Cool? Deutlich untertrieben. Eisschwimmer werfen sich bei Temperaturen ins Wasser, bei denen andere zur Wollhaube greifen. Bei den Österreichischen Meisterschaften trafen sich die am härtesten Gesottenen in Altenwörth, um ihre Besten zu küren und sich selbst zu spüren. 

Markus Geisler

Auch so sehen Sieger aus. Die Haut krebsrot und am ganzen Körper zitternd, zieht sich Lukas aus Trencin mit letzter Kraft aus dem Wasser der Donau. Beim Versuch, in den dampfenden Hot Tub am Ufer zu steigen, fällt er fast von der Stiege und muss gestützt werden. Und trotzdem lächelt der Slowake selig übers ganze Gesicht. Schließlich ist er gerade 1000 Meter geschwommen, was für sich genommen noch kein Fall für die Heldengalerie ist. Allerdings hatte das kühle, nein, eiskalte Nass gerade einmal vier Grad, was selbst hartgesottenen Wasserratten den Badespaß in der Regel verleidet. „Jetzt bin ich einfach nur glücklich“, seufzt Lukas, als er sich in das wohlig temperierte Badefass gleiten lässt. Willkommen bei den offenen österreichischen Meisterschaften im Eisschwimmen. Ein Event, bei dem Rettungstaucher zum Standardpersonal gehören, Saunazelte am Uferrand vor sich hindampfen und in Winterjacken eingemummelte Zuschauer mit barfüßigen Teilnehmern in Bademänteln parlieren. Eine von ihnen ist Eva Wohlfarter aus Wien, die vor gut eineinhalb Jahren dieser Leidenschaft verfallen ist und zum ersten Mal an einem offiziellen Bewerb teilnimmt. „Eisschwimmen ist wie eine Droge, du erlebst dabei eine Grenzerfahrung“, sagt die 32-jährige Radio­moderatorin. „Wenn du ins Wasser gehst, tut es wirklich weh, es sticht und prickelt, deine Finger werden taub. Du bekommst nichts mehr von dem mit, was um dich herum passierst, konzentrierst dich nur noch auf deinen Körper und deine Atemtechnik. Ein wunderbares Gefühl.“

Sie hat sich heute für das 50-Meter-Rennen der Damen angemeldet und absolviert damit ziemlich genau ein Siebtel von dem Programm, das Josef Köberl an diesem Tag abspult. Zwischen 25 und 1000 Meter lässt der 43-Jährige keine Strecke aus, am Ende des Tages wird er mehr als 24 Minuten in der klirrend kalten Donau verbracht haben. Freunden gepflegter Verrücktheiten könnte der Name ein Begriff sein, schließlich schreckt der Wahlwiener vor nichts zurück, was mit Kälte zu tun hat. Er durchschwamm in 14 Stunden den Ärmelkanal und ließ sich am Wiener Hauptbahnhof in einer Glaskabine komplett mit Eis bedecken – für zwei Stunden, acht Minuten und 47 Sekunden. Weltrekord im „Longest Duration Full Body Contact With Ice“, wie es offiziell heißt. Demnächst will er sich am Hintertuxer Gletscher ein Vollbad genehmigen – bei –0,4 Grad Wassertemperatur. Für ihn müssen sich die Meisterschaften an einem Seitenarm der Donau in Altenwörth, wo sich das Wasser­thermometer im Laufe der Bewerbe langsam Richtung fünf Grad bewegt, anfühlen wie ein Warmbadetag im städtischen Hallenbad. Wobei man sich damit wirklich an einer kritischen Grenze bewegt. Denn wärmer als fünf Grad darf es gar nicht werden, sonst zählt es nicht mehr zum Eisschwimmen. Und eventuell aufgestellte Rekorde hätten keine Gültigkeit. Genau vor einem Jahr schwamm der Niederländer Sven Elfferich an dieser Stelle die 1000 Meter in 11:55,40 Minuten – und sorgte mit dieser Bestleistung für Begeisterung, aber auch für Aufregung. „Einen Weltrekord so zu dokumentieren, dass er auch anerkannt wird, ist eine echte Herausforderung“, erzählt Köberl, der zusammen mit den Freizeitverein Altenwörth zum Organisationskomitee der Veranstaltung gehört. „Wir mussten nachher noch mal das Becken genau vermessen, die genauen Temperaturen nachweisen und alles haarklein übermitteln. Aber es hat gepasst.“

 Ich will damit dokumentieren, dass man alles schaffen kann, wenn man es nur wirklich will und hart dafür trainiert. 

