Du willst in den Wintermonaten nicht auf dein geliebtes Radfahren verzichten? Dann hast du harte Wochen vor dir. Aber vielleicht bringt dich SPORTaktiv auf andere Gedanken. Drei Ansätze, wie du den Winter radelnd verbringen kannst. 

Christoph Heigl
Christoph Heigl

“Achtung“, ruft Kyriakos, steigt in die Eisen und dann vom Rad. Mit einer Handbewegung bringt er mich ebenfalls zum Stoppen. „Eine Schildkröte“, flüstert er, fast als könnte er das gepanzerte Tierchen sonst noch mehr erschrecken, das sich gerade 20 Zentimeter vor seinem Vorderreifen befindet. Er hebt es vorsichtig hoch. „Hier ist alles voll davon“, sagt er und deutet hinunter in die Meeresbucht, wo ein kleines Fleckchen Fels als Miniinsel aus dem Wasser ragt, das die Einheimischen sogar liebevoll „Schildkröte“ getauft haben. 

Wir befinden uns in Griechenland, genauer gesagt im südlichen Teil des Peloponnes, und blicken auf die Bucht von Navarino hinunter. Dort landen gerade ein paar Flamingos auf ihrer Durchreise nach Afrika, filtern ihre Nahrung aus dem kleinen Süßwassersee in der Lagune und färben sich damit rosa ein. Ein Naturschauspiel während einer Radausfahrt, das hat Seltenheitswert. Es soll ja Radfahrer geben, die nicht so auf Minusgrade und salznasse Straßen stehen oder auf eisige Trails abfahren. „Bei uns kann man zwölf Monate lang Rennrad fahren“, sagt Dimitris, der wie Kyriakos hier in seiner Heimat als Rennrad-Guide im mondänen Costa Navarino Resort und in der neuen Huerzeler-Radstation arbeitet. „Und das Coolste? Zwölf Monate im Jahr springe ich danach kurz ins Meer.

Es gibt nichts Besseres.“ Im Hochsommer steigt das Thermometer hier rund um die zentrale Stadt Kalamata auf mehr als 40 Grad, fast zu heiß. Bei unserem Besuch im Oktober hatte es knapp 30 Grad und im Winter wird es nie kalt, selten unter 10 Grad. „Die Sonne scheint jedenfalls fast immer“, grinst der Grieche mit der olivbraunen Haut. Gutes Stichwort: Olivenbäume sind hier überall, manche sind 2000 Jahre alt. Die Straßen durch die Olivenhaine sind komplett ohne Verkehr, kaum von der Hauptstraße weg, ist man alleine unterwegs zu den Bergdörfern.

Rennradherz, was willst du mehr? Okay, die Asphaltqualität ist nicht immer 1a, aber dafür ist die Landschaft von den negativen Folgen des Tourismus noch völlig unberührt. „So weit wollen wir es auch nicht kommen lassen“, sagt Kyriakos mit wachem Blick. Auf den Peloponnes kommen Individualisten und Rennradfahrer, die rund um Mallorca und Lanzarote schon jeden Meter Asphalt kennen, in eine neue Kultur eintauchen wollen und auf der anderen Seite des Berges Taygetos (2407 m), wo die legendären Spartaner trainiert haben, ein paar sonnige Kilometer sammeln wollen. Die griechische Gastfreundschaft und die Tausende Jahre alte Besiedelungsgeschichte in Messenien sind sowieso jeden Besuch wert und ein bisschen Kultur beim Radfahren hat noch keinem geschadet. Flug- und Aufenthaltskosten sind überschaubar.

Der Winter ist nicht ideal zum Radfahren? Doch.
Wir haben drei Varianten, beliebig kombinierbar.

Raus in den Winter
Wer doch lieber zu Hause bleibt, schaut aus dem Fenster und steht vor der Entscheidung: draußen oder drinnen? Also raus in die Natur und jedem Wetter trotzen oder drinnen bleiben und in den eigenen vier Wänden oder im Fitnessstudio radeln. Entscheidest du dich für Ersteres und Wind und Wetter, dann Respekt. Denn du hast offenbar ein inniges Verhältnis mit deinem inneren Schweinehund, ausreichend wetterfeste Bikesachen im Kasten und viel Vertrauen in die Robustheit deines Fahrrades. Du wirst im Regen fahren, du wirst im Finstern fahren, du wirst bei Schneefall fahren, bei Minusgraden, auf Eis und Salz und Schnee und auf allen sonstigen rutschigen Untergründen wie Wurzeln, Stiegen und Zebrastreifenmarkierungen. Du wirst dich verkühlen (und an die Sonne des Peloponnes denken), dich und deine kalten Finger und Zehen verfluchen (und an die Kumpels auf der Walze im warmen Keller denken) und dein Rad sehr oft wieder von Modder, Gatsch und Schneematsch befreien müssen. 

