Olympiasieger von Peking, Gesamtweltcupsieger 21/22 – sportlich ist Marco Odermatt zuletzt voll abgehoben. Menschlich ist der Schweizer am Boden geblieben, ­einfach ein guter Typ: Im Interview über gestrige ­Erfolge, Skifahren als Freizeitsport – und einen ­Unterschied zu Marcel Hirscher.

Christof Domenig
Christof Domenig

Stimmt es, dass dein Vater jeden Einzelnen deiner Skitage seit Kindheit notiert?
Ja richtig, das hat er ganz früh angefangen. Ursprünglich deshalb, weil er im Regionalteam auch für die Sponsoren verantwortlich war und damit einmal aufzeigen wollte, wie viel Zeit man auf den Skiern steht, was eine junge Karriere Eltern kostet. Er schreibt bis heute mit und fragt mich zum Beispiel nach Trainingscamps, was und wie viel ich trainiert habe. 

Dein Vater, deine Eltern haben offenbar eine große Rolle in deinem sportlichen Werdegang gespielt?
Auf alle Fälle. Ich glaube, bei jedem jungen Athleten spielen die Eltern die größte Rolle. Ohne sie würde nichts funktionieren, man würde nicht am Morgen aufstehen, zum Training fahren und vieles mehr. In jungen Jahren kam die größte Unterstützung sicher von meinen Eltern. 

Hast du eine spezielle, prägende ­Erinnerung ans Skifahren deiner Kindheit?
Gute Frage: Ich bin einfach immer gern Ski gefahren, war immer gern draußen, bin auch sehr gerne Rennen gefahren – und deshalb ging es dann immer weiter.

Bis zu deiner Supersaison letzten Winter ... Wie stark haben die ­Erfolge, der Olympiasieg und Gesamtweltcupsieg, dein Leben verändert?
Mich als Person sehr wenig, würde ich sagen. Trotzdem sind natürlich viele Sachen ein wenig anders geworden. Das Interesse an meiner Person hat sehr stark zugenommen und das hat gewisse Situationen, auch Ruhetage erschwert. Mittlerweile gibt es wenige Tage, an denen ich nicht angesprochen werde, vor allem in den Skiregionen wie Saas-Fee, Zermatt, St. Moritz; bei mir zu Haus sowieso. Da ist der Bekanntheitsgrad definitiv zu groß, um ungesehen durchzukommen.

Wie gehst du damit um – mit ­Fotowünschen zum Beispiel?
So locker wie möglich. Ich habe gelernt, auch einmal Nein zu sagen. Wenn es wirklich nicht passt, zum Beispiel beim Abendessen mit meiner Freundin: Da muss man nicht während des Essens Fotos machen. Es gibt Grenzen, die die meisten verstehen. Man kann es nie allen zu 100 Prozent recht machen, aber ich versuche doch, es so vielen wie möglich recht zu machen.

„Gestrige Erfolge zählen heute nichts, sind aber große Motivation für künftige Schritte“ – schreibst du auf deiner Website, gemünzt auf deine fünf Junioren-WM-Titel 2018. Gilt das sinngemäß auch für Olympia­-­ und Gesamtweltcupsieg? 
Ich denke schon. Die Konkurrenz ist groß, alle haben ihre Ziele und über den Sommer nicht geschlafen. Klar: Die Motivation, das Vertrauen, das nimmt man sicher mit. Aber nach einem halben Jahr Sommersaison ist das Vertrauen natürlich auch wieder ein bisschen weg. Man muss es wieder neu aufbauen – und so beginnt es wirklich wieder mehr oder weniger bei null.

Noch ein Zitat von dir: „Vollgas – auf der Rennstrecke darfst du keine Angst haben, sonst hast du schon verloren.“ Kann man eigentlich auch auf die schwersten Rennstrecken der Welt wie die Streif in Kitzbühel – wo du im Vorjahr Zweiter warst – so unbekümmert reingehen?
Letztes Jahr habe ich mich erstmals in der Lage gefühlt, auch in Kitzbühel Vollgas zu geben. In den Jahren davor vielleicht noch nicht. Da musste ich mich auch rantasten, Vertrauen gewinnen. Letzte Saison, nach rund zehn Fahrten auf der Streif, habe ich mich physisch wie im Kopf bereit gefühlt, hier viel zu riskieren und um den Sieg zu fahren. Was nie fehlen darf, ist logischerweise ein gesunder Respekt – gegenüber den anderen Athleten, der Piste, den Verhältnissen.

