Wie aus Hunden ­Lawinenhunde ­werden. Und wie ein Einsatz mit tierischem Retter abläuft. SPORTaktiv hat nachgefragt.

Von Christoph Heigl


Es soll Leute geben, die vor Hunden Angst haben. Doch selbst der größte Feigling wird mit Freude reagieren, wenn er Luca oder einen ihrer Kollegen erblickt. Dann liegt er nämlich mit ziemlicher Sicherheit unter einer Lawine und verdankt dem Vierbeiner sein Leben. Gestatten, Luca, zehn Jahre alt, Lawinenrettungshündin aus Salzburg und Staatsmeisterin 2017. Dieser Erfolg freut die Besitzerin der braunen Flat-Coated-Retriever-Dame zwar, „aber es ist nur eine Sporturkunde." Carolin Scheiter und Luca haben Wichtigeres im Sinn. Sie retten Menschenleben.

Scheiter arbeitet im Nationalpark Berchtesgaden in der Stabsstelle Kommunikation. Am Tisch ihr Handy, darunter ihr Hund. Wenn es klingelt, wechselt sie aus dem Brotberuf ins Ehrenamt und jede Sekunde zählt. Bis es so weit ist, haben die beiden Retter aber bereits einen langen Weg hinter sich.

DER HUND
„Kein Hund kommt als Lawinenhund auf die Welt, aber grundsätzlich sind viele Rassen und Mischlinge geeignet", betont Scheiter (40), die bei der Lawinen- und Vermisstensuchhundestaffel Salzburg auch für die Ausbildung der Hunde zuständig ist. Die außergewöhnlich gute Nase samt Geruchssinn haben alle Rassen, selbst ein Dackel oder eine Dogge könnte das. „Wichtig ist nur, dass der Hund kein Trauma und viel Vertrauen zum Menschen hat."

Am besten bewähren sich mittelgroße Vierbeiner wie Schäferhunde, Retriever und Border Collies. Im Idealfall (Pulverschnee) können sie Menschen riechen, die bis zu fünf, sechs Meter tief in Lawinen stecken. Bei schwierigeren Schneebedingungen deutlich weniger.Wobei Scheiter das romantische Bild des schlauen Helfers nicht überstrapaziert. „Der Hund ist kein empathisches Wesen, sondern ein Egoist. Er hat nur ein Ziel: seine Belohnung." Er sollte leicht zu motivieren sein, sich gerne bewegen, sozial auf andere Hunde und Menschen reagieren und gute Nerven haben. Das gelte auch für das „Herrl", erzählt Scheiter. „Im Notfall bin ich der ruhigste Mensch der Welt. Sonst ist das nicht immer so."

DIE AUSBILDUNG
Die Ausbildung sollte so früh wie möglich beginnen. „Ich habe die Welpen am liebsten mit zwölf Wochen. Da ist die Festplatte leer und sie wissen nur, dass Mama weich und warm ist", lacht Scheiter. Das Training danach ist hart. Zwei bis vier Jahre dauert je nach Eignung von Hund und Führer die Ausbildung, ein fertiger Rettungshund kann bis zu 10.000 Euro teuer sein. Dann sind sie ein eingespieltes Paar und nur wenige Hunde lassen sich von anderen Hundeführern dirigieren.

Der springende Punkt: die Motivation. „Einige Hunde machen alles nur für ihr Herrl. Applaudieren oder aufmunternde Worte motivieren zur Höchstleistung. Bei Luca ist das anders. Sie tut alles für ein Frankfurter." Weil das Würstel im Ernstfall neben dem Verschütteten (oder Toten) unpassend wäre, folgt auf den Notfall ohne Belohnung wieder intensivstes Trockentraining mit Frankfurter. Aber es gibt noch was Besseres: „Für den Flug im Hubschauber gibt es doppelt gebratenen Leberkäse, die absolute Oberklasse. Luca springt mit Freude in jeden Heli, weil sie weiß, jetzt kommt Premium."

DER NOTFALL
Wenn Scheiters Handy bimmelt, beginnt der Kampf auf Leben und Tod. „Ich bin für den Pongau zuständig und kann mit Luca in 10, 15 Minuten am Berg sein, wenn mich der Hubschrauber abholt." Das ist der Idealfall. Auch Gondel, Schlepplift, Traktor und Quad mussten schon als Aufstiegshilfe dienen. Ist das Duo per Ski am Lawinenkegel, steigt der Stresspegel. „Meistens sind schon einige Retter am Werk. ,Endlich ist der Hund da!', heißt es dann oft", kennt Scheiter auch den Druck, der auf dem Hund lastet. Der Vierbeiner flitzt über den Schnee, nimmt Gerüche auf, vergleicht bekannten mit unbekanntem Duft und beginnt zu graben. Mit Sonde und Schaufeln wird er unterstützt. Tests haben ergeben, dass der Hund einen Verschütteten schneller finden kann, als es technische Geräte schaffen, weil er schneller ein größeres Zielgebiet abläuft. Die Suche per LVS-Gerät dauert länger. Fehlerquellen haben beide Methoden, etwa verlorene Rucksäcke, die nach dem Menschen riechen (oder das LVS-Gerät beinhalten).

Scheiter und ihr Hund sehen leider jedes Jahr einige Tote. Ihr Appell: „Wenn Lawinenhunde zum Einsatz kommen, ist es oft schon zu spät. Die Kameradenrettung bleibt die wichtigste, keiner kann so schnell helfen wie dein Begleiter."

UMGANG MIT EXTREMSITUATIONEN
Hunde wie Luca werden im Sommer ebenfalls eingesetzt, etwa auf der Suche nach vermissten Wanderern. „Auch wenn wir nicht immer mit guten Nachrichten zurückkommen, ist für die Hinterbliebenen oft auch die traurige Gewissheit in gewissem Sinn eine Erleichterung", weiß Scheiter. Hunde sind vom Einsatz unbelastet, sie selbst kann mit emotionalen Extremsituationen gut umgehen, für die Aufarbeitung wird auch psychologische Hilfe angeboten. Eines hat sich für Scheiter jedoch geändert. „Früher habe ich den Pulverschneehang gesehen, jetzt sehe ich die Gefahr. Unbeschwertes Skifahren ist für mich vorbei. Andererseits bin ich durch meine Erfahrung jetzt viel sicherer unterwegs."

Carolin Scheiter mit ihrer vierbeinigen Partnerin Luca / Bild: Lawinenhundestaffel Salzburg
Ein starkes Team
Carolin Scheiter arbeitet in Salzburg bereits zehn Jahre mit ihrer Luca zusammen. Der Flat Coated Retriever ist sogar Staatsmeister.
Infos unter: www.lawinenhunde.at



Auch interessant ...