Welche Emotionen bleiben nach einer Wanderung oder Bergtour hängen? Der Weg macht schon ­einen Großteil ­davon aus. Je schmaler, umso mehr ­Erlebnis. Aber wie wird der Weg und die Wanderung ­erlebbar? Und was macht ­Corona mit dem heimischen Wandertourismus?

Christoph Heigl
Christoph Heigl

Welches Foto zeigst du nach einer Wanderung sofort deinen Freunden? Was postest du auf Instagram oder Facebook? Was kommt fix ins Familienalbum? Welches Erlebnis bleibt hängen? Wem bist du begegnet? Was hat dich berührt? 

Emotionen sind es, die unsere Erlebnisse besonders, spürbar und nachhaltig machen. Und besonders berichtenswert. Der Schnürlregen, der dich in der Hangquerung erwischt, dich aber fünf Minuten später mit einem schimmernden Regenbogen über dem dampfenden Tal entlohnt. Der Schweinsbraten, der dich die letzten 70 Meter wie ein Magnet zur Almhütte zieht. Der Steinbock, der majestätisch nickt und dir Demut und Dankbarkeit einimpft. Das Gespräch mit der Sennerin, nach dem du den Stress deiner Arbeitswoche ganz anders siehst. Bei all diesen Erlebnissen bist du unterwegs auf deinen zwei Beinen. Auf einem Weg, einem Steig, einer Almwiese. Dieser Weg ist beim Wandern die Grundvoraussetzung, etwas zu erleben. Das definiert Andreas Kranzmayr sogar noch präziser: „Das Wandererlebnis steigt mit dem Sinken der Wegbreite.“ Der gebürtige Münchener war jahrelang Wanderführer im Alpen- und Mittelmeerraum, ist Geschäftsführer der Alpinen Wandermanagement GmbH und bietet eine Wandertourismus-Akademie an.

Je schmaler der Weg, umso größer das Erlebnis, ist er überzeugt. Beim Wandern denken wir ja ohnehin nicht an asphaltierte Bergautobahnen und riesige Gruppen anderer Wanderer um uns. „Bergauf ein schmaler Weg sorgt für ein intensives Bergerlebnis. Je naturnaher, umso intensiver ist das Wandererlebnis“, weiß Kranzmayr. Auch wenn das meistens bedeutet, dass die Route, wenn sie enger und steiler wird, auch anspruchsvoller wird. Überfordert sollte aber keiner sein. Im Idealfall ist man am Weg in Gedanken voll bei sich, mit sich selbst beschäftigt. Hintereinandergehend. „Es braucht beim Wandern aber auch andere Qualitäten“, so Kranzmayr. „Für die soziale Komponente sorgen die Hütte oben, der Gipfel oder vor allem der Retourweg über einen breiten Wanderweg oder die Forststraße. Hier kann man dann das Erlebte in der Gruppe besprechen, tratschen und Erlebnisse verarbeiten.“ Gemeinsam in der Gruppe. Die ideale Wanderung könnte aus diesem Kontrast bestehen: bergauf ein schmaler, enger, naturnaher Pfad, bergab ein breit angelegter Weg. 100 Alternativen sind genauso denkbar. Immer nur der schönste Pfad sei auf Dauer jedenfalls zu monoton, selbst ein durchgehend spektakulärer Grat verliert seinen Reiz. „Das ist wie bei einer Fotosafari. Am ersten Tag wird jeder Löwe fotografiert, am dritten Tag  nur noch der Größte.“ Kranzmayr nennt das „Erlebnisreiz­wechsel“.

Jetzt in ­Corona- und Post-Ausgangsbeschränkungszeiten sind Touristiker und Marketing besonders gefragt. „Der Markt ist kleiner geworden und zusammengerückt“, sagt Kranzmayr. „Die Wanderwochen auf den Kanaren sind vorerst genauso wenig Thema wie Marokko, Griechenland und die Türkei, viel Mitbewerb fällt also weg. Das ist gut für jene in Österreich, die sich bereits als Wanderregion aufgestellt haben.“ Aber dafür ist innerösterreichisch das Ringen um den Urlaubs- und Wandergast so richtig losgegangen. Einen Startvorteil haben jene, die von Haus aus mit einer hochattraktiven Landschaft punkten können, also in erster Linie mit Bergen und Seen. Kranzmayr spricht aber gerne auch von den „schlummernden Potenzialen“ in vielen Regionen. „Wir haben ja nix“, hört er oft in Orten, wo vermeintlich wenig Spektakuläres zu finden ist. Dabei sind da oft die besten Geschichten versteckt, man müsse sie nur mit „Gefühl und Gespür“ erzählen. Das könne man versuchen, so Kranzmayr, „über eine Kreativagentur extern anzukaufen“, oder selbst „mit viel Herzblut, Ecken und Kanten“ und authentisch zu vermitteln. „Wie funktioniert die Landschaft? Was für ein besonderes Zusammenspiel haben Berg und Tal? Das alles kann man dem Gast erlebbar machen.“ Und das sei sehr individuell und im Gasteiner Tal anders als auf der Turrach, im Joglland, im Mostviertel oder an der Donau. Die Besonderheit der Landschaft gilt es herauszuarbeiten.

