Echte Arbeitstiere haben wir beim Skifahren an den Füßen. Aber schätzen wir ihre Qualitäten überhaupt genug? Meistens sind wir doch froh, wenn wir sie ausziehen können. Echt unfair. Ein Fall für die Gewerkschaft?

Christoph Heigl
Christoph Heigl

Am Anfang schreibt Matteo Murer einen Brief. Aber nicht ans Christkind mit den Wünschen nach einem neuen Skischuh, sondern für sich und seine Entwicklungsabteilung. Murer ist Product Manager bei Tecnica in Italien und verantwortlich für die ersten Schritte, nämlich die schriftliche Zusammenstellung von Wünschen und Feedback zu einer neuen Modell­idee. „Das ist schwieriger, als einen neuen Ski zu bauen“, weiß er. Und teuer. „Ein neues Schuhmodell kostet in der Entwicklung eine Million Euro.“ Dutzende Details werden evaluiert: Schnallen, Kunststoffe, Fit, Innenschuh, Größen.

Dazu die Frage, wozu der Schuh genau gebraucht wird. „In unserer DNA bei Tecnica stehen Performance und beste Passform, also fragen wir nach dem exakten Einsatzzweck des Modells.“ Mehrere Monate dauert dieser erste Prozess. Mit dem „Wunschzettel“, eigentlich einem exakten Job-Profil, geht Murer in die Entwicklungsabteilung und dort beginnt die Schwerstarbeit für die 35 Entwickler. In den 80er- und 90er-Jahren wurden noch 500 Prototypen gebaut und in den „Folterkammern“ der Ingenieure geknechtet, gequetscht, gefrostet und unter Wasser gesetzt. „Das ist heute nicht mehr nötig“, lacht der Italiener. „Wir bauen etwa 20 Prototypen, der Rest wird am Computer und im 3D-Druck adaptiert.“ 

Mit den Prototypen geht es auf die Piste. Je nach Modell und Performance-Typ mit den jeweils besten Skiern der jeweiligen Kategorie. „Im Alpinbereich würde ich sagen, dass sicher jeder Skischuh mit jeder Skimarke gut harmoniert. Im Skitourenbereich oder Freeride ist das etwas anders. Da macht es durchaus Sinn, markenintern eine homogene Lösung zu bevorzugen, wo Schuh, Ski und Bindung aus demselben Haus oder demselben Konzern kommen, weil hier die Abstimmung komplexer ist.“ Nach dem Test im Schnee werden die Fits (Winkel etc.) perfektioniert und die Größen (meistens neun) bestimmt.

Da zahlen sich 60 Jahre Erfahrung aus. Übrigens beginnt das Prozedere immer mit den härtesten Modellen mit Flex 130 und wird dann nach unten skaliert. 120, 110, 90 etc. Immer wieder kommt man auf neue Ideen: Weil sich Schuhe bzw. Kunststoffe bei 20 Grad im Shop und minus 10 Grad auf der Piste natürlich anders verhalten, hat Tecnica dem Topmodell Mach-1 gerade eine dynamische Carbonplatte auf der Rückseite spendiert (T-Drive), die den unteren Teil der Schale und den Schaft verbindet und für ein schnelleres Umkanten und bessere Kraftübertragung sorgt. Carbon ist nämlich nicht so temperaturabhängig wie Kunststoff. Apropos „Plastik“, eines der wichtigsten Themen für Murer. „Uns ist bewusst, dass wir sehr viel Kunststoff in Umlauf bringen. Also wird Recycling bei uns großgeschrieben. Der Kunststoff kann wiederverwertet werden und die Schnallen werden verschraubt und nicht vernietet, somit kann man sie entfernen bzw. erneuern.“

Besonders wichtig wurden in den letzten Jahren auch eigene Damenmodelle. Bei Tecnica hat man eine „Women2Women“-Philosophie für die große Fokusgruppe Frauen. „Die Anatomie der Waden ist anders, es gibt andere Druckstellen, der Schaft wird etwas aufrechter, dazu Merinowolle und fertig ist der perfekte Damenschuh.“ Klingt einfach, ist aber ein harter Job.

Stellenausschreibung: Das Job-Profil eines Skischuhs

Stellenausschreibung SKISCHUH (m/w/d)

Was wir erwarten

  • General Task: Hauptjob ist, Füßen einen perfekten Halt zu geben, damit Druck und Kontrolle auf die Ski möglich sind. 
  • Special Demand: Der aufrechte Gang (Klo, Parkplatz, Apres-Ski) wird auch verlangt.  
  • Responsibility: Verantwortlichkeit für Skivergnügen und Sicherheit.
  • Empathie und Einfühlvermögen: richtiges Gefühl für Komfort und Härte.
  • Performance Goals: Härte und Leistung, wenn verlangt. Komfort und Sicherheit, wenn notwendig.
  • Dauer der Beschäftigung: 5 Saisonen mit je 14 Tagen im Schnitt, im Spezialfall des Skilehrers bis zu 200 Tage pro Saison, jederzeit abrufbar.
  • Zeiteinteilung: hohe Bereitschaft zu Überstunden und Arbeit an den Wochenenden.
  • Flexibilität: Je nach Schnee, Piste und Können flexible Performance, einschlägige Erfahrung mit Kurzschwung, Tiefschnee und Abfahrtshocke wird vorausgesetzt.
  • Gewichtiges Auftreten: leicht sein, nicht zu leicht, solide, aber nicht klumpfüßig.
  • Schlichtheit: Einfachheit im Auftreten, klare Strukturen.
  • Modische Stilsicherheit: Stil und Farbe im Trend der nächsten Wintersaisonen.
  • Arbeitswelt: permanenter Kundenkontakt, kein Homeoffice.
  • Anpassungsfähigkeit: perfekte Kooperation im Team von Ski und Bindung. 
  • Tools: drei bzw. vier Schnallen zur Umsetzung des Jobs. Sonderlösung Powerlasche von Vorteil.
  • Hygiene: hohes Maß an Geruchsunempfindlichkeit (Innenschuh) wünschenswert. 
  • Umweltbewusstsein: hohe Ansprüche an die Recyclingfähigkeit. 
  • Bezahlung: bei entsprechender Ausbildung über dem Schuh-KV, Prämien bei Mehrleistung und Olympiaerfolgen verhandelbar.
  • Bewerbungsfrist: endet mit dem endgültigen Vollbetrieb der Skigebiete.