Höchste Zeit für einen Imagewechsel! Das Schneeschuhwandern, bislang meist als „sanfter Winterspaziergang“ verkauft, eröffnet in Wahrheit echten Bergsportlern auch im Winter die Chance auf zünftige Gipfeltouren. Ohne Ski in ein völlig neues Bergabenteuer. Wie spannend diese Neuausrichtung ist, haben wir im SPORTaktiv-Schneeschuhcamp erlebt.

Von Gerhard Polzer


„Auf leisen Sohlen den Zauber einer tiefverschneiten Winterlandschaft entdecken.“ Dass bei richtigen Bergsportlern schon allein beim Lesen einer solchen Beschreibung der Puls tief in die Regenerationszone abfällt, ist verständlich. Und die dazu allgemein benutzte Definition des „sanften Winterwanderns“ machte für die meisten Sommer-Bergbesteiger, die mit Skitouren nichts am Hut haben (und davon gibt es viele) das Schneeschuh-Gehen als Winteralternative zu einem unattraktiven No-Go. Sag niemals Wanderer zu einem Gipfelstürmer ...

Ich sag’s, wie es ist: Auch ich war mit diesem Vorurteil behaftet, als ich im letzten März in unser SPORTaktiv-Schneeschuhcamp im Sporthotel Brennseehof am gleichnamigen Kärntner See einrückte, um zu erleben und dann zu beschreiben, wie „zauberhaft“ es wirklich ist, auf leisen
Sohlen – eh schon wissen ...

Bereits bei der Begrüßungsrunde und der Vorstellung des dreitägigen Programmablaufes hat Sportschulleiter Wolfgang Krainer klargemacht, dass da nix ablaufen wird mit „Stapfen durch den Märchenzauberwald“. Klar, weil dafür leider auch hier in den Nockbergen die tief verschneite Landschaft fehlt, oder? „Falsch, ganz im Gegenteil: Die geringe Schneelage macht es uns jetzt noch leichter, euch zu zeigen, wie man auf Schneeschuhen eine völlig andere Bergwelt erkunden kann. Und zwar ganz rauf bis zu den Gipfeln.“

Gipfel heißt in diesem Fall: An Tag 1 Kolmnock-Gipfel auf 1.850 Meter, am 2. Tag Wiesernock und Spitzegg auf knapp 2.000 Meter, und am dritten Tag Wöllauer Nock-Gipfel, laut Karte immerhin 2.150 Meter hoch. Gut, das sind jetzt keine Mega-Höhen und Bergbrocken, die einen Alpinisten beeindrucken. Aber bei uns Schneeschuh-Neulingen kommen doch Bedenken auf. „Zum ersten Mal auf diesen Dingern und gleich Gipfeltouren?“ Wolfgangs Ankündigung, dass die Wegstrecken zwischen 10 bis 14 km liegen werden, zerstreuen die leichten Sorgen nicht wirklich.

LEARNING BY DOING
Im Office der Sportschule Krainer in Bad Kleinkirchheim fassen die Kursteilnehmer ihre Schneeschuhe (wir haben unsere selbst mit, nagelneu ...) und Stöcke aus, noch ein kurzer Check des Schuhwerks durch den Chef persönlich („brav, alle haben feste, wasserdichte Bergschuhe“) und Abmarsch. Aber nur bis zur Talstation des Sessellifts, der uns auf den Maibrunn hochbringt. „Natürlich könnten wir auch auf neben der Skipiste aufsteigen“, erklärt Wolfgang Krainer, „aber das wahre Erlebnis beginnt erst oben.

