Jakob Horvat ist per Anhalter von Wien nach Südamerika und danach um die ganze Welt gereist. Ein Abenteuer, das ihm einen neuen Blick auf den Zustand der Erde und auf sich selbst ­eröffnet hat und das sein Leben von Grund auf verändert hat.

Interview: Klaus Molidor


Wo trifft man sich mit einem Weltenbummler, der ohne Flugzeug den Atlantik überquert hat und ein Jahr lang um die Welt gereist ist? Sicher nicht drinnen und sicher nicht virtuell. „Wir könnten“, schlage ich vor, „uns im Freien treffen und spazieren beim Reden“. Ganz coronakonform also. „Gerne“, schreibt Jakob Horvat flugs zurück. „Allerdings bin ich gerade in Costa Rica.“ Dort, so stellt sich heraus, lebt der 35-jährige ehemalige ORF-Journalist seit Februar mit seiner Freundin Andrea. Statt über die österreichische Innenpolitik zu berichten, bietet er Coachings an, Live-Meditationen, Yogastunden und wöchentliche Podcasts. Also verabreden wir uns auf Zoom. Bei ihm ist früher Morgen, bei uns Nachmittag.

Jakob, was sagt dir der Name Douglas Adams?
Hmmm. Douglas Adams. Nichts.

Das ist der Autor der Serie „Per Anhalter durch die Galaxis“ – was irgendwie deine Reise gut trifft.
Ah, ja klar, die sagt mir schon etwas. Stimmt aber nicht ganz. Per Anhalter bin ich 2016/17 nach Amerika gereist. Danach aber sehr wohl mit ganz herkömmlichen Reisemitteln.

Was war denn die Initialzündung für die Tramping-Reise um die Welt?
Kennst du das, wenn eine Glut so dahinschwelt, und dann wirfst du etwas hinein, das sehr leicht Feuer fängt. Und es erzeugt eine Stichflamme? Die Glut war bei mir, dass ich als ORF-Journalist für den „Report“ in der Flüchtlingsbewegung Geschichten gemacht habe. Ein halbes Jahr bin ich an all die möglichen Orte gefahren, Flüchtlingslager, an die Grenzen, Bosnien, Serbien, Ungarn und hab dort die Fremden, vor denen so viele Menschen Angst gehabt haben, kennengelernt auf eine Art und Weise, die teilweise sehr schmerzhaft war. Ich hab das nicht so weghalten können von mir, wie man das als Journalist vielleicht tun sollte. Mich haben die Geschichten der Menschen berührt und dadurch hat sich mein Blickwinkel auf die Fremde verändert. Gleichzeitig hab ich für das Fernsehen berichtet über die Angst vor den fremden Menschen, die da kommen. Daraus ist ein Konflikt entstanden, mit dem ich zunächst nicht so viel anfangen konnte. Aber das war die Glut.

Und der Zunder, der die Stichflamme ausgelöst hat?
In der Zeit hat mich mein Freund Martin aus Norwegen gefragt, wie das wäre, wenn wir alles zurücklassen für einen bestimmten Zeitraum, um so langsam wie möglich Richtung Westen zu reisen, ohne Fliegen den Kontinent zu wechseln nur mit der Hilfe von fremden Menschen. Da ist die Glut ein bisschen aufgeflammt. Vier Wochen später habe ich beim Geburtstag meines Vaters gesagt: „Leute, ich glaub, ich werde eine Weltreise machen und ich glaub auf eine recht ungewöhnliche Art und Weise.“ Per Anhalter zu reisen ist ja DIE Art und Weise um mit Menschen in Kontakt zu kommen. Und die Fremde auf eine ganz neue Art und Weise kennenzulernen. 

Aus eigener, minimaler Autostopp-­Erfahrung: Da braucht man eine hohe Frustrationstoleranz.
Die entwickelt man. Man lernt, an Tankstellen und Rastplätzen mit Leuten ins Gespräch zu kommen und auch, dass es egal ist, wie schnell man vorankommt. Die Absurdität des Vorhabens hat mich vor allem am Anfang immer wieder überwältigt. Nach Südamerika! Und dann sind wir die ersten Stunden nicht einmal aus Wien rausgekommen.