Chun Kung Mak

Einen Rekord aufzustellen war auch der Aufhänger für Chun Kung Mak, an diesem Wochenende nach Niederösterreich zu kommen. Der im tschechischen Brünn lebende Schwimmer aus Hongkong absolviert als erster Mann überhaupt die „Eismeile“ (entspricht 1609,3 Meter) ausschließlich im kraftraubenden Delfinstil (was mit Pauline Barker übrigens eine Frau schon vor ihm schaffte). Knapp 40 Minuten dauert der Spaß, wobei Mak mit einem Dauerlächeln keine Sekunde daran zweifeln lässt, diese Tortur auch als solche zu empfinden. „Dabei geht es mir überhaupt nicht um sportliche Höchstleistungen oder darum, irgendetwas zu gewinnen“, erzählt der 33-Jährige und präsentiert stolz seinen Bademantel aus eigener Kollektion. Sein Ansatz ist ein philosophischer. Und hat auch damit zu tun, dass ihm sein Vater diese Spompa­nadeln („Lass das, die Europäer sind solche Wassertemperaturen gewohnt, du nicht!“ Anm.: Na ja, wenn er meint ...) ausreden wollte. „Ich will damit dokumentieren, dass man alles schaffen kann. Wenn man es nur wirklich will und hart dafür trainiert.“ Die dem Eisbad folgende Endorphinausschüttung zur Belohnung nimmt er natürlich auch gerne mit. Bis heute haben die „Eismeile“, die neben Mak diesmal auch noch von sieben weiteren Wagemutigen bezwungen wird, gerade einmal 338 Menschen absolviert. 

Einer davon ist, natürlich, Josef Köberl, der jetzt in der Hot Tub sitzt, das heiße Wasser genießt und sein 1000-Meter-Rennen, bei dem er es mal wieder zu schnell anging, Revue passieren lässt. „Es ist falsch zu glauben, dass sich der Körper an die Kälte gewöhnt, im Gegenteil. Je länger das Rennen dauert, desto kälter wird einem. Es ist dann auch ein riesiger Unterschied, ob das Wasser zwei oder vier Grad kalt ist, da merkst du jede Nuance.“ Er hat als bester Österreicher für seinen Lauf gut 18 Minuten gebraucht und war damit um etwa sechs Minuten langsamer als Colin Bushweller, der eigens aus den USA angereist ist, um mit persönlicher Bestzeit den amerikanischen Rekord zu brechen. Was ihm in 12:43 Minuten eindrucksvoll gelingt. 50 Starter aus acht Nationen sind in Altenwörth insgesamt am Start, was nicht nur (aber auch) an der pittoresken Landschaft liegt, sondern auch daran, dass das Wasser unter Insidern als ziemlich schnell gilt. Ein Umstand, der Eva Wohlfarter wiederum egal war. Ihre Motivation lag darin, ihr Hobby, dem sie im Winter einmal pro Woche nachgeht, auch einmal bei einem echten Wettkampf auszuprobieren und zu schauen, wie es ihr im direkten Duell Frau gegen Frau geht. Ohne dabei auf Zeiten oder Platzierungen zu schauen. Was nicht heißt, dass sie sich über ihren Vize-Titel nicht gefreut hätte. „Andere werfen Pillen ein, verschreiben sich der Esoterik oder reisen um die Welt, um einen Kick zu bekommen“, sagt sie. „Wenn ich in eiskaltem Wasser schwimme, genieße ich die Magie des Augenblicks und bin so nah bei mir wie sonst nie.“ Das gelegentliche Bibbern danach nimmt sie dabei gerne in Kauf.