Wer zum ersten Mal einen Klettersteig erklimmt, muss die eigenen Ängste überwinden und – schwerwiegender – das eigene Gewicht. SPORTaktiv hat’s ausprobiert und einen blutigen Amateur auf den Eisenweg geschickt.

Wolfgang Liu Kuhn

Einmal habe ich einen gehabt, der wollte mir am Großglockner keinen Schritt nach vorne oder zurück gehen. Der ist kurz vor dem Gipfel draufgekommen, dass er Höhenangst hat. Den habe ich dann langsam abseilen müssen“, erzählt der Martin so beiläufig in einem Nebensatz. Martin Edlinger ist Bergführer, der beste der Welt, meiner Meinung nach, aber gut, ich kenne ja auch keine anderen. Als Leiter der Abteilung „Bergsport“ bei den Naturfreunden ist er jedenfalls ein Mann für die ganz schwierigen Fälle. Also genau der Richtige, um einen hoffnungslosen Fall wie mich über einen Klettersteig auf einen Berg zu hieven. Das ist nämlich die Herausforderung: herauszufinden, wie sich das anfühlt, wenn man zum ersten Mal über einen Klettersteig einen Berg erklimmt. Für diesen Menschenversuch in Echtzeit eignen sich insbesondere Kandidaten, die den Rest ihres Lebens üblicherweise auf einem Bürosessel verbringen und ihre Tastatur zerhacken – Helden der Büroarbeit also, Leben am Limit. Da scheine ich wiederum der richtige Mann zu sein.

In den Wochen vor dem Himmelfahrtskommando flehe ich meinen SPORTaktiv-Kontaktmann Thomas Polzer an, einen Klettersteig zu finden, der auch für Dreijährige geeignet ist. Der erklärt mir treuherzig, dass es kaum Klettersteige gäbe, die ohne die Schwierigkeitsgrade C und D auskommen würden. Ich gehe mal davon aus, dass es sich dabei um die Kürzel für „Certainly Easy“ und „Dodeleinfach“ handelt. Wer braucht schon Recherche, wenn man auf das Fachwissen ausgewiesener Sportexperten zurückgreifen kann (siehe Infokasten unten)?

Klick-Klick
Und tatsächlich: In der Breitenau am Hochlantsch gibt es einen Naturfreunde-Klettersteig, dessen maximale Schwierigkeitsgrade C und D (da haben wir’s wieder) laut Tourenbeschreibung leicht umgangen werden können. Was kann da schon schiefgehen? Einem faulen Sack wie mir kommt zudem entgegen, dass der Berg nur eine Dreiviertelstunde von Graz entfernt ist. Und es gibt Einkehrmöglichkeiten. Bingo. 
Das Wetter passt schon einmal, als wir am Parkplatz Zirbisegger ankommen. Der Himmel zeigt sein schönstes Blau, ein paar Wölkchen hängen als Postkartenverzierung am Himmel, und irgendwo im Hintergrund ragt eine steile Felswand auf. Eine sehr steile Felswand. Das kann unmöglich der Berg für einen Anfänger-Klettersteig sein. Doch? Weia, reingelegt. Der Hochlantsch ist nämlich der höchste Gipfel des Grazer Berglands und laut Beschreibung „hat er ein beeindruckendes, zerklüftetes Antlitz und verkauft sich fast schon hochalpin!“ Dummerweise lese ich das erst im Nachhinein. Jetzt steht der Martin da und legt mir die Ausrüstung an: eine Kombination aus Hüft- und Brustgurt, Bergsteigerhelm, Klettersteighandschuhe. Aufbruchsstimmung. Olé olé. 

Um es gleich vorwegzunehmen: Der Wanderweg zum Klettersteig ist das Anstrengendste an der ganzen Tour. Während Martin und Thomas fröhlich plappernd vorangehen, werde ich immer stiller. „Passt das Tempo eh?“, fragt der Martin irgendwann. Ja, eh. So komme ich nach einer gefühlten Ewigkeit verschwitzt und außer Atem am „Franz Scheikl Klettersteig“ an. „Via Ferrata“ nennt man so etwas auch, also „Eisenweg“. Das klingt so ähnlich wie „Via Dolorosa“, der Leidensweg Christi, geht es mir durch den Kopf. Nachdem ich mir jedoch wenig Hoffnung auf Auferstehung mache, lerne ich von Martin zunächst die fachgerechte Sicherung am Stahlseil, welches in die Felswand verhakt nach oben führt. Mit zwei speziellen Karabinern hängt man sich in das Seil ein und hangelt sich so von Verankerung zu Verankerung, wobei immer zumindest ein Karabiner eingehakt sein muss. Klick-Klick. Das ist nicht besonders schwer und sogar in einem emotionalen Ausnahmezustand leicht zu verstehen. Klick-Klick. Gemma.

