Bike & Hike in Israel? Das ist Outdoor-Abenteuer, Bildungsreise, Selbstfindungs-Trip. Die Herausforderung: auf zwei Beinen und zwei Rädern durch die Wüste Negev.


"Stop surfing, guys“, sagt Ziv. Mahnend blickt er auf unsere Smartphones und Laptops, eine riesige Bratreine mit dampfender Lasagne in der Hand. Auf dem langen, hölzernen Tisch reihen sich bereits unzählige Teller und Schüsseln aneinander: knackfrische Oliven, cremiges Humus, würziger Krautsalat, süße Tomaten, aromatische Falafel, duftendes Fladenbrot, … „Bete`avon“, nickt Ziv in die Runde. „Le‘chájim!“ antworten unsere Begleiter fast synchron und heben ihre Gläser. „Auf eine gute Zeit!“ Das also ist Israel. Richtiger: Das also ist die Negev. Denn der Brennpunkt des Nahost-Konflikts und sein immer schon unumstrittenster Teil, die 12.000 km² große Wüstenregionim Süden des Landes, haben relativ wenig miteinander gemein. „If there are missiles in Gaza, we don’t feel it“, hatte uns unser Guide Ziv Scherzer bereits auf der Busfahrt von der pulsierenden Metropole Tel Aviv ins verschlafene Bergarbeiter-Städtchen Mitzpe Ramon beruhigt. Und spätestens mit Ankunft in der Desert Lodge war der Unterschied zu den dicht bebauten Küstenregionen oder grünen Golanhöhen im Norden endgültig klar geworden: Unmittelbar vor der Terrasse von Ziv Spectors einfachem Anwesen bricht der Boden ab und gibt den Blick frei in einen gigantischen, menschenleeren Kessel. Links und rechts stürzen Felswände zu Boden, tief unten windet sich einsam eine Straße durch Stein und Geröll, das in unzähligen Rot-, Gelb- und Braunschattierungen leuchtet.

GESCHICHTE UND GESCHICHTEN ISRAELS
Unsere Unterkunft liegt direkt an der steilen Nordwestkante des Machtesch Ramon. Das 40 km lange und 12 km breite Becken ist der größte von drei Kratern im Negev. Ziv nützt unsere Sprachlosigkeit für einen Ratschlag: „Start looking, smelling, feeling, guys.“ Ein bisschen fassungslos und ganz schön überwältigt stolpern wir wenig später durch die faszinierende Steinwüste. Der Machtesch Ramon sei ein Naturreservat, entstanden aus dem Zusammenspiel von tektonischen Plattenbewegungen, Gebirgsauffaltung und Erosion, erklärt unser Guide, ein studierter Hydrogeologe. Gegen Ende der ersten Wanderung erreichen wir Chan Saharonim, die Überreste einer Jahrtausende alten Karawanserei. Alle 30, 35 Kilometer, also dem ungefähren Tagesmarsch einer Kamelkarawane entsprechend, hätten zur Zeit der Nabatäer solche befestigten und bewachten Raststationen die vom Persischen Golf nach Gaza führende Spice Route flankiert, erzählt Ziv.
Schon nach unserem ersten Tag in der Wüste Negev schwirrt uns der Kopf vor Eindrücken, Informationen, Geschichten aus längst vergangenen und hier doch auf Schritt und Tritt präsenten Tagen. Dabei fängt das Abenteuer mit Tag zwei erst so richtig an. „Keep riding, guys“, sagt Ziv. Gerade hat er unsere für die Nacht im Beduinenzelt gepackten Koffer übernommen. Sie sind prall gefüllt und schwer.

SCHLUCHTEN UND DIE ENDLOSE WEITE
Die Tour beginnt am Grab des Staatsgründers David Ben Gurion bei der Negev-Hochschule Midreshet Sde Boker. Über eine kurvige Straße fahren wir hinunter in die Canyonartigen Schluchten des Wadi Zin und weiter auf Jeep-Tracks, bis uns ein Fahrverbotsschild den Wechsel auf zwei Beine gebietet. Gerade als uns die Vokabel ausgehen, um die Mischung aus tiefblauem Himmel, kreidebleichen Kalkfelsen und grünen Sumpfpflanzen in immer neuen Worten zu bewundern, zweigt unser Weg ab, hantelt sich geradewegs die Felswände empor und entlässt uns in die endlosen Weiten des kargen Hügellandes um Avdat.
Am Fuße des UNESCO-Weltkulturerbes wechseln wir wieder auf die Räder. Im Vorbeifahren zeigt uns Ziv eine Tausende Jahre alte Zisterne, macht uns auf Felsmalereien aufmerksam, die bis in die Jungsteinzeit zurückdatieren und erzählt Geschichten von möglichen Wirkungsstätten Moses. Als krönender Abschluss der Tour folgt der „Widow Trail“: Lenkerbreit mäandert dieser die Hügel hinab, ausnahmsweise liegen kaum Steine im Weg. Auf überraschend griffigem Sand rollen wir sanft dem Talboden entgegen.

