Angelino Zeller wurde Ende September 2025 in Seoul, Südkorea, zum vierten Mal Weltmeister im Paraclimbing. Schon zuvor haben wir den Grazer zum ausführlichen Interview getroffen.
Angelino, wie bist du zum Klettern gekommen?
Angelino Zeller: Ich bin sehr sportlich aufgewachsen. Meine Eltern hatten eine Skischule, also war ich schon früh beim Skifahren, Snowboarden und bin auch recht früh zum Klettern gekommen. In der Volksschule habe ich dann zum ersten Mal geklettert. Das hat mir irrsinnig Spaß gemacht – und irgendwann bin ich dann hauptsächlich draußen klettern gewesen. Schließlich war es so weit, dass ich auch mit dem Paragleiten begonnen habe – bei dem dann mein Unfall passiert ist.
Wie kam es zu dem Unfall?
AZ: Ich war mit einem Freund am Schöckl fliegen. Es war schon November, der Wind wurde ein bisschen stärker, was grundsätzlich nicht schlecht ist, weil man mit dem Wind ein bisschen spielen kann. Er ist dann aber extrem böig geworden und als ich landen wollte, hat mir in etwa 20 Metern Höhe eine Böe den Schirm eingeklappt. Ich bin im Sitzen auf einer Lichtung aufgeschlagen. Der Schirm hat sich über ein Gebüsch gelegt und mein erster Gedanke war: „Jetzt muss ich den irgendwie ausfädeln.“ Aber dann habe ich gemerkt, ich kann nicht mehr aufstehen, hab zu den Füßen gegriffen – ich habe nichts gespürt. Da war klar: Das ist etwas Gröberes. Mein Freund ist zu mir gelaufen, hat mir geholfen, und ich bin mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus gekommen.
Was war die Diagnose?
AZ: Der 12. Brustwirbel war zerbröselt, das Steißbein abgebrochen – wobei das nicht so tragisch war. Aber beim Brustwirbel war klar: Querschnitt. Die Ärzte wollten es mir erst gar nicht sagen, aber irgendwann hieß es, ich werde meine Beine nie mehr bewegen oder spüren können. Natürlich schluckt man da einmal. Aber für mich war relativ schnell klar: Ich kann es eh nicht ändern. Also akzeptiere ich es und mach das Beste draus. Dieses Denken habe ich, vor allem auch dank meiner Großeltern, schon von klein auf mitbekommen – ich bin mit einem extrem positiven Mindset aufgewachsen. Wenn es eine Situation oder quasi ein Problem gibt, dass man es entweder ändert oder wenn man das nicht kann, das Beste daraus macht. Dadurch ist es mir immer gut gegangen, ich war nie in einem Loch.
Wie bist du wieder beim Klettern gelandet?
AZ: Durch die Reha: Man probiert dort ganz viele Sportarten aus: Tennis, Skifahren, Bogenschießen … und eben auch Klettern. Eigentlich wäre es nicht meine Idee gewesen, zu klettern, weil man ja aus den Beinen heraus klettert und nicht mit dem Oberkörper. Aber dann habe ich es ausprobiert – und gemerkt, dass es überraschend gut funktioniert. Bei dieser Veranstaltung waren auch Leute vom Nationalteam dabei, die haben es mir erklärt, und gefragt, ob ich nicht Lust hätte, Wettkampfklettern zu probieren.
Paraclimbing war damals noch recht jung, oder?
AZ: Als Klettern olympisch geworden ist, war es die Vorgabe, dass jede olympische Sportart eine Parasportart braucht. 2017 hat man ein Parateam gesucht, ich bin 2018 dazugekommen. Ich hatte durch meinen Beruf als Schlosser und Industriekletterer schon eine gute Grundfitness. Mein erster Wettkampf war 2018, anfangs haben wir einmal pro Woche trainiert. Und mit den Erfolgen wurde es immer mehr. Eigentlich war ich nie ein Wettkampftyp, ich wollte Sport immer für mich machen, weil es mir Spaß gemacht hat. Aber beim Klettern ist das so familiär – das hat mich voll reingezogen.
Und wie hat sich die Sportart seither entwickelt?
AZ: Am Anfang waren wir vielleicht 100 Starter bei den internationalen Wettkämpfen, heute sind wir bei 250. Mehr Bewerbe, die Leistungsdichte wird immer höher. Das Niveau steigt jedes Jahr. Es macht richtig Spaß zu sehen, wo das hingeht – vor allem jetzt, wo Paraclimbing 2028 paralympisch wird.
Dass gerade ihr „Hangler“ nicht im paralympischen Programm landet, ist ein Wermutstropfen … Gerade eure Klasse ist eine, die Aufmerksamkeit generiert, wo die Leute hinschauen, hört man.
AZ: Wenn ein Rollstuhlfahrer zu klettern anfängt, das hat schon so einen Hinschau-Effekt. Wir waren bei den Bewerben oft die letzte Kategorie, das Highlight. Viele haben gedacht: Die sind fix dabei. Ein Thema war, dass es bei uns nicht so viele Frauen gibt, weil es sehr kraftlastig ist. Andere Kategorien haben mehr Starterinnen, und das war wohl ausschlaggebend. Natürlich ist es schade, aber es ist wie es ist. Ich klettere nicht nur wegen der Paralympics. Mir taugt es einfach. Und vielleicht ergibt sich’s ja 2032 – vom Alter her geht sich das auch noch aus.
