Boje, die vor mir im Blickfeld auftaucht.

Der letzte Kilometer im Lendkanal ist psychologisch angenehm, weil man theoretisch stehen könnte. Aber es staut sich ein wenig, weil einige der Schwimmer zunehmend an Tempo verlieren. Schließlich steige ich nach 1:11 Stunden aus dem Wasser. Erster Teil – erledigt!

Auf dem Rad komme ich gut ins Rollen, an den Anstiegen zum Faaker See und am Rupertiberg muss ich aus dem Sattel, in der ersten Runde über 90 km macht das noch Spaß. In der zweiten Runde ist es weniger unterhaltsam. Ich spüre, dass meine Beine sauer sind und denke an den anschließenden Marathon. Keine gute Idee. Ich konzentriere mich lieber wieder voll und ganz auf das Beenden der 180 km langen Radpartie, was mir nach 6:20 Stunden endlich vergönnt ist.

Video: Highlights vom IRONMAN Austria 2016


6 KM IM GEH-MODUS

Ich besuche mit großer Freude ein Dixie-Klo in der Wechselzone, nehme noch ein Gel in die Hand und laufe los. Die ersten Kilometer ziehen sich. Und es wird nicht besser. Mittags hatte es geregnet, nun ist es ein schwülwarmer Nachmittag. Ich habe das Gefühl, immer schwerer Luft zu kriegen. Mein Puls scheint ziemlich hoch zu sein, was ich mit aufgelegter Hand auf der Brust erfasse, weil ich leider nicht klug genug war, mir doch noch eine Pulsuhr zuzulegen. Bei Kilometer 25 ist vorerst Schluss. Ich muss stehenbleiben, kann 6 km nur gehen, nicht mehr laufen.

Ob es der Mangel an Kohlenhydraten war oder doch nur Kopfsache, vermag ich im Nachhinein nicht zu sagen. Aber das verschwimmt rückblickend ohnehin zu einer Nichtigkeit. Weil ich am Ende mein Ziel erreiche – und nach 12 Stunden 39 Minuten meinen ersten Triathlon über die Langdistanz absolviert habe!


Das alkoholfreie Bier schmeckt überragend. Noch besser der Kuss meiner Freundin. Später will ich in einem Restaurant in Velden einen Grillteller verspeisen, bin aber so fertig, dass ich mir das Essen einpacken lassen muss und es erst am nächsten Morgen kalt aus dem Kühlschrank verzehre.

DER KREIS SCHLIESST SICH
Bleibt die Frage, ob es sich gelohnt hat. Ich kann es nur mit einem lauten „Ja" beantworten. Es war ein gutes Gefühl, monatelang so fokussiert auf ein Ziel hinzuarbeiten. Sich immer wieder zu überwinden. Aus dem Bett zu quälen oder vom Sofa zu schälen.

Ich denke, dass mich dieser IRONMAN ein wenig verändert hat. Vor 10 Jahren hatte ich für SPORTaktiv ein Interview mit Faris Al-Sultan geführt, dem Sieger des IRONMAN Hawaii von 2005. Damals schien es mir unvorstellbar, solche Distanzen am Stück zu bewältigen. Ein Jahrzehnt später schließt sich der Kreis – plötzlich bin ich selbst ein Teil dieses Zirkels hartgesottener Ausdauersportler.

Die Tage nach dem IRONMAN Austria hatte ich das Gefühl eines inneren Leuchtens. Natürlich habe ich auch die Glückwünsche von Kollegen, Freunden und Bekannten gerne entgegengenommen. Aber die Anerkennung der anderen war mir nicht so sehr von Bedeutung – wie der Blick in den Spiegel. Im Bewusstsein, mich selbst besiegt zu haben. Meine Selbstzweifel. Und meine eigene Schwäche.

"Ironman in Kürze" Axel Rabenstein / Bild: KK

Der Eisenmann

AXEL RABENSTEIN (Jahrgang 1975) liefert seit ­vielen Jahren für SPORT­aktiv Interviews von Weltklassesportlern. Jetzt machte er sich selbst in Klagenfurt zum IRONMAN – und erzählt hier die Geschichte eines fast 13-stündigen Erlebnisses zwischen Leiden und Euphorie.


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