Ein Training muss Muskelkater verursachen, ein Wanderschuh knöchelhoch sein – was früher Gewissheit war, gilt heute längst nicht mehr. Leichte, niedrig geschnittene Lowcut-Wanderschuhe sind eindeutig auf dem Vormarsch.

Christof Domenig
Christof Domenig

Wer in den Bergen unterwegs ist, sieht es mit eigenen Augen: Leichte, niedrig geschnittene Wanderschuhe sind beliebt wie nie. Und sie verändern auch, wie wir über Stabilität denken. Ein stabiles Gefühl beim Wandern kommt nicht vornehmlich von einem hohen Schaft, sondern vielmehr von Materialien und Bauweisen heutiger Schuhe. „Ein moderner Wanderschuh ist heute mehr Hightech-Sneaker als klassischer Wanderstiefel“, sagt William Starka, Senior Product Manager Footwear von Salewa. Der Fokus, den Salewa verfolgt, liege auf einem „Fast and Light“-Ansatz, so Starka. „Grenzen zwischen Trailrunningschuhen, Zustiegsschuhen und klassischen Wanderschuhen verschwimmen zunehmend“, sagt Starka – heraus kommen leichte und dennoch stabile, robuste Schuhmodelle, wie es sie vor wenigen Jahren noch nicht gab.

Neue Materialien wie Kevlar, Ripstop-Verstärkungen oder innovative Sohlen sorgen dafür, dass auch leichte Schuhe den Belastungen auf anspruchsvollen Wanderwegen standhalten. Dabei setzen Hersteller auf Komfort-Technologien wie anatomisch geformte Fußbetten, präzise Schnürsysteme und atmungsaktive, elastische Oberstoffe mit integrierten Verstärkungen, die für zusätzlichen Seitenhalt sorgen. Der Vorzug der „Lowcuts“: Sie bieten eine natürliche Bewegungsfreiheit für den Knöchel, was sich beim Gehen und Klettern deutlich spüren lässt. „Ich bin im Laufe der Zeit von halbhohen Schuhen überwiegend auf Lowcut-Wanderschuhe umgestiegen“, erzählt Starka. „Die Leichtigkeit und Beweglichkeit sind für Tageswanderungen auf gut ausgebauten Wegen unschlagbar.“ Dank geringem Gewicht der Schuhe ermüdet man langsamer, und viele Modelle sind direkt aus dem Schuhkarton heraus bequem. Gute Gründe, warum viele heute mit modernen Lowcut-Wanderschuhen unterwegs sind. 

Wer sich für Lowcuts interessiert, sollte allerdings zwischen zwei Hauptkategorien unterscheiden: Trailrunning-ähnliche Speed-Hiking-Schuhe sind leicht, gut gedämpft und extrem beweglich – ideal für erfahrene Wanderer, die sich schnell und sportlich fortbewegen wollen. „Für technisch schwieriges Gelände oder Gehen mit schwerem Gepäck sind sie aber nicht gemacht“, betont Starka. Zustiegsschuhe dagegen sind die robuste Variante für felsiges Terrain, Klettersteige oder Touren mit Klettereinlagen. „Sie bieten steifere Sohlen, präzise Zehenzonen und viel Grip – performen dabei fast wie Kletterschuhe“, erklärt der Experte. „Für einfache Wege sind sie aber überdimensioniert.“

Die Rolle von Leder und Gore-Tex
Tobias Gramajo, Produktmanager bei La Sportiva, bestätigt ebenfalls, dass die Nachfrage nach Lowcuts weltweit hoch ist – ganz besonders bei der jungen Zielgruppe mit noch wenig Bergerfahrung. Er weiß: „In Europa dominieren derzeit Schuhe mit niedrigem bis mittlerem Schaft – während in Nordamerika noch mehr Mid- bis Highcuts gefragt sind.“ Parallel beobachtet Gramajo einen Trend zur Nutzung von Trailrunning-Schuhen für Wanderungen – eine weitere Ausdrucksform des „Fast and Light“-Gedankens.

Trotz des Trends zu leichten Materialien hat auch Leder seinen Platz im Lowcut-Segment. „Lederschuhe stehen im Ruf höchster Qualität“, so Gramajo. „Sie bieten extreme Haltbarkeit, Komfort und Temperaturregulierung.“ Zudem lassen sich viele Modelle dank Wiederbesohlungssystemen reparieren – ein Plus für Umwelt und Langlebigkeit, auf das der Experte speziell hinweist.

Wie sieht es mit Gore-Tex in Lowcut-Schuhen aus? „Die Nachfrage ist extrem hoch“, erklärt Gramajo. Neue Generationen der Membran bieten Nässeschutz bei gleichzeitig guter Atmungsaktivität – und damit ein angenehmes Fußgefühl.

Zur Tour muss er passen
Lowcuts stehen also für Komfort, Dynamik und technische Innovationen. Sie bringen ein sportliches, leichtfüßiges Gefühl auf die Wanderwege – setzen aber Trittsicherheit und ein gewisses Maß an Erfahrung voraus. Doch auch Midcut-Modelle haben nach wie vor ihre Daseinsberechtigung und treue Anhänger: Sie bieten zusätzliche Stabilität, besseren Schutz bei schwerem Gepäck und mehr Sicherheit im unwegsamen Gelände. Manche Hersteller bieten heute sogar ein und dasselbe Modell mit verschiedenen Schafthöhen an – je nach Anspruch und Einsatzgebiet. Am Ende zählt nicht der Trend – sondern die richtige Wahl zwischen Gelände, Können und persönlichem Wohlgefühl.