Er überwindet Schmerz mit seiner Leidenschaft - und spürt dabei das pure Leben. Der deutsche Olympiasieger und Weltmeister Jan Frodeno ist der mit Abstand beste Triathlet unserer Zeit. Trotzdem hat er sein Ziel noch lange nicht erreicht.

Interview von Axel Rabenstein

Jan, was ist deiner Meinung nach das schönste an der Langdistanz? Ist das nicht in erster Linie eine elende Schinderei?
Es macht mir einfach Spaß, an meine Grenzen zu gehen. Du bist ganz nah bei dir, spürst dich auf besondere Weise. Es fühlt sich echt an, für mich ist es das pure Leben. Und eine Schinderei muss es ja nicht immer sein. Der Schmerz lässt nach, wenn die Endorphine kommen ...

Dann ist der Kopf euphorisiert und die Beine müssen es ausbaden. Wie erlebst du während des Rennens die Verbindung zwischen Körper und Seele?
Die mentale Komponente ist auf der Langdistanz von entscheidender Bedeutung. Schmerzen haben alle Athleten. Es ist dein Kopf, der dich dazu bringt, weiterzumachen oder sogar noch einmal zu beschleunigen. In uns allen steckt mehr, als wir denken. Deshalb brauchst du absolute Zielstrebigkeit und einen starken Willen, um deine Leistung auch wirklich auf den Asphalt zu bringen.

Im Wettkampf kommt wohl immer wieder die Schwelle, an der man glaubt, sein Limit erreicht zu haben. Erlebst du das eher als psychische oder physische Barriere?
Ich denke, es gibt beide Barrieren. Der körperliche Schmerz, den du mit deiner Leidenschaft und deinem Siegeswillen überwinden kannst. Und die mentale Barriere, die definitiv die größere und schwerer zu nehmende Hürde darstellt. Man könnte ja einfach stehenbleiben. Es wäre sofort vorbei. Von einem Schritt auf den nächsten! Dagegen musst du mit all deiner mentalen Kraft ankämpfen.

Wie funktioniert das?
Diese Barriere kommt in der Regel beim Laufen, erst da wird's so richtig hart. Ich versuche dann, in Etappen zu denken und mir immer wieder Zwischenziele zu setzen: bis zur nächsten Kurve, zum nächsten Wendepunkt oder bis zur nächsten Verpflegungs­station. Führt man sich während des Laufens die komplette Marathonstrecke vor Augen, ist das keine gute Idee –auch als Profi kommt dir dann diese ­Distanz an manchen Tagen beinahe unüberwindbar vor.

Welcher Moment in einem deiner Rennen war bis heute der härteste?
Schwer zu sagen! Es gibt viele solcher Momente. Bei der WM in Kona 2014 habe ich eine aus meiner Sicht ungerechtfertigte Zeitstrafe erhalten, musste vier Minuten am Straßenrand stehen und dabei zusehen, wie einer nach dem anderen an mir vorbeifährt. Das war hart, weil ich nichts tun, mich nicht wehren und nicht dagegen ankämpfen konnte.

Von Situationen wie diesen hast du dich nicht unterkriegen lassen. Stattdessen schwimmst, fährst und läufst du seit eineinhalb Jahren die komplette Weltelite in Grund und Boden. Denkst du dir nicht manchmal: Oh Mann, warum bin ich eigentlich so verdammt überlegen?
Natürlich freue ich mich darüber, dass ich so erfolgreich bin. Das Gefühl, im Training zu fliegen oder im Wettkampf als Erster ins Ziel zu kommen, ist überwältigend schön. Ich fixiere mich aber nicht allzu sehr auf meine Konkurrenten, sondern vor allem auf mich selbst. Auf meine eigene Leistungsfähigkeit. Deshalb kommen solche Fragen gar nicht erst in mir hoch. Das könnte meinen Erfolg auch leicht gefährden. Wenn das Siegen zum Selbstläufer wird, fühlt man sich zu sicher, arbeitet nicht mehr hart genug, verliert an Zielstrebigkeit und mentaler Stärke. Das hätte im Triathlon fatale Folgen, dann wäre ich mit Sicherheit nicht mehr der Schnellste.


Video: IRONMAN Hawaii 2016 - Siegerinterview mit Jan Frodeno

Um auf Dauer vorne zu sein, gilt vor allem eins: trainieren! Sag, wie viele Laufschuhe verbrauchst du in einem Jahr?
Ich schätze so um die 70 Paar ...