Ihr klettert nur mit den Armen, deswegen hauptsächlich an Überhängen – welche Besonderheiten gibt es in deiner Klasse noch?
AZ: In meinem Fall klettere ich nur mit dem Oberkörper. Ich habe einen inkompletten Querschnitt, kann die Beine ein bisschen bewegen, zum Schwung holen, aber nicht zum Steigen. In meiner Klasse klettern alle, die die Füße nicht sinnvoll einsetzen können. Überhänge sind für uns am besten – sonst schleifen die Beine oder man verletzt sich. Das ist extrem kraftlastig, sehr anstrengend. Bei unseren Routen wird auch darauf geachtet, dass wir Passagen technisch ohne Füße lösen können – wo man mit den Füßen gegendrücken muss, diese Züge schaffen wir nicht. Aber es gibt in jeder normalen Kletterhalle genug Routen, die ich klettern kann. Mittlerweile kann ich auf sehr guten Griffen einhändig hängen, rasten und die andere Hand ausschütteln – was ich früher nie geglaubt hätte.
Gab es einen speziellen Moment, an dem du wusstest: Das ist genau deins?
AZ: Ein solcher Moment war schon beim ersten Versuch in der Reha, als klar war: Es funktioniert und es macht Spaß. Dass es einmal so groß wird, hätte ich nie gedacht. Spätestens nach dem ersten Weltmeistertitel (2019, Anm.) war klar: Da geht richtig was. Ein Schlüsselmoment war aber auch draußen am Fels – in den Adlitzgräben habe ich nach dem Unfall meine erste Route gemacht, fast direkt neben der Straße, also ohne großen Zustieg. Dieses Gefühl: Wahnsinn, ich klettere wieder draußen! Das war etwas ganz Besonderes.
Du hast mittlerweile 8a-Routen geklettert. Wie fühlt sich das an?
AZ: Vor dem Unfall war ich maximal im 6. oder 7. Grad unterwegs – und das waren schon Projekte für mich. Jetzt klettere ich ohne Beine 8a, also ungefähr den 10. Grad. Das ist für mich immer beeindruckend, wozu der Mensch in der Lage ist – früher hätte ich mir nicht gedacht, dass man so schwer klettern kann, schon gar nicht ohne Beine. Aber es funktioniert.
Wie kann man einem Laien eine 8a-Route erklären?
AZ: Für einen Hobbykletterer schon so, dass man sich fragt: Wie ist das möglich? Winzige Griffe, extrem überhängend, weite Züge. 9b oder 9c, das Maximum, das wäre der 12. Grad oder so in der europäischen Skala, ist für mich als Profikletterer schon gar nicht mehr vorstellbar. Aber für mich geht’s gar nicht so sehr um die Schwierigkeit, sondern generell darum, Routen am Fels durchzuklettern. Es hat auch eine 6c gegeben, die ich vom Einstieg weg im ersten Versuch nach oben geschafft habe, was mir irrsinnig viel gegeben hat.
Wettkampfklettern und Felsklettern im Vergleich – ist das eine die Pflicht und das andere die Kür?
AZ: Das ist ein guter Vergleich. Wettkampfklettern ist im Moment mein Beruf. Dort verdiene ich Geld, trainiere gezielt, habe Sponsoren. Es macht mir aber auch echt Spaß, weil die Szene so familiär ist. Aber draußen am Fels ist es noch einmal etwas anderes: Man muss Lösungen selber finden, ist abhängig von der Natur. Es macht mir vielleicht noch ein bisschen mehr Spaß. Ein Traum war immer Mehrseillängenklettern – den habe ich mir heuer in den Dolomiten erfüllt. Ein wahnsinnig cooles Erlebnis. Da möchte ich in Zukunft sicher noch mehr investieren.
Was macht für dich im Kern das Besondere des Kletterns aus? Das „Im-Moment-Sein“?
AZ: Auf alle Fälle. Das ist im Genussklettern und im schweren Klettern sehr ähnlich. Wenn man hoch konzentriert ist, ist man komplett im Jetzt, hat keine Gedanken an irgendwas anderes. Einfach nur dahinklettern. Man kommt so in den Flow, dass alles automatisch passiert. Das ist ein lässiges Gefühl. Und natürlich auch das Grenzen verschieben – zu merken, dass man mehr schafft, als man glaubt. Das ist schon etwas sehr Cooles.
Und die Kletter-Community, die du schon erwähnt hast?
AZ: Sehr familiär. Es gibt im Klettern fast kein Gegeneinander. Natürlich, man klettert gegeneinander, aber es gibt eine Besichtigung, man tauscht sich über Lösungen aus, supportet sich gegenseitig. Am Ende gewinnt der Stärkste, aber das Miteinander ist immer da – ob am Fels oder im Wettkampf. Das ist beim Klettern wirklich etwas Besonderes.