Ein Grazer radelte in einem Jahr mehr als die meisten Menschen in einem ganzen Leben. 38.000 Kilometer und 20.000 davon auf der Walze im Keller. ­Warum? Weil es einfach Spaß macht. 

Georg Michl

Einen Angeber würden seine Freunde in Südafrika 1000 Meter gegen den Wind erkennen. „Die Afrikaner haben eine ganz andere Menschenkenntnis. Sie sehen dein wahres Ich“, sagt er. Und er will kein Angeber sein. Schon gar nicht wegen der 38.008,5 Kilometer, die er im Jahr 2020 auf dem Fahrrad absolviert hat. Die sollen auch nicht das zentrale Thema dieser Geschichte sein. „Sonst machen wir sie nicht“, sagt er. Als „Zebra 737 [RCGG]“ fährt er auf Zwift und gut 20.000 Kilometer seines Jahrespensums hat er im Keller seines Hauses abgespult. „Auf Zwift bekommt man schneller Kilometer zusammen, aber die empfundene Anstrengung ist viel höher. Jeder, der einmal acht Stunden im Keller ausgeronnen ist, weiß, wovon ich rede“, sagt er und lacht. Er radelt nicht in einem dieser chicen „Pain Caves“, die in sozialen Netzwerken für Likes sorgen. Rollentrainer samt Setup stehen in einem gewöhnlichen Keller ohne Klimaanlage oder Ventilator. Ein Untergeschoß mit dem üblichen Zeug, das man nicht jeden Tag braucht. Lieber würde er aber ohnehin nur draußen fahren, doch beim Kälteempfinden sei er eben noch ein „Afrikaner“. 
 

Mehr als ein Sport: Grazer radelte 38.000 Kilometer in nur einem Jahr

13 Jahre hat er mit seiner Familie in Südafrika gelebt. Gearbeitet hat er im Headoffice eines Einzelhandelsunternehmens in Durban und Johannesburg, die Geschäfte waren fast alle in den Town­ships, aber das Haus steht am südlichen Ende des Krüger-Nationalparks. In einem „Kuhdorf“ wie er es nennt. Nach dem Studium in Florida samt College-Basketball hat ein Praktikum die Liebe zum afrikanischen Kontinent geweckt. „Afrika ist rau, aber liebevoll. Es ist ein Land voller Gegensätze und diese zu verbinden und zu überbrücken hat mich fasziniert.“ Und auch die Menschen haben es ihm angetan. „Im Vergleich zu Europa haben die Menschen in Afrika ein hartes Leben und Monat für Monat Schicksalsschläge zu überwinden. Aber dort habe ich gelernt, dass es nicht wichtig ist, wie hart du zuschlägst, sondern wie schnell du wieder aufstehen kannst.“ Niedergestreckt hat ihn der Lebenswandel eines Workaholics. Der Erfolg im Beruf zog ihn in einen Sog. „Je mehr Erfolg du hast, desto motivierter wirst du. Aus acht Stunden am Tag werden neun, zehn, vierzehn. Irgendwann habe ich Unmengen Cola getrunken, um den Tag zu schaffen und später habe ich mit dem Rauchen angefangen. Wenn du jung bist, fühlst du dich unbesiegbar.“ Auf dem Nachhauseweg von einer Filial­eröffnung kam dann die Rechnung. „Ich hatte eine Panikattacke und gedacht, dass ich sterbe.“ Ein Gespräch mit dem Arzt in seinem Dorf riss ihn endgültig aus seinem Trott. „Er sagte: Thomas, du hast körperlich nichts. Aber du solltest dir Gedanken um deine Zukunft machen. Wenn du so weitermachst, wird ein anderer Mann mit deiner Frau dein Geld ausgeben.“   

Der Prozess einer Veränderung trat ein. Er hat in der Firma Leute eingestellt, die ihn entlastet haben, und sich ein Fahrrad gekauft. „Ich wollte Bewegung, Sport und auch die sozialen Erlebnisse wieder in meinem Leben zurückhaben.“ Im Sport seien die Menschen aufgrund einer gemeinsamen Leidenschaft zusammen, im Beruf sei dem nicht so. „Da ist oft jemand freundlich zu dir, weil er was braucht.“ Gebraucht hat er damals ein Rad. „Im nächsten größeren Ort habe ich mir eines angesehen und beim zweiten Besuch habe ich es mitgenommen.“ Die erste Ausfahrt führte ihn zum Eingangstor des Krüger- Nationalparks. „Ich bin 18 Kilometer gefahren und als ich zu Hause war, hatte ich das Gefühl, die Tour de France gewonnen zu haben. Danach konnte ich mich aber drei Tage wegen Spatzen nicht bewegen.“ Das war vor knapp vier Jahren. Dass er nur drei Jahre später in einem Jahr 1187 Stunden auf dem Rad sitzen würde, hätte er sich da nicht gedacht. 