Und zwar mit einer gar nicht langen Einschulung: Anschnallen der Schneeschuhe (unkompliziert), Erklären der Grundhaltung („aufrechter Oberkörper, leicht gebeugt und locker in den Knien“) und der Stocktechnik („im Diagonalrhythmus linkes Bein, rechter Arm usw., ganz gleich wie beim Nordic Walken“) – und schon marschiert Wolfgang los, unser zweiter Guide Miro macht das Schlusslicht. „Der Rest ist learning by doing. Habt einfach Vertrauen zu den Geräten an euren Beinen. Marschiert ganz normal los, die Zacken unten an den Schneeschuhen geben euch sicheren Halt – egal, wie hart der Schnee und wie steil der Hang ist.“

Die ersten Schritte sind noch etwas breitbeiniger als gewohnt – man will sich ja nicht mit den „Tellern“ an den Beinen verheddern. Aber dann kommt gleich der erste Anstieg, der Wechsel von Stockeinsatz und Schritt passiert ganz automatisch (schließlich marschieren wir auch im Sommer längst mit Stöcken bergwärts) – und tatsächlich: Schon nach ein paar Minuten vergisst du als halbwegs versierter Berggeher, dass du da „Fremdlinge“ an den Beinen hast und bewegst dich fortan ganz normal wie mit Bergschuhen. Mit dem Unterschied, dass mit normalen Bergschuhen der Aufstieg auf diesem Terrain und in dieser Steilheit ein Ding der Unmöglichkeit wäre.

SCHNEESCHUH VS. TOURENSKI
Wenn dann, nach der ersten halben Stunde mit zackigem Bergaufmarsch, der Schritt und auch der Atem kürzer werden, die Schneeschuhe sich in den harschigen Schnee fressen, und sich nach zweieinhalb Stunden Aufstieg oben am Grat ein unglaubliches Bergpanorama mit Blick bis zum Glockner auftut, der Guide dir zeigt, wo sich hunderte Hirsche zur Fütterung einfinden und wie eine Luchsspur ausschaut – dann schießt ganz plötzlich die Erkenntnis ein: „Das müssen wir allen Bergsportlern klar machen: Schneeschuhwandern auf leisen Sohlen im verschneiten Zauberwald mag eine nette Sache sein – viel wichtiger aber ist: Diese Sportgeräte sind für leidenschaftliche Berggeher (oder wie am zweiten Tag Guide Günther sagt: „Auch für Biker, die hier im Sommer auf den Singletrails unterwegs sind“) der Schlüssel zu einer Winter-Bergwelt, die ihnen bisher verschlossen war. Und die auch nicht unbedingt etwas mit der Welt der Skitourengeher zu tun hat: Auf Schneeschuhen spielt es keine Rolle, wie gut oder schlecht die Schneequalität ist, oder ob zwischendurch schon schneefreie Stellen zu überqueren sind. Anders als Tourengeher müssen sich Schneeschuh-Geher auch keine Gedanken über die Qualität und den Spaßfaktor der Talabfahrt machen.

Winter-Bergsteiger auf Schneeschuhen gehen rauf – und sie gehen am Ende wieder runter. Auf selbst gewählten Routen zwar, „aber schon“, wie uns Wolfgang Krainer klar macht, „immer mit Rücksicht auf die Natur und die Tierwelt. Und natürlich auch immer unter Bedacht auf die eigene Sicherheit. Ihr bewegt euch schließlich auf den Schneeschuhen im freien Gelände, mit all seinen Gefahren. Das heißt: Wer keine Kenntnis in der Lawinenkunde hat, kann sowieso nur mit einem erfahrenen ortskundigen Guide unterwegs sein.“

SPORTLICHE ENTSCHLEUNIGUNG
Nach drei Tagen und drei tollen Bergtouren mit den Guides der Sportschule Krainer in den Nockbergen bleibt unterm Strich: Berge besteigen auf Schneeschuhen ist eine sportliche Aktivität, die je nach Tour absolut fordernd sein kann – und die trotzdem so entschleunigt ist, dass sie den Blick für Dinge zulässt, die kein anderer Wintersportler zu sehen bekommt.

Aja, wie hoch der Fitnessfaktor dieser Sportart ist, dafür war unser Guide Günther das beste Beispiel: Der hatte vor acht Jahren einen schweren Herzinfarkt, bekam vier Bypässe und einen Stent – und ist nun jeden Winter als Schneeschuh-Guide fast tagtäglich in den Bergen unterwegs. „Weil mir auch die Ärzte bestätigt haben, dass diese Art des Berggehens die beste und gesündeste Bewegung ist, die ich machen kann.“


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