Irgendwann war der Spaß dann aber wohl weg.
Das erste wirkliche Tief war in Spanien an einem Kreisverkehr nach Barcelona. Dort nimmt einen ja schon gar keiner mit, weil die Spanier sehr reserviert sind. Nach vier Stunden sind wir frustriert in ein Restaurant gegangen, haben ein Baguette gegessen und einen Whisky getrunken. Plötzlich sagt Martin mit Blick auf unsere Rucksäcke: Schau, wie gut es uns geht, dass wir diese Reise machen können, das größte Abenteuer unseres Lebens, für das wir ein Jahr Zeit haben. Da sind uns beiden die Tränen gekommen und wir hatten ein unglaubliches Glücksgefühl und gedacht: Das ist es. Die Frustration zu erleben, einen Weg heraus zu finden und stärker aus der Situation rauszugehen. Danach sind wir raus auf die Straße und glaub es oder nicht: 10 Minuten später hat uns wer mitgenommen. Dadurch bildet sich ein mentaler Muskel, der es einem ermöglicht, beim nächsten Mal noch einen größeren Schritt hinauszugehen aus der Komfortzone. Rückblickend gesehen waren das die einzelnen Schritte, die notwendig waren, damit ich überhaupt erst so was mache wie eine Atlantiküberquerung.

Einem Lkw-Fahrer hast du gesagt: „Ich suche Abenteuer“. Hast du das Abenteuer gefunden oder hat das Abenteuer dich gefunden?
Ich glaube, wir haben einander gefunden. Zunächst hab ich entschieden per Anhalter von Wien nach Amerika zu reisen und dann schauen wir weiter. Ich hatte sonst nichts geplant. Die Suche nach dem Abenteuer im Außen hat mich nach und nach auf ein Abenteuer im Innen geführt. Das war unerwartet und ungeplant und damit hat das Abenteuer auch mich gefunden, weil ich gelernt habe, mich drauf einzulassen. Durch Erfahrungen wie die Seekrankheit am Atlantik, die furchtbar war, hab ich zum ersten Mal in meinem Leben gelernt, mich einzulassen auf das, was gerade da ist. Auch wenn es unangenehm und schmerzhaft ist. Dadurch ist die Reise erst so verlaufen, wie sie verlaufen ist.

Eine Reise, die auch einen ganz anderen Menschen aus dir gemacht hat.
Die Tragweite habe ich da noch nicht so erfahren. Ich hab gewusst, da tut sich wahnsinnig viel und in einer Regelmäßigkeit, dass ich es gar nicht integrieren konnte. Ich hatte viele Tools noch nicht um diese Erfahrungen zu verarbeiten, wie die Meditation zum Beispiel. Durch die Atlantiküberquerung hab ich eine extrem tiefgründige Verbindung zur Natur erfahren, so tief wie nie zuvor. Ich hab mich und mein Leben der Natur anvertraut im wahrsten Sinne des Wortes. Ich hab vom Segeln nix verstanden, ich hab vom Boot nichts verstanden und den Kapitän kannte ich auch nicht. Also wem oder worauf vertraust du, um mit deinen Ängsten klarzukommen? Und da war plötzlich so ein Ur-Vertrauen ins größere Ganze, wie immer man das nennen möchte. Es war ein total faszinierendes Gefühl, weil auf einmal war die Angst weg und die restliche Atlantik­überquerung war nur noch eine einzige Faszination. Später dann im Amazonasregenwald hab ich Antworten bekommen auf die Frage, wem oder was ich mich da anvertraut hab.

Und zwar?
Die Antworten sind zu mir gekommen in Form der Pflanze Ayahuasca, die die Schamanen im Regenwald seit Jahrtausenden verwenden zur körperlichen, geistigen, seelischen Reinigung und auch um sich zu verbinden mit dem größeren Ganzen, mit der Natur, mit sich selbst. Eine krasse Erfahrung. Kurz erklärt: Es war eine Anbindung über das Tiefste in mir selbst an das Größte im Außen. Eine kleine Ameise klettert den Baum hinauf und du fühlst dich mit der Ameise so unglaublich verbunden. Menschen, die Tausende Kilometer weit weg sind, scheinen neben dir zu stehen – energetisch gesehen und du spürst wie alles mit allem verbunden ist und alles Negative fällt ab. Negative Gedanken, Selbstzweifel, alle diese mentalen Muster, in die man immer wieder hineinfällt – alles ist weg. Ich hab mir dann gedacht, wie ich dieses Potenzial, das da in mir ist, wecken kann, ohne dass ich Ayahuasca im Amazonasregenwald trinke. So bin ich zum Yoga gekommen, zur Meditation, in ein Zen-Kloster am Ende meiner Reise. Das waren alles Orte, die ich nie besucht hätte vor meiner Reise.

 

Jeder, der einmal auf einem Berggipfel gestanden ist, der weiß, wie sich das anfühlt, diese Verbindung zur Natur.

