Vom Wischer zum EURO-Star. ­Österreichs Handball-Hero ­Nikola Bilyk über Chancen bei der Heim-EM, seinen Traum mit dem THW Kiel, ­Verletzungen und das Mammutprogramm seiner fordernden Sportart.

Markus Geisler

Du hast diese Saison bewerbsübergreifend einen Torschnitt von über vier Treffern pro Spiel beim THW Kiel. Sehen wir den besten Bilyk aller Zeiten?
Ich hoffe, der kommt erst noch. Die hohe Kunst im Sport ist ja, über Jahre auf konstant hohem Level zu spielen. Das ist mein Ziel. Ich möchte mich von Jahr zu Jahr entwickeln, immer besser spielen. Wobei mir schon klar ist, dass es auch Zeiten geben wird, in denen mir das nicht gelingt.

Kiel ist in der deutschen Bundesliga und in der Champions League ganz vorne. Warum läuft es bei euch heuer so exzellent?
In erster Linie weil wir eine über Jahre gewachsene, eingespielte Mannschaft sind. Viele Spieler haben ein extrem hohes Niveau und sagen voller Überzeugung: Wir wollen heuer Meister werden und das Final Four in der Champions League erreichen. Aber was du gerade gesagt hast, ist nicht mehr als eine Momentaufnahme. Wir haben noch viele anstrengende Monate vor uns, dazwischen die EURO. Das kann auch gefährlich sein, wenn sich dort Spieler verletzen.

Seit du 2016 von den Fivers nach Kiel gekommen bist, hast du den EHF-Cup und den DHB-Pokal gewonnen, bist aber noch nie Meister mit dem Rekordchampion geworden. Wie groß ist deine Gier auf den Titel?
Sehr groß, riesig! Ich war schon sehr enttäuscht, dass wir es in den letzten Jahren nicht geschafft haben. Dieses Jahr ist es das große Ziel, zusammen mit dem Final Four in der Champions League. Ich hab ja beides noch nicht erlebt. Ich kann gar nicht sagen, wie ich mich fühlen würde, wenn es wieder nicht klappen würde.
 

Es liegt in unserer Hand

Die Gefahr, über-spielt zur EURO zu kommen, ist sehr groß. Auch dort haben wir ja jeden zweiten Tag ein Spiel zu absolvieren. 

Handball-Hero ­Nikola Bilyk

Der Start verlief jedenfalls verheißungsvoll.
Die entscheidende Frage ist die nach der Fitness. Ich habe leider auch gerade Probleme im Schambeinbereich, gehe aber davon aus, dass es mich nicht langfristig behindert. Wir haben so viele Spiele auf dem Buckel und sind derzeit in der Phase der Saison, in der Verletzungen immer öfter Thema sind. Man muss auf seinen Körper achten und braucht – so ehrlich muss man sein – auch Glück.

Ihr Handballer habt mit Klub-WM, nationalem Pokal, Liga und Champions League ein unfassbares Programm zu absolvieren. Ist es nicht längst jenseits der Belastungsgrenze?
Für den Körper ist das nicht gesund, davon bin ich überzeugt. Allein im Dezember absolvieren wir mit Kiel acht Spiele. Was die meisten unterschätzen, sind die damit verbundenen Reisen. Wir verbringen teilweise ganze Tage in Flieger und Bus, wenn es nach Skopje oder Zaporozhye geht, das ist wirklich anstrengend. Aber wir Spieler haben da keinen Einfluss. Die Leute oben bei den Verbänden, die darauf achten müssten, dass wir mal einen Gang runterschalten können, tun es nicht. Andererseits weiß jeder von uns, was auf ihn zukommt, wenn er bei einem Top-Klub unterschreibt.

Besteht die Gefahr, bei der EURO ziemlich überspielt zu sein?
Wenn ich ehrlich bin, ist die Gefahr sehr groß. Dort wird es ja nicht besser, wir haben jeden zweiten Tag ein Spiel. Und in jedem geht es um etwas, du hast ständig den Druck, gewinnen zu müssen. Deswegen passieren bei solchen Turnieren immer wieder Verletzungen. Der Punkt ist, dass andererseits jeder Spieler dabei sein möchte und mit seinem Nationalteam erfolgreich sein will.

Kannst du dich erinnern, wie du die letzte Heim-EURO 2010 erlebt hast?
Ja, ich war Wischer in der Wiener Stadthalle. Deswegen konnte ich die ganzen Weltstars aus nächster Nähe beobachten, das war fantastisch, ein großes Privileg. Ich kannte die ja bis dahin nur aus dem Fernsehen. Und ich erinnere mich an die tolle Stimmung, ich hoffe, dass es diesmal genauso ist.

Ihr trefft in der Vorrunde auf Tschechien, Ukraine und Nordmazedonien. Auf dem Papier eine machbare Gruppe.
Das sehe ich auch so. Ich habe schon zu meinen Kollegen in Kiel gesagt: Es liegt alles in unserer Hand. Wir können in dieser Gruppe Erster, aber auch Letzter werden. Alles hängt davon ab, wie wir auftreten. Ich bin aber recht zuversichtlich, da ich weiß, was wir können, welche Qualität wir haben. Und jeder Spieler hat im Kopf, dass es ein Traum ist, vor Familie und Freunden so ein Turnier zu spielen.

Und das Ziel ist ...
... der Einzug in die Hauptrunde, 
ganz klar. 

Ihr habt im März mit Aleš Pajovicˇ einen neuen Trainer bekommen. Was hat sich im Vergleich zu Patrekur Johannesson konkret verändert?
Schon einiges. Er ist ein anderer Typ mit einer anderen Spielidee. Er erwartet immer 100 Prozent Einsatz von uns, gibt uns aber auch das Vertrauen, dass wir Fehler machen dürfen. Ich denke, er ist eine gute Wahl. Vielleicht brauchten wir einfach diesen neuen Input. Ich kam mit Pati auch gut zurecht, trotzdem hat es am Ende nicht mehr optimal gepasst.