Die Rückkehr nach Österreich war ein einschneidendes Erlebnis und die Zeit auf dem Rad in der Natur half. „Ich bin alleine Rad fahren gegangen, um meine Gedanken zu sortieren“, erzählt er, „dabei habe ich immer wieder Leute getroffen und auf Strava habe ich gesehen, dass viele zusammen in Gruppen fahren. Das wollte ich auch.“ Über den Vater eines Schulkollegen des Sohns hat er eine Gruppe von Radfahrern kennengelernt und hat sie mit dem Mountainbike begleitet. „Das waren die RCGG Jungs, eine Gruppe von sportinteressierten Damen und Herren, an deren Werte, sozialen Einstellungen und sportlichen Ambitionen ich mich gerne angeschlossen hätte.“ Bis zum ersten Rennrad hat es aber noch gedauert. „Die Jungs haben mir dann von einem Radrennen in Tirol erzählt. Sie waren angemeldet und ich sollte doch auch mitmachen – es wird ein Spaß.“ Richtig. Es war der Ötztaler. Die Anmeldung war zwar schon geschlossen, doch seine Tochter machte ihn auf ein Preisausschreiben von Trek aufmerksam und er hatte Glück. 2019 stand er tatsächlich am Start. „Meine Freunde haben mir erklärt, dass ich für den ein Rennrad brauche“, erzählt er und lacht, „eine Woche vor dem Ötztaler ist es gekommen und ich bin vor dem Rennen 150 Kilometer damit gefahren.“ 10:21 Stunden hat er für den Klassiker über rund 250 Kilometer dann gebraucht und er wollte mehr. „Vor allem, weil mir die Burschen so getaugt haben. Sie haben was zusammen gemacht, das sie freut, und Spaß gehabt. Im Leben geht es doch immer um Menschen und ihre Geschichten“, sagt er und fügt an: „Gemeinschaften wie unser Verein haben in Zeiten, in denen sich die Menschen immer mehr ins Digitale entwickeln, einen enorm hohen Wert. Zusammen Rad zu fahren, Spaß zu haben, vielleicht auch einmal ein Eis zu essen und gemeinsam zu lachen, hat mir extrem viel gegeben.“  

Gemeinschaften wie unser Verein haben in Zeiten, in denen sich die Menschen immer mehr ins digitale entwickeln, einen enorm hohen Wert.

Thomas
Mehr als ein Sport: Grazer radelte 38.000 Kilometer in nur einem Jahr

Im Winter stand das Rad im Keller und er ging zum Spinning in das Fitnessstudio. „Ich habe aber auf Strava gesehen, dass alle in irgendwelchen Welten herumfahren, und habe einmal nachgefragt.“ Kurz darauf stand ein Smarttrainer im Keller und es ging los. Eigentlich wollte sich der Grazer für den Ironman Austria vorbereiten. „Wieder so eine Schnapsidee“, sagt er lachend. Doch da machte ihm Corona einen Strich durch die Rechnung. „Ich kann zwar relativ gut laufen, aber es war immer eine Plagerei. Radfahren machte mir Spaß und ich habe in Südafrika gelernt, dass man sich auf das Positive konzentrieren soll. Dann ist das Leben viel lustiger und angenehmer.“ Bald war er bei zwei bis drei Einheiten am Tag. „Das geht alles nur, wenn du ein gutes Zeitmanagement hast“, erzählt er. „Ich bin nicht auf den sozialen Medien, schaue kaum fern und habe keine Stehzeiten – ich vertue keine Zeit.“

So gehen sich auch täglich im Schnitt mehr als 100 Kilometer aus – neben Familie, Arbeit, Studium und dem Aufpäppeln von verletzten Eichhörnchen. „Ohne eine sehr verständnisvolle Frau und meine Kids, die mir beim Versorgen der Eichhörnchen und Hunde helfen, geht das nicht“, sagt er, „sie hat mich sehr unterstützt. Man unterschätzt, wie viel Wäsche man braucht und wie viel man essen muss ... Zudem kann ich mir meine Arbeit sehr gut einteilen.“ Vorlesungen hat er sich online auf der Walze angehört, geschäftliche Telefonate mit Südafrika beim Training geführt. „Ich habe den Leuten gesagt, dass ich nebenbei was für meinen Körper tue und deswegen so schnaufe. In Österreich verstehen das wenige Leute, aber die Afrikaner sind da viel toleranter, akzeptieren das. Solange man seine Leistung bringt, ist es egal.“

Die ersten Monate des Jahres 2020 hat er noch nicht so auf die Statistik geschaut. Drei Mal ist er mit Freunden auch jeweils an einem Tag von Graz nach Grado geradelt – einmal davon sogar über Marburg. Dass sich der 400er ausgeht. Aber im November war dann der Ehrgeiz geweckt und „im Dezember wollte ich wissen, wo ich im Vergleich mit anderen stehe“. 6500 Kilometer sind es in den letzten 31 Tagen des Jahres geworden. „Da musste ich schon an und über meine Grenzen gehen. Ich habe immer damit gerechnet, dass mein Körper sagt: aus! Aber ich habe anscheinend die richtige Balance gefunden.“ Ob er es wieder machen würde? „Natürlich. Wenn der Spaß deine grundlegende Motivation ist, dann geht es auch langfristig gut. Der lange Atem ist das Erfolgsrezept für langen Erfolg“, sagt ­Thomas Schmuck.