„Der Fuß ist so gescheit wie das Gehirn" – meint der Ex-Triathlet und ­Gründer der Laufschuhmarke On, Olivier Bernhard. Wir haben den Schweizer auf ­Mallorca getroffen – und über Freiheit für den Fuß, die Bedeutung des Komforts bei Laufschuhen und die Zukunft des Laufens gesprochen.

Dreitagebart, die langen Haare unter einem Kapperl: So erscheint Olivier Bernhard zur gemeinsamen Laufrunde auf Mallorca. Die Vorfreude ist nicht zu verleugnen – schließlich hat man nicht jeden Tag die Gelegenheit, eine Runde mit einem sechsfachen Ironman-Sieger zu drehen. Noch dazu mit einem, der auch erfolgreicher Geschäftsmann ist; 2010 hat Bernhard mit Caspar Coppetti und David Allemann die Laufschuhmarke „On" gegründet. Logisch, worum sich unsere Fragen bei diesem Laufinterview – ums Laufen und den Einfluss, den die Schuhe darauf haben.

Olivier, ganz grob gesprochen: Wie läuft man richtig?
Es gibt kein Falsch oder Richtig. Du kannst nicht immer auf dem Vorfuß landen. Bergab zum Beispiel wird das nicht funktionieren, da brauchst du die Ferse. Auch bei einem Marathon hilft es, wenn du zwischendurch auf der Ferse landest, um die Waden und die Achillessehnen zu entspannen.

Die Mischung macht es also?
Als Triathlet sehe ich das Ganze von der ökonomischen Seite – wie kann ich möglichst viel Kraft sparen. Wenn du auf der Ferse landest und die Knie beugst, vergeudest du Kraft. Streckst du das Bein aber nach hinten, hebst danach den Oberschenkel an und lässt den Fuß wieder zu Boden fallen, ist das ökonomischer, weil die Muskeln im Oberschenkel weniger belastet werden.

Kann man das lernen?
Ja, aber es dauert eben. Auch ich habe nach dem Triathlon-Training immer noch meine Running Drills gemacht, um effizienter zu laufen. Du musst dich aus der Komfortzone wagen, aber es zahlt sich aus.

Auf dem Schuhsektor ist der große Boom der Stabilschuhe vorbei. Wie erwartest du die weitere Entwicklung?
Mein Weg ist: Gib dem Fuß die Freiheit. Der Fuß ist sehr gescheit, wie der Kopf. Dank des Gehirns kannst du kochen, mit einem Hammer einen Nagel in ein Stück Holz schlagen oder Kunstwerke erschaffen. Mit dem Fuß ist es dasselbe. Wir vergessen das nur, weil er am anderen Ende des Körpers sitzt. Viele vertrauen den Füßen nicht – ich schon. Als Profi hab ich mich ja jahrelang auf sie verlassen. Ich glaube, dass es eine direkte Verbindung von meinen Füßen ins Gehirn gibt. Das hilft mir bei der Entwicklung enorm.

Was heißt das für die Schuhe?
Der Schuh muss Spannung haben. Auch unsere Muskeln, Bänder und Sehnen stehen unter Spannung – das muss der Schuh weitergeben, damit die Energie nicht irgendwo verpufft.

Durch neue Produktionstechniken wie den 3-D-Drucker lassen sich Schuhe immer individueller anpassen. Werden wir in Zukunft alle mit Schuhen, die speziell für unsere Füße produziert werden, laufen?
Das ist eine sehr interessante Sache. Aber wir sind eine kleine Firma und für uns ist das im Moment nicht leistbar. Doch es wird sicher Teil der Zukunft sein. Adidas ist hier führend, New Balance, Nike und Asics machen es auch. Nike glaubt, dass sich das bis 2020 durchsetzen wird, aber so schnell wird es sich nicht rechnen. Vielleicht in zehn Jahren.

