Kein Athlet hat erfolgreicher Skispringen mit Langlauf kombiniert. Zwei Sportarten, die so unterschiedlich sind, und sich dennoch perfekt ergänzen: Wenn man entdeckt, wie groß die Kraft ist, die aus innerer Balance entstehen kann.

Interview: Axel Rabenstein


Felix, wir leben in bewegten Zeiten. Wie wichtig ist es, hin und wieder zur Ruhe zu finden?
Ich denke, dass Ruhe ein dringend benötigter Gegenpol in unserem Leben ist. Es gibt so viel Lärm, so viele Informationen, so viel Geschwindigkeit – da ist der natürliche Ausgleich für mich die Stille. Sie ist der Ort, an dem ich mich in meiner Balance üben kann.

Findest du die Stille an einem speziellen Ort? Oder ist die Stille ein Ort in dir?
Idealerweise ist die Stille ein Ort in dir selbst. So bleibst du flexibel und im wahrsten Sinne ortsunabhängig. Die Kunst ist, dass du Störfaktoren ausschaltest und dir Zeit nimmst. Für gewöhnlich schließe ich die Augen. Dann widme ich mich meiner Atmung und erlaube mir, nichts leisten zu müssen. Es tut gut, die Idee, dass man ständig etwas tun müsste, einfach mal loszulassen.

Und dann? Sitzt du da und tust nichts?
Ich sitze auf einem Meditationskissen und versuche bewusst wahrzunehmen, wie ich atme. Das bringt mich in die Präsenz. Aber auch die Bewegung an der frischen Luft ist für mich nach wie vor ein Lebenselixier.

Ist körperliche Aktivität wichtiger denn je, weil wir uns beruflich zunehmend statisch verhalten?
Wir haben zwei wichtige Feedbackgeber. Das eine ist der Körper. Das andere sind unsere Gefühle. Beides ist untrennbar miteinander verbunden. Ich glaube, dass man sich nicht mehr auf seine Gefühlswelt verlassen kann, wenn man den Kontakt zum eigenen Körper verliert.

Viele junge Menschen reduzieren ihren Sport auf das Training im Studio. Bei manchen scheint es dabei weniger um Gesundheit als vielmehr ums gute Aussehen für das nächste Selfie zu gehen. Siehst du das ähnlich?
Ich gehe auch einmal in der Woche ins Studio, um meinen Rücken zu pflegen. Und ich war mal in Peking, bei der Luftqualität bist du froh, wenn du in einem Studio trainieren kannst. Aber es stimmt schon, bei vielen Menschen scheint die Fassade wichtiger als der Kern. Dabei ist die spannende Frage doch, wer ich hinter meiner Maske bin. Diese Frage beleuchte ich auch in meinen Seminaren und Vorträgen.

Was kommt dabei zum Vorschein?
Erstaunlicherweise hinterfragen sich die Menschen immer seltener. Sie arbeiten jahrzehntelang To-do-Listen ab, ohne sich ernsthaft die Frage zu stellen: Was will ich eigentlich? Tue ich noch, was ich ursprünglich wollte? Wenn ich meine Töchter frage, was sie tun wollen, dann sagen sie: Ich will spielen! Kinder wissen ganz genau, was sie möchten. Sie sind damit ein großes Vorbild für uns Erwachsene.

Warum wissen Erwachsene nicht mehr, was sie wollen?
Die Kunst ist, dass du verstehst, was dich hindert und dir schadet. Und, dass du tust, was dir hilft und dich nährt. Aber selbst, wenn du es herausgefunden hast, kommt dir dieses Bewusstsein schnell wieder abhanden. Deshalb muss man fortlaufend daran arbeiten, seine Balance zu erhalten.

Und das tue ich wie?
Atmen! Du konzentrierst dich darauf, wie dein Atem kommt und wieder geht. Das gelingt dir eine Zeit lang, dann driftest du gedanklich weg. Nun hast du mit jedem Atemzug wieder die Chance, zurück zu dir zu kommen. Und so ist das ganze Leben. Nur Eigenverantwortung bringt Handlungsfähigkeit und somit auch Leistungsfähigkeit und dauerhafte Gesundheit mit sich. Wenn du selbst nicht weißt, was du willst, wird jemand anderes dir sagen, was du tun sollst. Leider ist es demjenigen in der Regel ziemlich egal, ob du dabei glücklich wirst oder nicht. Wenn du nicht selbst für dich bestimmst, erteilst du damit anderen den Auftrag, für dich zu bestimmen.

