Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Folgerichtig drehen viele Freizeit­läufer oft die gleiche Runde und meist im gleichen Intensitätsbereich. Effektiv ist das jedoch nicht. Warum wechselnde und immer wieder neue Reize im Training für fast jeden Läufer besser sind.

Christof Domenig
Christof Domenig


Dienstag, Donnerstag und Samstag poppt die Erinnerungsfunktion am Handy auf: „Heute Laufrunde“. Zu Beginn jeder Hobby-Laufkarriere ist Regelmäßigkeit das Um und Auf. Als Einsteiger ist es nämlich gar nicht so leicht, sich auch bei Winter und Kälte aufzuraffen oder morgens aus dem Bett zu kommen und die Laufschuhe zu schnüren.

Hat man als Läufer den Anfängerstatus dann überwunden, wird zu große Regelmäßigkeit bald kontraproduktiv. Vor allem Regelmäßigkeit im Sinn von Gleichförmigkeit, wie sie von vielen praktiziert wird: Die immer gleiche Runde – und noch häufiger zu beobachten: die immer gleiche Intensität. Ein Blick auf die Trainingslehre zeigt, warum das so ist. Training wirkt, wenn die Belastung so gewählt wird, dass der Körper sie nicht kennt und zu einer Anpassung gezwungen wird. Für Einsteiger ist jede Belastung noch ungewohnt und damit trainingswirksam. Hat man den Einstieg geschafft und ist der Körper die Belastung einmal gewohnt, dann braucht es dagegen neue, unbekannte, variierende Reize.

Auch der SPORT­aktiv-Laufcoach, Sportwissenschafter Herwig Reupichler, ortet den Fehler der meisten Freizeitläufer bei der immer gleichen Intensität, in der trainiert wird. „Meist wird im Bereich zwischen aerober und anaerober Schwelle gelaufen, jener Bereich, den man nicht umsonst als ‚Wohlfühlbereich‘ bezeichnet. Da läuft es leicht, man kann, wie oft empfohlen wird, noch gut plaudern und macht zugleich recht ordentlich Kilometer. Bloß: Der Leistungsfortschritt ist nur klein.“ 

Polarized Training
Stattdessen empfiehlt der Lauftrainer sein Training zu „polarisieren“. Hobbyläufer aller Leistungsklassen können sich hier vom Ausdauerspitzensport etwas abschauen. „Mit einem Polarized Training“, erklärt Reupichler, „bei dem hauptsächlich in zwei Polen trainiert wird: lang und locker oder kurz und wirklich hart.“ Pol eins sind lange Grundlagenausdauertrainings im geringen Intensitätsbereich. Dem Thema haben wir in der letzten Ausgabe eine große Story gewidmet (nachzulesen im E-Paper: magazin.sportaktiv.com, Ausgabe Dezember 2020 – die Hard Facts zu dieser Trainingsform stehen auch im Kasten links zusammengefasst). Die Grundlagenausdauereinheit wird im Bereich von höchstens 70 Prozent der maximalen Herzfrequenz, an der aeroben Schwelle, gelaufen. Bei diesen Einheiten ab 90 Minuten Länge wird der Fettstoffwechsel trainiert. Man braucht dabei allerdings Geduld, das Gefühl diktiert einem, wirklich langsam unterwegs zu sein und problemlos schneller zu können.

„Wird man allerdings zu schnell, ist man mittendrin im Kohlenhydratstoffwechsel. Es fühlt sich immer noch leicht an – ist aber eben nicht mehr effektiv.“ Der Körper läuft nämlich sozusagen mit unterschiedlichen Treibstoffen – ähnlich einem Hybridauto, das je nach Situation Strom oder Benzin als Energiequelle nutzt. Das Problem beim Körper: Während Fettreserven im Übermaß vorhanden sind (das gilt auch für austrainierte Spitzenausdauersportler), sind die Kohlenhydratspeicher des Körpers limitiert. Würden nur Kohlenhydrate zum laufenden Vortrieb genutzt, wären im Schnitt nach rund eineinhalb Stunden sozusagen „die Kohlen aus“. Deswegen ist es für Ausdauersportler so wichtig, den Fettstoffwechsel zu trainieren.

Der zweite Pol: Ebenfalls ein Mal in der Woche am Programm sollte eine Intervalleinheit stehen. „Die Intervalle sollen aber nicht nur ein wenig hart, sondern möglichst richtig hart sein.“ Wer eine Zahl lesen will: Über 90 Prozent der maximalen Herzfrequenz – wobei man sich die Pulsmessung hier sparen kann. „Einfach den Puls richtig raufschießen lassen“, empfiehlt Reupichler. In diesen Trainings findet die größte Leistungsentwicklung statt. Für diese harten Einheiten  sollte man internistisch gesund sein – „eine Leistungsdiagnostik mit Belastungs-EKG sollte man sich ein Mal pro Jahr leisten.“ Angst vor zu hoher Belastung ist aber nicht nötig: Im Hobbyfußball etwa ist man mit ein bisschen Ehrgeiz bei ähnlichen Belastungsspitzen. Ergänzt werden die beiden wöchentlichen Pole von Hobbyläufern sinnvollerweise von einem dritten Lauf: einem mittellangen Fahrtspiel mit unterschiedlichem Tempo, Bergauf- und Bergabpassagen „nach Lust und Laune.“ Rund um dieses Gerüst lässt sich dann ein gut strukturiertes und wirklich wirksames Lauftraining bauen und je nach Zeitressourcen noch ergänzen. Der Lohn ist der bald merkbare Fortschritt, der sich etwa in der gesunkenen Herzfrequenz bei gleichem Tempo zeigt. 