Das sagt schon eine Menge. Woher nimmst du die Motivation und die Energie für diese ewigen Trainingseinheiten?
Ich habe immer nach Perfektion gestrebt. Meine eigenen Fähigkeiten fortlaufend zu optimieren, zu spüren, wie ich meine Leistungsgrenze verschieben kann, das gibt mir sehr viel. Und dann ist da noch meine Familie. Mein Sohn Lucca und meine Frau Emma. Sie sind an meiner Seite und schenken mir viel Kraft. Weil sie an meinen Erfolgen teilhaben und mir das Gefühl geben, dass ich das Richtige tue. Außerdem helfen sie mir dabei, auf dem Boden zu bleiben ... weil sie mir alleine durch ihre Anwesenheit zeigen, was wirklich wichtig ist im Leben.

Trotzdem wird es im Training sicher mal unangenehm: Welche Einheiten gehen dir richtig an die Nieren?
Unangenehm kann beim Triathlon vieles sein. Kommt immer auf die persönliche Form, das Wetter und die Art der Einheit an. Aber eine langweilige Schwimmeinheit im Pool an einem Tag, an dem ich mich ohnehin nicht besonders gut fühle ... die macht wirklich keinen Spaß.

Und auf dem Rad? Wenn du Stunde und Stunde vor dich hin trittst? Was geht da in dir vor?
Das ist unterschiedlich, irgendwie denkt man gleichzeitig über alles und nichts nach. Es gibt Situationen, in denen ich die Ruhe oder den Ausblick auf einem Berg genieße. Bei einer Abfahrt kommt es vor, dass ich mich nur auf die Kurven konzentriere und an nichts anderes denke. Zwei Minuten später gehe ich schon wieder meinen Trainingsplan im Kopf durch oder überlege, was ich noch einkaufen muss ...

Bist du manchmal einsam?
Zum Glück bin ich selten allein. Mein Trainingspartner Nick Kastelein ist ein treuer Begleiter. Wir unterhalten uns viel. Es gibt allerdings Tage, an denen wir uns drei Stunden am Stück anschweigen. Aber auch das ist okay.

Du bist im Training und während deiner Wettkämpfe an den schönsten Orten der Welt unterwegs. Welche Strecke gefällt dir besonders?
Ganz ehrlich, das ist eine Strecke, die ich noch gar nicht gefahren bin: das Stilfser Joch! Ich kenne die Bilder und Erzählungen von Kollegen und Bekannten. Dort möchte ich unbedingt mal hin und hoffe, es bald in meinen Terminen unterzukriegen.

Du hast wenig Zeit für ebensolche individuellen Wünsche, weil dein Leben von strikten Trainingsplänen geprägt ist. Sehnst du dich danach, mal anzukommen und endlich machen zu können, was du willst?
Das tue ich doch schon! Ich bin genau dort, wo ich sein möchte. Ich bin angekommen und dankbar dafür, dass ich meine Leidenschaft zum Beruf machen konnte.

Du scheinst in der Tat sehr ausgeglichen, dein Ruhepuls liegt nicht umsonst bei 35 Schlägen in der Minute. Stärkt Triathlon nicht nur die Ausdauer, sondern ist dieser Sport auch gut für die Seele?
Ich denke schon. Jedenfalls bin ich sehr zufrieden mit meinem Leben.

Gibt es sonst noch etwas, das du vom Triathlon fürs Leben gelernt hast?
Sei zielstrebig, konzentriere dich auf eine Sache ... und mache genau das zu hundert Prozent.

Triathlon-Olympiasieger und Weltmeister Jan Frodeno / Bild: Felix Rüdiger / Plan A

Der Weltmeister

JAN FRODENO wurde am 18. August 1981 in Köln geboren, wuchs aber in Südafrika auf, wo er als Jugendlicher mit dem Schwimmen begann. Von den TV-Bildern der Olympischen Spiele in Sydney 2000 inspiriert, stieg Frodeno in den Triathlonsport ein – und acht Jahre später holte er selbst Gold bei den Olympischen Spielen in Peking. Vor zwei Jahren wechselte Frodeno auf die Langdistanz, 2015 holte er die Titel bei der IRONMAN 70.3-WM in Zell am See, bei der IRONMAN-EM in ­Frankfurt und schließlich auch noch bei der IRONMAN-WM auf Hawaii. Im Juli 2016 stellte er bei der Challenge in Roth (D) mit 7:35:39 h eine neue Weltbestzeit über die Langdistanz auf.

Jan Frodeno ist verheiratet mit der australischen Triathletin Emma Frodeno (geb. Snowsill), im Februar 2016 kam Sohn Lucca auf die Welt. Gemeinsam leben sie an der Sunshine Coast (Australien) sowie im spanischen Girona.

Web: www.frodeno.com


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