Und was ist mit Chips in den Schuhen, Echtzeit-Coaching und dergleichen?
In der Masse wird sich das nicht durchsetzen. Es gibt so viel Technik, aber nur, weil etwas machbar ist, heißt das nicht, dass es auch gut ist. Ich teste eine Menge dieser Dinge, die meisten ein-, zweimal, dann reicht es mir. Ich will keine Stimme in meinem Ohr haben, die sagt: Jetzt ein bisschen schneller, einen anderen Rhythmus. Beim Laufen will ich die Vögel zwitschern und den Wind in den Bäumen hören. Da bin ich ein Romantiker. Ich denke, beim Laufen geht es um alle Sinne. Wenn ich die nicht alle offen halten kann, früher oder später sogar eine Virtual-Reality-Brille aufsetze – dann ist das die falsche Richtung. Aber ich weiß, dass ich hier ein Dinosaurier bin.

Daten zu sammeln kann für Läufer und Hersteller eine sinnvolle Sache sein ...
Aber die Frage ist immer: bis zu welchem Ausmaß? Bei jedem Lauf, jeden Tag? Dinge zu tun, nur weil sie möglich sind, ist nicht meine Philosophie. Was ich mir vorstellen kann, ist eine App, die weiß, wie schnell, wie weit ich laufe und mir aufgrund dessen in einer fremden Stadt Laufstrecken vorschlägt, die zu meinen Vorlieben passen.

Ein großes Thema ist die 2-Stunden-Schallmauer im Marathon. Kann ein Schuh dabei helfen, sie zu knacken?
Helfen sicher – eine Verbesserung um 60 bis 90 Sekunden halte ich da für realistisch. Jedoch nicht um 4 Prozent, wie man oft hört. Da würde ich sofort aufhören zu laufen und mich trotzdem für Olympia 2020 in Tokio qualifizieren. Auch wir könnten einen Schuh bauen, der einen Athleten schneller macht. Wir müssten nur das Speedboard, das wir anstatt der Zwischensohle verwenden, noch steifer machen. Doch das würde auf Kosten des Komforts gehen.

Geht es in diesen Bereichen wirklich noch um Komfort?
Für mich ist der Komfort der Schlüssel. Komfort wird immer noch unterschätzt, weil es nicht sexy ist, darüber zu reden. Aber irgendwann wirst du müde – da ist es gut, wenn du ein wenig Dämpfung im Fersenbereich hast. Javier Gomez, der heuer den Ironman 70.3 in Dubai gewonnen hat, hat mir zu unserem neuen „Cloudflash", einem Wettkampfschuh, gratuliert und gesagt: „Ich bin froh, dass ihr nicht den leichtesten Schuh gemacht habt, sondern einen funktionellen, der auch Komfort bietet".

Nach so vielen Laufkilometern – was gefällt dir so sehr, dass du immer noch diese Leidenschaft dafür hast?
Es ist eine Aktivität, bei der ich meine Sinne öffnen kann und die dabei gefüttert werden. Die Bilder, die Gerüche, alles. Du machst komplett auf, musst neue Energiequellen anzapfen. Ein schöner Ausblick, so wie hier, kann dabei enorm helfen.

Und dein perfekter Lauf?
Der findet im Wald statt, wenn es richtig stark regnet. Das hat etwas Mystisches und es öffnet alle Kanäle in dir. Aber das muss passieren, sich zufällig ergeben. Du hörst die Vögel, den Wind, den Regen – einfach herrlich!

Olivier Bernard / On Gründer
Der ON-Gründer
OLIVIER BERNHARD (48) ist ehemaliger Schweizer Triathlet und Duathlet. Insgesamt hat er sechs Ironman-Siege auf seinem Konto, war dreimal ITUDuathlon-Weltmeister und achtmal Powerman-Weltmeister (Duathlon Langdistanz). Nach seiner aktiven Karriere war Bernhard als Trainer für Triathleten und Ausdauersportler tätig.

Im Jänner 2010 gründete er gemeinsam mit David Allemann und Caspar Coppetti in Zürich das Unternehmen On und eröffnete 2013 einen zweiten Firmensitz in Portland, Oregon (USA). Bernhard ist immer noch erster und wichtigster Testläufer des ­Unternehmens und aktiv an der Entwicklung neuer Schuhe beteiligt.

WEB: www.on-running.com