Die Skipiste rauflaufen? Nichts Neues mehr. Beim 1. Snowtrail Downhill im steirischen Gaal ging es die Piste bergab. Eine Grenzerfahrung im Steilhang – mit einer persönlichen Premiere.

Klaus Molidor
Klaus Molidor

Die Warnung von Sascha kommt zu spät. „350 Meter bergab können sich anfühlen wie die Hölle.“ Gut, Sascha ist die Mausefalle in Kitzbühel bergab gelaufen. Im Sommer. Ich stehe aber am Start des 1. Snowtrail Downhill in Gaal in der Obersteiermark. Gaal ist nicht Kitz. Das hat auch Vorläuferin Renate Götschl gesagt, die sich mit Ski den einen Super-G ähnlichen Kurs nach unten gestürzt hat. Und was sich hier Steilhang nennt, wird wohl die heute allerorts übliche Vermarktung einer Kleinigkeit als Superlativ sein. Außerdem: 400 Meter flach, dann 400 Meter Steilhang und 600 easy dahinrollen auf einer blauen Piste. 32 Männer und 4 Frauen wagen sich an das neue Format, das Norbert Wastian vom Magazin Trailrunning-­Szene erfunden hat. Zwei Durchgänge werden gelaufen, die Entscheidung wie im Weltcup in der gestürzten Reihenfolge des ersten Durchgangs. 350 Meter und die Hölle. Pah. Der will mich nur nervös machen. „Startnummer 26 bereit. 3, 2, 1, los.“

Raus aus dem Starttor, hinein in den Ziehweg. Hier halten die Chainsen, also die Schneeketten, die wir uns verpflichtend über die Trailschuhe ziehen müssen perfekt. Dann taucht links die Kante auf, das erste blaue Richtungstor und der Blick geht tief nach unten. Steil heißt echt steil. Hätt ich früher draufkommen können. Immerhin finden hier regelmäßig FIS-­Slaloms statt. Na gut. Ist ja nicht weiiiiiiiiiit. Keine drei Schritte sind auf dem patzigen Schnee getan, da ist es mit dem Grip nicht mehr weit her. „Gemma, zah an, trau dich“, schreit der Fotograf, der innen in der Linkskurve lauert. Ich fühle die Entschlossenheit des Herminators, steche eng am Tor vorbei ins Tal – und segle auf der glatten Spur dahin wie in einem Slapstick. „Daaanke“ hör ich es von weiter oben noch aus dem Fotografenmund. Gleich darauf fliegt Veranstalter Norbert Wastian an mir vorbei, mit ausgreifenden Schritten und scheinbar mühelos in Balance. „Is rutschig?“, wirft er mir zu. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Immerhin bin ich nicht allein mit meinen Problemen. Fast jeden Läufer haut es im Steilhang zumindest einmal in den Schnee.

Sascha fällt mir plötzlich ein – denn die Oberschenkel schmerzen, unter dem Helm rinnt der Schweiß in Bächen, geht der Atem schwer. Immerhin: Nach einer Ewigkeit wird es flacher. Von easy allerdings keine Spur. Denn was auf Skiern flach ist, entpuppt sich mit leeren Oberschenkeln durchaus als Challenge. „Das war nicht ohne“, gesteht im Zielraum auch Florian Grasel, Österreichs bester Trailrunner. „Ich bin ja hauptsächlich auf Ultras zu Hause.“ Spaß hat er aber sichtlich gehabt. Sein Tipp für den zweiten Lauf: „Accept the downhill“, sprach’s, lacht und rauscht ab ins Gasthaus zum Auf­wärmen. Dort wird aus einem Gefühl Gewissheit: Ich bin Letzter. Zum ersten Mal in meiner durchaus überschaubaren Laufkarriere war tatsächlich keiner mehr langsamer als ich. „Na“, feixt Sascha. „Was hab ich dir gesagt?“ Am Sessellift nach oben frage ich mich, ob es wirklich eine gute Idee war, den zweiten Lauf auch noch anzugehen. Aber keiner zieht zurück, auch wenn alle von der Härte der kurzen Strecke überrascht waren. „Einfach laufen lassen“, höre ich immer wieder. Denn natürlich kostet das Bremsen Kraft, aber erstens ist die Piste einmal hart, dann wieder weich, mal greifen die Spikes, mal slidest du dahin und zweitens: im Steilhang wirst du dann so schnell – da komm ich motorisch nicht mehr mit.

2. Lauf, Flutlicht. „Endlich hast einmal a guate Piste und keine Wandln“ ruft einer aus dem Dunkel, als ich schon wieder am Start stehe. Als Erster im zweiten Lauf, logisch. Der Schmäh rennt hier noch mehr als die Beine. Es ist – auch wenn es hart und anstrengend ist – ein Riesenspaß. Eine Versammlung von Verrückten, die sich eine Hetz draus machen ohne Ski Ski zu fahren. Diesmal geht es ein Haucherl besser. Mitte Steilhang versagen dann die Muskeln, am Hosenboden geht es rasant abwärts. Passt, spar ich mir ein paar Meter und vielleicht bin ich dann schneller als im 1. Lauf. Denkste. Das Schlussstück zieht sich noch ärger. Endlich, der Zielbogen. Die Erkenntnis: Man kann auch nach 1,5 Kilometern bergab völlig blau sein. Man kann auf kurzer Strecke enorm viel Zeit verlieren. Die Gesamtzeit des Siegers betrug 7:42 Minuten, meine 18:43 Minuten. Wieder haben mich bei einem Start­intervall von 30 Sekunden zwei Läufer überholt, ich weiß auch ohne Blick auf die Ergebnisliste: Letzter. Egal. Als Trost bleibt das Bezwingen des Berges, der Spaß mit Gleichgesinnten, die genauso gaga waren, herzukommen, die genauso erledigt sind und als 32. von 32  – haarscharf an den ersten Weltcuppunkten vorbei ...