Aber du wirst glücklich sein. Denn du bist in der frischen Luft und nicht im stickigen Studio und muffigen Keller. Und du hast ja stets die Meinung vertreten, dass Radeln eben ein Freiluftsport und nicht Hallen-Yoyo ist und dass Flüge in den Süden klimatechnisch grad nicht besonders en vogue sind. Du wirst stattdessen deine neuen wasser-, wind- und frustdichten Winterjacken, Bikehosen und Handschuhe tragen und dich freuen, dass du so viel Geld für so viel geiles Gewand ausgegeben hast. Das kann man z.B. in Griechenland alles gar nicht brauchen, vergiss das nicht. Du wirst reaktionsmäßig und skillstechnisch nicht verrosten, deine Fahrtechnik wird im Frühling erblühen.  Und du wirst auch im Winter nicht alleine sein, denn gar nicht so wenige fahren den Winter über „durch“, wie das im Jargon der Hartgesottenen heißt. Viele in den Städten, wo es ein wenig trockener und beleuchtet ist, als Pendler, Botenfahrer, Zeitungszusteller und umweltbewusste Autovermeider. Viele draußen zwischen Bludenz und Parndorf, unbeirrt auf Rennrädern, neu beseelt auf Gravel­bikes, trotzig auf Fatbikes oder rotzig auf Mountainbikes. Grüßt euch, wenn ihr euch trefft, im Schneegestöber und im Nebelmeer! Macht euch Mut! Daumen hoch und Kudos verteilen, ihr wilden Hunde! 

Szenario drei, wir fahren Rad, bewegen uns aber nicht vom Fleck. Wir walzen durch den Winter. Wobei, das Abschätzige hat der Begriff „Walze“ längst verloren, es hat nur als Überbegriff für sämtliches Indoortraining auf Ergometern und Smarttrainern überlebt. Mit „Spinning-Kursen“ bekam das Radeln im Stand und schleusenartige Öffnen aller Schweißdrüsen vor Jahren erstmals ein bisschen Glamour, spätestens seit den internetfähigen Smart-Trainern ist Kurbeln am Stand absolutes Hightech und Gamification pur. Die Anbieter überschlagen sich mit neuen Features bei ihren „Smart Trainern“, die man salopp übersetzt als „g’scheite Hometrainer“ bezeichnen könnte. Nicht ganz billig, sind zu fast kompletten Rädern aufgebaute Konstruktionen wie der „Neo Bike Smart“ vom holländischen Spezialisten Tacx oder das „Kickr Bike“ von Wahoo die neuesten Spielzeuge. Sie sind mit dem Internet verbunden, erlauben virtuell allerlei Spielereien und setzen im Falle von Wahoo sogar Steigung realitätsnah um. Das Rad stellt sich auf, wenn du bergauf fährst. Natürlich sind diese Super-Ergometer voll konfigurierbar und auf jeden Fahrer einstellbar. Wer sich lieber mit seinem geliebten Rennrad oder Mountainbike abrackert, kann das natürlich auch machen und sich in kleinere Konstruktionen wie den „Tacs Neo 2 T Smart“ einspannen, wo nur das Hinterrad eingesetzt wird. Das kann man auch praktisch jederzeit mitnehmen und kann es nicht nur in seiner „Pain Cave“ nutzen.
 

Er will ja nur spielen...
Richtig attraktiv wurden die Smart Trainer durch Gamification, das heißt, durch die spielerische und zum Teil sogar extrem verspielte Anwendung der Funktionen. Im Windschatten von Zwift gibt es mehrere Softwarefirmen, die Körperdaten und Tretleistung in die virtuelle Welt übertragen, wo man mit Avataren (eigenes Abbild) Radfahren und sogar an Rennen teilnehmen kann. Der Onlinewettkampf gegen Trainingspartner aus der ganzen Welt macht einen großen Reiz dieser Variante aus. Sogar echte Radprofis machen mit. Es gibt mittlerweile virtuelle Rennteams, große Veranstaltungen und ein ausgeklügeltes System an Boni und Freischaltungen von „besserem Material“. Und klar, nachdem es um Wettkampf im Radsport geht, gibt es auch Betrug. Kürzlich ist der Englänger Cameron Jeffers aufgeflogen, weil er über ein zusätzliches Computerprogramm geschummelt und sich einen Vorteil bei der britischen Zwift-Meisterschaft ergaunert hat. Der Sieg wurde ihm aberkannt, er wurde für sechs Monate von allen Zwift-Meisterschaften ausgeschlossen. Vielleicht fährt Mr. ­Jeffers jetzt im Freien.