Lockerheit gilt als dein Markenzeichen. Würdest du das selbst auch als dein Hauptmerkmal sehen? Oder wie sonst dich selbst charakterisieren?
Schon mit Lockerheit, Unbekümmertheit, immer viel Spaß haben zu wollen. Wir haben eine sehr coole Truppe im Team, haben immer Spaß. Klar, wir duellieren uns, alle sind ehrgeizig, aber wir alle haben auch einen ähnlichen Charakter, machen Witze und pushen uns gegenseitig.

Das Team ist also auch in diesem Einzelsport ein wichtiger Faktor für dich?
Ja, das ist einer der wichtigsten Faktoren. Es gibt auch diese „Einzelteams“, wie es ein Hirscher oder Kristoffersen gemacht haben oder noch machen: Das bin ich definitiv nicht. Ich liebe die Kameradschaft, Freundschaften, dass man eine coole Zeit hat – auch neben der Piste.

Hast du einen besten Kumpel im ­Skizirkus?
Einen einzelnen besten vielleicht nicht, aber es sind schon zwei, drei, vier, mit denen ich mich am besten  verstehe – wie zum Beispiel Gino ­Caviezel, Justin Murisier oder ­Thomas Tumler.

Abgesehen von Rennerfolgen: Was ist für dich das Schöne, das Begeisternde an der Sportart Skifahren – als Freizeit- und Breitensport? 
Dass es grundsätzlich für jedes ­Level die passende Challenge gibt. Für den einen ist es die rote Piste, für den anderen die blaue, die schwarze oder off-piste. Es kann das Spiel mit den Fliehkräften sein oder mit dem Tempo, oder dass man draußen ist, mit Freunden oder auch allein: Skifahren bietet einfach alle Möglichkeiten.

Bleibt für dich auch mal Zeit, nur zum Spaß auf die Piste oder im Gelände Ski fahren zu gehen?
Es bleiben ein paar ganz vereinzelte Skitage, aber über die Saison gesehen mit unserem Rennprogramm leider sehr wenige. Meistens wird es Frühling bis zu meinem ersten privaten Skitag. Mit den Tourenski mal hochzusteigen, das geht vielleicht auch unter der Saison an einem Pausentag, um abzuschalten. Und wenn es im Frühling noch guten Schnee gibt, gehe ich gern ein bisschen freeriden.

Machst du dir auch einmal Sorgen oder Gedanken um die Zukunft des Skisports? Es ist schließlich definitiv nicht mehr der Volkssport, der es mal war ...
Jein. Ich glaube, die Gesellschaft macht logischerweise einen Wandel durch, in jeglicher Hinsicht. Es gibt heute Hunderte Angebote, nicht nur vier oder fünf, wie es die ältere Generation gekannt hat. Aber ich glaube, so ist es einfach. Der Skisport ist sicher ein teures Hobby, auch klar, daher nicht für alle zugänglich. Trotzdem glaube ich, dass die Freude am Skifahren da bleibt.

Zum Schluss – welche Pläne, Ziele und Wünsche im Skisport hast du?
Das Wichtigste für einen Sportler ist gesund zu bleiben. Es kann in jedem Training, jedem Rennen schnell etwas passieren – Gesundheit ist also erst mal eine Grundvoraussetzung, dass man schnell Ski fahren oder weiterhin Rennen fahren kann. Ich wünsche mir auch weiterhin Freude an den Rennen, am schnellen Skifahren zu haben – und möglichst viele Rennen zu gewinnen.

Gibts einen bestimmten Sieg auf deiner Wunschliste?
Schon noch die zwei großen Klassiker: Wengen und Kitzbühel.

Marco Odermatt: Cooler Teamplayer
Marco Odermatt

25 Jahre, wohnt in Buochs im Schweizer Kanton Nidwalden. Weltcup-Debüt 2016, 2018 fünf Junioren-WM-Titel (Abfahrt, Super-G, Riesenslalom, Kombination und Team), 2019 erster Weltcupsieg. 
2021/22 RTL-Olympiasieg in Peking, acht Weltcuperfolge und Stockerlplätze in jedem Riesentorlauf sowie Sieg im Gesamtweltcup mit 1639 Punkten. 
2022/23 Auftaktsieg in Sölden.