Eine Leistungs­diagnostik mit Belastungs-EKG sollte man sich ein Mal pro Jahr leisten.

Sportwissenschafter Herwig Reupichler

Crosstraining
Der Grundgedanke des Werts eines abwechslungsreichen Trainings lässt sich freilich weiterspinnen, über die Kernsportart hinaus. Gerade jetzt, wenn auf den Bergen noch Schnee liegt, landet man rasch beim „Crosstraining“. Es muss und soll nämlich selbst für ambitionierte Läufer nicht immer Laufen sein. Für reine Gesundheitssportler gilt das sowieso. Doch gerade im Winter und wenn Wettkämpfe noch weiter weg sind, ist ein Crosstraining auch für Leistungsorientierte eine extrem sinnvolle und Spaß machende Variante. Unter Crosstraining versteht man das Training in unterschiedlichen Sportarten, deren Ziele sich sinnvoll ergänzen.

Für Läufer und auch Radfahrer sehr gut geeignete Sportarten sind jetzt Langlaufen, Skitourengehen oder auch Eislaufen. Abgesehen vom unbestritteten mentalen Anreiz, den diese Natursportarten bieten, lassen sich winterliche Grundlagenausdauereinheiten von Läufern und Bikern damit hervorragend ersetzen. Und zugleich zusätzliche Reize erzielen, sind doch andere und mehr Muskelgruppen beteiligt als in der Hauptsportart. Beim Langlaufen empfiehlt der Experte Einsteigern eher das klassische Langlaufen, um den Puls im Grundlagenbereich halten zu können. Beim Skaten muss man schon über eine gute Technik verfügen, um die Herzfrequenz im Zaum zu halten. Tipp für die Loipe: „1,5 Stunden am Vormittag, dann eine längere Pause, und dann noch einmal 1,5 Stunden. Mit Langlaufen ist das gut zu verkraften.“

Und die Gesundheitsperspektive? Aus dieser ist ein abwechslungsreiches Training das ganze Jahr über zu empfehlen. Schwimmen, Radfahren und Laufen ergänzen sich zum Beispiel gut: „Triathlon wird ja oft als extrahart angesehen. Tatsächlich aber ist es im Ausdauerbereich eine der gesündesten Sportarten“, sagt Reupichler und liefert die Begründung: „Schwimmen etwa hilft, den Trainingsreiz vom Laufen oder Biken zu verarbeiten, es beschleunigt damit die Regeneration, auch der Rücken geht beim Schwimmtraining auf.“ Für Läufer ist auch jeder Sport mit Kraftschwerpunkt eine sehr gute Ergänzung. Das Training der Muskelkraft kommt beim Laufen selbst zu kurz. Es muss für den Hobbyläufer aber weder das Fitnessstudio noch das oft unbeliebte Stabilisationstraining mit dem eigenen Körpergewicht zwingend sein:

Klettern etwa könne viele wichtige Impulse liefern. Oder Crossfit und ähnliche Ausdauer-Kraft-­Kombinationen. Angeleitete Outdoor-Fitness-­Angebote in Kleingruppen werden diesen Frühling boomen, ist Reupichler sicher: „Weil in den Fitnessstudios noch länger nicht Normalbetrieb herrschen wird. “ Der SPORTaktiv-Coach fasst die Erkenntnisse noch einmal zusammen: „Unser Körper ist ein Anpassungskünstler, der es versteht, bekannte Belastungen mit zunehmend geringerem Aufwand zu erledigen. Wir sollten ihn deshalb regelmäßig aus der Balance bringen und fordern, um uns dann wieder weiterzuentwickeln und damit Belastungen wieder richtig wirksam sind.“ Der Effekt: „Wer das ganze Jahr immer nur läuft oder immer Rad fährt, ist zwar immer relativ fit. Um aber wirklich in gute Form zu kommen, sind regelmäßig veränderte Trainingsreize gefragt!“

So funktioniert ein „Polarized Training“
Eine Leistungsdiagnostik ist optimal, um die individuellen Werte von aerober und anaerober Schwelle sowie die maximale Herzfrequenz (HfMax.) zu ermitteln. Die Trainingsbereiche lassen sich daraus ableiten.

Sinnvoll: Die Verbindung mit einer internistischen Untersuchung und einem Belastungs-EKG. Alternativ kann man die HfMax selbst ermitteln: 1000 m zügig laufen und anschließend 200 Meter sprinten, dann ist die Herzfrequenz nah am Maximalwert.

Die Pole im Training:
Eine wöchentliche Grundlagenausdauereinheit wird bei höchstens 70 Prozent der HfMax. gelaufen. Rechenbeispiel: bei HfMax 190 nicht über Puls 133. Je nach Laufziel sollte die Einheit 90 Minuten oder mehr dauern. Ebenfalls eine wöchentliche Intervalleinheit bei über 90 Prozent der HfMax sind der zweite Pol. Rechenbeispiel bei HfMax. 190: Über 171 Pulsschläge. Etwa als 200-, 400- oder 1000-m-Intervalle.