Faszination und Demut
Und schon nach den ersten Metern fühlt sich das alles weit weniger wild an, als es noch am Parkplatz den Anschein hatte. Der Trick ist es, die beiden Sicherungs-Karabiner mit einer Hand vor sich herzuschieben. Die Seile, an denen man hängt, scheinen einen dann auf magische Art und Weise nach oben zu ziehen. Und es ist tatsächlich nicht allzu schwer: Der Bergfelsen bietet ausreichend Halt, um irgendwo eine Hand oder einen Fuß zu platzieren, bei glatteren Stellen helfen in den Fels gerammte Eisengriffe oder eben das Seil weiter. Das macht sogar Spaß und ist im Gegensatz zur Wanderei von vorhin ausgesprochen kurzweilig, weil alle Gliedmaßen ständig gefordert und in Bewegung sind. Die Aussicht über das Tal bis zur Rax ist ohnehin fantastisch, während man Meter um Meter an Höhe gewinnt. Angesichts des raschen Aufstiegs macht sich fast schon ein wenig Übermut breit, ist ja alles so einfach, das nächste Mal geht’s mit Thomas Bubendorfer auf den Klettersteig Dopamin Masochist. (Der heißt wirklich so.) Da hören wir plötzlich rasche Schritte – und ein zirka 70-jähriger Mann trippelt lässig und ohne Sicherung an uns vorbei. „Ich gehe hier jeden Tag ein bisschen trainieren, so drei Mal rauf und runter.“ Aso. Wiederschaun.

Nach dieser Lektion in Demut wartet schon das Grande Finale, denn durch Schluchten und über größere Blöcke geht es bergan bis zum Ende der seilversicherten Passage auf den Gipfel. Hier wird es richtig steil. „Diese Stelle wurde ein bisschen verändert und hat jetzt Schwierigkeitsgrad D. Wollen wir das machen?“ Hätte ich geschwiegen, wäre ich ein Philosoph geblieben. So allerdings hänge ich in der Wand, sehe den Abgrund unter mir gähnen und dafür sehr wenige Stellen, die mir Halt geben könnten. Jetzt steigt die Nervosität dann doch ein bisschen, plötzlich wird es schwierig, die Karabiner fachgerecht im rettenden Seil zu verhaken. Doch Martin wäre nicht der beste Bergführer der Welt, wenn er nicht auch in dieser Situation den Überblick bewahren würde, und so zieht er mich mit ein paar gekonnten Handgriffen über die schwierige Stelle. „Pfuh, die Passage haben sie ganz schön scharf gemacht“, meint er anschließend. Im Nachhinein weiß man’s eben immer besser.

Und auch ich weiß jetzt: Selbst Menschen, die zu allem fähig sind, aber zu nichts zu gebrauchen, können einen Klettersteig schaffen. Ich kann mir sogar vorstellen, in Zukunft wieder einen zu gehen. Besonders dann, wenn ein Sessellift nach oben führt.

Die Schwierigkeitsgrade am Klettersteig

wenig schwierig: AGelände flach bis steil, Voraussetzungen: Trittsicherheit und Schwindelfreiheit empfohlen
mäßig schwierig: Beinfach bis mäßig schwierig, Voraussetzungen: bessere Kondition und etwas Kraft und Ausdauer in Armen und Beinen 
schwierig: Cgrößtenteils schwierig, anstrengend und kräfteraubend, Voraussetzungen: gute Kondition 
sehr schwierig: Dsehr anstrengend und kräfteraubend, senkrechtes, oft auch überhängendes Gelände; meist sehr ausgesetzt.
extrem schwierig: Eäußerst kräfteraubend, Gelände senkrecht bis überhängend; durchwegs ausgesetzt; sehr kleine Tritte oder Reibungskletterei
mehr als extrem schwierig: FGelände primär überhängend; ausgesetzt; sehr kleine Tritte oder Reibungskletterei
höchste Schwierigkeit: GGelände oft auf langen Passagen ­überhängend, sehr gutes Sport­kletterkönnen obligatorisch. ­Es gibt weltweit einen einzigen G-­Klettersteig, auf Gran Canaria (Spanien)