Wie finde ich denn heraus, was ich wirklich will?
Diese Frage habe ich mir früh gestellt, und ich fand sie schwer zu beantworten. Also habe ich mich gefragt: Was will ich definitiv nicht? Das war dann gleich viel leichter.

Du beschäftigst dich viel mit innerer Balance. Wie hast du als Sportler mit deinem Willen alles aus dir herausgeholt, wenn der Körper vorgab, nicht mehr zu können?
Bei manchen Rennen wusste ich wirklich nicht, woher die Kraft plötzlich kam. Deshalb habe ich versucht, diesen Moment herzuleiten. Heute bin ich mir sicher, dass es nicht darum geht, ob es weh tut oder nicht, ob du in Führung liegst oder aufholen musst. Es geht in diesem Moment alleine um dich. Um die Einstellung zu dir selbst. Was bist du bereit zu geben? Wie stehst du dir gegenüber? Diese Präsenz ist wie eine eigene Disziplin, die man üben kann.

Und das geht wie?
Es beginnt mit Vorfreude. Du musst wissen, dass du es tust, weil du es unbedingt willst. Das verschafft dir schon mal einen Wettbewerbsvorteil. Wir haben das sogar in einer Studie gemessen. Dann folgen verschiedene Stufen, die trainiert werden können. Am Ende widmest du dich dem, was du sonst zu verhindern versuchst.

Ein Beispiel?
Wir alle wollen geliebt werden. Darauf basiert unser ganzes Leben. Wenn du dich dem Ungeliebtsein auslieferst, wenn du deine Schattenseiten nimmst, wie sie sind, dann erlangst du Klarheit über deine wahren Motive und kannst daraus eine ganz erstaunliche Kraft ziehen.

War das die Kraft, die dich zum dreifachen Olympiasieger und Weltmeister gemacht hat?
Ein Profisportler verbringt 99 Prozent seiner Zeit mit Training. Darauf kommt es an. Viele Sportler wollen besser sein, als sie eigentlich sind. Nur die wenigsten sind bereit, den Preis zu zahlen, den ein Olympiasieg kostet. Es gibt kein Geheimnis. Es geht immer ums Tun. Für viele ist das fast zu einfach. Viele würden sich eine komplizierte Erfolgsformel wünschen. Aber es gibt kein Geheimnis. Es ist nicht so wichtig, was und wie du trainierst. Sondern, dass du trainierst. Die Wiederholung macht den Unterschied. Sie ist die Mutter unserer Fähigkeiten. Bei Olympia habe ich nur umgesetzt, was ich zuvor geübt hatte. Ich habe nicht versucht, besser zu sein, als ich bin.

Die Nordische Kombination ist speziell, weil sie Schnellkraft mit Ausdauer verbindet. War es der Gegensatz, der dich dieser Sportart so nahe brachte?
In der Tat, es war der Balanceakt zwischen beiden Sportarten. Du brauchst Feinfühligkeit, wohlwollende Dosierung und die Idee, dass die eine Sportart nicht der anderen schadet, sondern dass sich beide Sportarten befruchten. Das hat mich fasziniert.

Ist das Verbinden solcher Gegensätze auch sonst der Schlüssel zum Erfolg?
Zweifel und Angst können dich kurzzeitig antreiben, aber der beste Wegbegleiter ist das Vertrauen. Wenn du ausatmest, dann tust du es nur, weil du darauf vertraust, dass du mit dem nächsten Atemzug wieder einatmen kannst. Alles kommt und geht. Wie der Vollmond und der Neumond. Diese Wellenbewegung begleitet uns das ganze Leben. Die Kunst ist nun, auf dieser Welle das Surfen zu lernen.

Wer sich auf einen Workshop mit Felix Gottwald einlässt, sollte vorab eines tun: konventionelle Erwartungshaltungen über Bord werfen. / Bild: Therme Loipersdorf

Felix Gottwald
FELIX GOTTWALD wurde am 13. Jänner 1976 in Zell am See (S) ­geboren. Österreichs erfolgreichster Olympia­sportler ­(3 Olympiasiege und 4 weitere Olympiamedaillen; drei WM-­Titel, 24 Weltcupsiege) bietet heute Vorträge, Seminare und Workshops für mentale Stärke an. Er lebt mit Lebensgefährtin und zwei Töchtern in Ramsau/D. (St).

Web: www.felixgottwald.at



Auch interessant ...