Jakob Horvat

Hast du durch diese Reise ein anderes Gefühl für den Zustand unseres Planeten bekommen?
Ja. Ich gebe weniger Geld aus, bin Vegetarier geworden. Das Bewusstsein für den Zustand der Erde hat sich ziemlich verändert. Ich war in der Plastikwüste in Kolumbien, wo wahnsinnig viel Plastik ist. Wenn du mit den Menschen dort redest, haben die überhaupt keine Ahnung, wie schädlich das ist. Die trinken Salzwasser, weil sie kein sauberes Trinkwasser haben. So jemandem ist doch völlig egal, ob Plastik in der Wüste ist oder nicht. In Borneo war es ähnlich. Dort ist nur noch weniger als die Hälfte vom Regenwald übrig. Ich hab zehn Tage lang danach gesucht und keinen gefunden. Nur die Menschen dort suchen Jobs und die finden sie in der Kohle- und Palmöl-Industrie. Damit können sie ihre ganze Familie ernähren. Dass sie dafür ihre Insel und ihren Regenwald aufopfern, ist ihnen gar nicht bewusst.

Wir in der sogenannten Ersten Welt haben die Verantwortung, Dinge zu verändern. Diese Länder schauen auf zu Europa und den USA. Die machen die Dinge haargenau gleich wie wir, weil sie auch in so einer Fülle leben wollen und dabei machen sie die gleichen Fehler wie wir. Darum muss man mit gutem Beispiel voranzugehen und sein eigenes Wirken in der Welt überdenken. Damit meine ich nicht nur, was kaufe ich ein, verwende ich Plastik, fahre ich Auto oder steige ich in einen Flieger. Das sind die oberflächlichen Dinge. Es beginnt mit dem inneren Zustand des Angebundenseins an die Natur. Jeder, der einmal auf einem Berggipfel gestanden ist, der weiß, wie sich das anfühlt, diese Verbindung zur Natur. Der wird nie auf die Idee kommen, dort Müll zu hinterlassen. Ich glaube, es beginnt mit dem inneren Bewusstseinswandel, der sich dann idealerweise ausbreitet, und nicht bei politischen Entscheidungen, dass wir nur noch Elektroauto fahren und nur so und so viel Plastik verwenden.

Während der Reise, gab es nie das Gefühl, ich muss doch wieder zurück?
Je länger diese Reise gedauert hat, desto mehr hab ich mich schon auf zu Hause gefreut. Auf einen geregelten Alltag, auf meinen Job, ich wusste, ich werde wieder Geld verdienen. Dass ich mich so dermaßen aufs Leben einlassen konnte, hatte auch damit zu tun, dass ich wusste, da ist noch das Sicherheitsnetz zu Hause. Auch wenn ich Sorge gehabt hab, dass sich das mit meinem Job nicht mehr so ausgehen würde. Ich hab ja so gut wie keine Nachrichten konsumiert in dem Jahr und schon gar keine aus Österreich. Dann komm ich heim und die FPÖ war plötzlich in der Regierung und Herbert Kickl Innenminister. Und alles, was ich über die Fremde, über Offenheit und Vertrauen gelernt hab, hat zu Hause überhaupt keine Gültigkeit gehabt. Das hat mich extrem überfordert. Nach kurzer Zeit in der Arbeit war klar, dass sich das nimmer lang ausgeht. Andere Gesichter, andere Namen, aber die Themen wie eh und je, keine Probleme gelöst, als wäre ich nie weg gewesen. Da ist einerseits ein Teil von mir zum Leben erwacht, der da nimmer reinpasst, andererseits muss ich schauen, wie schaffe ich jetzt diese Veränderung, die da innerlich in mir stattgefunden hat in der äußerlichen Welt, ohne alles vom Zaun zu brechen. Das hat mich ziemlich herausgefordert.

Was war in Summe schwieriger? Das Losgehen oder das Heimkommen?
Das Losgehen war schwieriger. Initial. Weil heimkommen war leicht. Im Flieger ankommen, von der Familie unter Freudentränen abgeholt werden. Und es schneit und du freust dich über jede Schneeflocke. Beim Losgehen waren da doch Angst, Zweifel, viele Fragen, was erwartet mich da. Ein, zwei Monate später dreht es sich aber. Dann war das Heimkommen langfristig sehr viel schwieriger, als das Auf-der-Reise-Bleiben. Wenn du einmal in den Flow gefunden hast, dass jeder Tag anders ist, und dich darauf einlässt, dann passieren viele Dinge von selbst. Zu Hause war das dann das genaue Gegenteil und ich hab mir oft gedacht, dass ich wieder weg will. Und so ist es letztlich auch gekommen.