Das Wandererlebnis sinkt steigt mit dem Sinken der Wegbreite.

Andreas Kranzmayr

„Jedes Dorf, jedes Tal hat seinen eigenen Charakter“, ist er überzeugt, „und im Kern bin auch ich immer noch Wanderführer und will das Besondere einer Region vermitteln.“ Und dabei mache es gar nichts, wenn etwa die in den winterlichen Werbetexten oft stereotyp verwendete „romantische Pferdeschlittenfahrt durch die tiefverschneite Landschaft“ vorkommt. „Gar kein Problem. Die Pferdeschlittenfahrt kann ein Werkzeug sein, wo hinzukommen und das Besondere aus der Landschaft herauszulesen. Wieso ist das hier der schönste Ort der Welt?“ Die Pferdeschlittenfahrt als Weg zum Erlebnis. Auch die Anreise zum Urlaubsort könne schon ein wesentlicher Teil des Erlebniswertes sein. „Früher sind die Wiener mit der Bahn zur Sommerfrische auf den Semmering gefahren. Und auch heute kann man mit einer entspannten Zugfahrt in die Destination werben und den Leuten sagen, was sie alles vom Zugfenster aus schon sehen und erleben können.“ Wenn Kranzmayr vom Wandermarketing spricht, fallen Begriffe wie Storytelling, Wandern 4.0, Markenräume, Markenversprechen und Markenerlebnis. Er kann das auch in ganz einfache Geschichten packen.

Story 1 zum Thema Empathie
„In einer kleinen Pension lag am Tisch  im Zimmer ein hochwertiges Regionsmagazin, mit den richtigen, zum Betrieb passenden Seiten schon aufgeblättert. Auf der Garderobe war ein kleines Set mit Stoff, Nadel und Faden – für kleineres Flickwerk, wenn am Berg was kaputtgeht. Da ist beim Gast sofort präsent: Da hat sich jemand was gedacht dabei.“

Story 2 zum Thema Zeit und Entschleunigung
„Man muss nicht immer so schnell wie möglich ins Tal, man kann auch so lange wie möglich am Berg bleiben.“ Bei einer Wanderung hastete Kranzmayr nicht mit der Gruppe ins Tal, sondern blieb alleine und länger oben und kam dann erst gegen 18 Uhr beim Rückweg noch an einer einsamen Alm vorbei. Der Bauer dort war verwundert: „Mit dir stimmt jo wos net“, habe er festgestellt. „Du bist spät dran und hatscht net.“ Sofort kamen die beiden ins Gespräch, der Bauer zeigte ihm sogar seine kleine Käserei – bleibende Eindrücke, weil Zeit war.

Story 3 zum Thema Zeit und ­Reife
Als Wanderführer erkundete Kranzmayr die Insel Lanzarote und scoutete passende Routen und Geschichten für seine Gäste. Stunden- und tagelang kraxelte er durch ödes Lavagestein und fand: nichts. Am Abend des dritten Tages war er knapp am Verzweifeln. „Da habe ich im Streiflicht des Sonnenunterganges kleine, begehbare Wege in der Lava entdeckt und dadurch ein ganzes Wegenetz gefunden.“ Seine Erkenntnis: „Man muss reif sein, bis die Landschaft den Reiz und die Besonderheit offenbart.“ Und jeder Weg zum Erlebnis wird. 

Die Europäische Wandertourismus-Akademie
Die Akademie versteht sich als Bildungspartner von Organisationen wie Tourismusregionen, Angebotsgruppen und Vereinigungen. Ziele: Markenerlebnis und Qualität steigern. „In den gesättigten Tourismusmärkten ist heute eine strahlkräftige Differenzierung von den Marktteilnehmern notwendiger denn je. Die Faktoren: ein begeisterndes (Marken-)Erlebnis und eine bedarfsorientierte Basisleistung. Kenntnis um schlummernde Potentiale und deren kreative Nutzung ist gefragt.“ Die Akademie unterstützt Wandertouristiker mit neuen Denkansätzen. 
WEB: www.wandertourismus-akademie.eu
 

Andreas Kranzmayr

Andreas Kranzmayr
(Bild) ist Geschäftsführer „Alpines Wandermanagement“ in Klagenfurt. Spezialist für Wandertourismus. Kern: Wie mache ich Wandern zum Markenerlebnis?
WEB: www.alpines-wandermanagement.at