BEDUINEN UND SCHWARZTEE
„Keep listening, guys“, sagt Ziv. Soeben hat er uns in die Beduinen-Siedlung Aricha geshuttelt. Wir werden in ein aus Plastikplanen, Ziegenhäuten und Teppichen erbautes Zelt gebeten. Bis auf eine bereits aktive Feuerstelle sowie unzählige bunte Matten ist der riesige Raum leer. Unsere gestylten Koffer und Trolleys wirken deplatziert. „Welcome to my mother’s house“, begrüßt uns ein hochgewachsener Mann mit weißem Turban, labbrigem Kapuzenpulli und abgenützten Turnschuhen.

Mit ruhiger Stimme führt uns Salman in die Geschichte seiner Familie, seine Lebensweise und seine Gebräuche ein. Der Halbnomade erzählt vom Gebot der Gastfreundschaft, von Problemen mit den Nationalparkrangern und vom guten Auskommen, das ihm seine Ziegen gewähren. Lange sitzen wir am Abend mit unseren Begleitern um das Lagerfeuer, gesättigt von köstlichem Huhn mit Gemüse und Reis, gepusht von süßem Schwarztee mit Koffein, und erleben Israel, wie es wohl nur wenigen Touristen vergönnt ist.

JEEP-TRACKS UND KAMELPFADE
„Keep walking, guys“, sagt Ziv. Die Nacht im Zelt war überraschenderweise nicht kälter als jene in den ungeheizten Hütten seiner Lodge. Nun entlässt uns der Drahtzieher des Wüstentrips erneut in die Obhut von Salman. Zu Fuß führt uns der Beduine tiefer in das Land seiner Vorfahren. Allenthalben weist er uns auf Relikte des ausgeklügelten Bewässerungssystems der Nabatäer hin, mit dem diese die wenigen Niederschläge auf ihre Felder geleitet hatten. Eindrucksvoll beweist Salman anschließend, dass er selbst nicht weniger versiert im Umgang mit dem Nichts scheint: Aus etwas Wasser und Mehl knetet er einen Teig, entfacht ein Feuer aus dem umliegenden Gestrüpp und bäckt in dessen heißer Asche delikates Fladenbrot.
Dermaßen gestärkt, sind wir gerüstet für die nächste Radtour: durch die mächtigen Trockentäler des Nachal Aricha und Nachal Chawa zurück zum Machtesch Ramon. Mit den Mountainbikes bewegen wir uns mehrheitlich auf alten Kamelpfaden. Weil die Wüstenschiffe nur geringe Höhenunterschiedepro Tritt absolvieren, halten sich deren Steigungen in Grenzen. Trotzdem sind die Trails technisch anspruchsvoll. Ständig manövrieren wir vorbei an Felsbrocken, balancieren über schmale Grate, hoppeln über kleine Stufen und rutschen über loses Gestein.
Meist dauert es daher nicht lange, bis in dem Land, wo Milch und Honig fließen, auch der Schweiß in kleinen Bächen rinnt. Allerdings wählt Ziv diese Routen nur, weil er weiß, dass wir die Herausforderung suchen. Auf den Jeep Trails ginge es jederzeit auch einfacher.
Ausgepowert, aber glücklich, erreichen wir nach vier Stunden knackiger Fahrt wieder die Desert Lodge. Die einfachen Gemeinschaftsduschen erscheinen nach zwei Tagen ohne Sanitäranlagen wie ein Wellnesstempel. Dass der Tacho nur lasche 40 Kilometer und 500 Höhenmeter ausspuckt, tragen wir mit Fassung. Herz und Hirn haben dafür mit einem umso größeren Datenwulst zu tun.

Hike & Bike in Israel: Wüste Negev / Bild: Erwin Haiden

HIKE AND BIKE - WANDERN UND BIKEN
Einen weiteren Tag verbringen wir am und im Krater Ramon, wandern und biken entlang der Spice Route, bewegen uns auf den Spuren von Nomaden, Kamelen und Co. – und verlieren uns im sanften bis dramatischen Auf und Ab des Landes, wo alles begann. Bevor wir hierher kamen, hatten wir keine Ahnung, was uns erwarten würde. „Biken in Israel, geht das überhaupt?“ wurden wir gefragt, und wussten die Antwort selbst nicht so genau. Jetzt ahnen, nein, wissen wir, dass wir wiederkommen werden. In diese Wüste mit ihren offenen und verborgenen Reichtümern, ihrer Weite, Stille und Farbenpracht. Und zu diesen Menschen, die uns so völlig eingenommen haben, mit ihrer Offenheit, ihrem Wissen, ihrer Wärme und Gelassenheit.
Letzter Abend. Wir sitzen erneut im Aufenthaltsraum der Desert Lodge zusammen. Ziv kommt aus der Küche, eine riesige Stielpfanne in der Hand. Darin süßlicher Reis und gegrillte Barramundis. Wie ziemlich alles, was der exzellente Koch serviert, stammt auch der Fisch aus dem Negev, wird gezüchtet in Salzwasserbecken etwas nördlich seiner HauptstadtBe‘er Sheva.
Ziv blickt sich um. Einige plaudern, schauen über die geschossenen Fotos, fast alle Computer sind aus, die Handys liegen irgendwo. „Bete`avon“, sagt unser Gastgeber. Ein zufriedenes Lächeln umspielt seinen Mund.


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