Winter einmal ganz anders. Rolf Majcen ist auf 43 Rodelbahnen in den Alpen unterwegs gewesen. Wie sich der 53-Jährige mit dem Kufenvirus infiziert hat und was die Sprache Mandarin damit zu tun hat.

Klaus Molidor
Klaus Molidor

Bei Tempo 60 schleifen die Schneekristalle die Haut auf den Wangen schon an, der Boden fliegt unter dem Eschenholzgestell dahin, eine Hand am Seil, eine Hand um die Liebste geschlungen. Eine Kurve, ein Juchazer, die Fliehkräfte zerren, das Matterhorn schaut schweigend zu. Willkommen in der Welt von Rolf Majcen, dem Alpenrodler. 43 Rodelbahnen hat der gebürtige Südafrikaner, der in Graz aufgewachsen ist und jetzt in Niederösterreich lebt, in den letzten zwei Jahren „erfahren“. Von ganz kurzen, bis zur 15 Kilometer langen Strecke vom Faulhorn nach Grindelwald im Berner Oberland, der längsten Rodelstrecke der Welt. Dabei hatte der 53-Jährige bislang ganz andere Leidenschaften. Im Treppenlaufen hat er sich einen Namen gemacht, hat auf der ganzen Welt an Bewerben teilgenommen. Dazu geht er Skitouren, bergsteigen, klettern, Rad fahren und berglaufen. „Alpinismus im totalen Sinn“, sagt der Sportler. Rodeln, das war für ihn bis vor zwei Jahren aber kein Thema, sondern lange her. Als Zwölfjähriger hat er die Nerven der Eltern auf die  Probe gestellt und ist mit seinem damals zweijährigen Bruder in Rauris per Sessellift auf den Berg und mit der Rodel wieder runter. Sechs Jahre später das nächste Schockerlebnis. Auf dem Grazer Hausberg, dem Schöckl, kann er vor einem gefährlichen Steilstück auf der Nordabfahrt nicht mehr rechtzeitig bremsen. Im letzten Moment rollt er sich von der Rodel, ehe diese in einen Baum kracht.

Dann war einmal lange Eiszeit zwischen Rolf und Rodel. Vor fünf Jahren hat er dann seine chinesische Freundin Jin Lan kennengelernt. Ihr zuliebe lernt er Mandarin und weil er die Berge liebt, will er ihr seine Leidenschaft vermitteln. „Es war Winter und sie hatte nur noch wenige Tage, bevor sie wieder zurück nach China musste, also hab ich mir gedacht, dass wir ­rodeln gehen könnten.“ Gesagt, getan. Mit dem Auto fahren sie durch die Alpenregionen. Hohe Tauern, Dolomiten, Grindelwald. Um möglichst viel in kurzer Zeit zu sehen, wählen sie Rodelstrecken mit Seilbahnaufstieg. Manchmal sind es sechs Strecken an einem Tag. In beiden entbrennt das Feuer für die Rodlerei. „Du spürst jede Vibration, der Fahrtwind, die Natur und das alles zusammen mit einem geliebten Menschen, für den du die Verantwortung hast. Ein Traum.“ Rolf Majcen ist aber keiner, der halbe Sachen macht. Daher hat er nicht einfach eine Rodel gekauft, sondern sich eingehend mit der Thematik befasst, alle sieben Rodelbauer in Österreich kontaktiert, ehe er bei Franz Leitner in St. Peter am Kammersberg in der Obersteiermark fündig geworden ist. „Ich wollte die beste Zweier-Rodel, die es gibt. Weil zu zweit hast du am Ende der Bahn das exakt Gleiche erlebt, die gleichen Gefühle, den gleichen Spaß.“ 

Mehr brauchst du nicht

Von den 43 Strecken ist ihm jene am Matterhorn besonders in Erinnerung, einfach weil die Kulisse so imposant ist. Auch Grindelwald fällt ihm sofort ein. „Dort muss man zwar zwei, drei Stunden raufgehen. Aber du siehst immer die legendäre Eiger-Nordwand.“ So etwas bleibt hängen. Generell fährt er überall aber nur einmal. „Weil ich will alles total intensiv aufsaugen. Wenn du weißt, du fährst die Strecke nur einmal bist du ganz anders fokussiert und aufnahmefähig.“ Außerdem ist so jede Fahrt einzigartig und für immer „unauslöschlich mit dem jeweiligen Ort verbunden“. Heuer im Winter wollen Rolf Maj­cen und Jin Lan zur dritten Alpentour aufbrechen. „Das Rodeln fehlt mir schon extrem“, erzählt er an einem warmen Herbstvormittag. „Du lebst für einige Zeit auf einer höheren Ebene der Existenz und spürst so intensiv, welche Energie und Lebensfreude in dir vorhanden ist.“ Geschlafen wird im Auto. Kein Wohnmobil, kein Bus, sondern Kompaktklasse. „Die Rücksitze sind ausgebaut, wir haben eine dicke Matratze.“ Auch gefrühstückt wird im Auto – nicht spartanisch, sondern de luxe. „Am Gaskocher mach ich Kaffee, dazu Spiegeleier mit Speck. Dann geht es hinaus in den Schnee – mehr brauchst nicht.“ Dabei ist Majcen Jurist bei einem Finanzdienstleister, könnte sich also durchaus ein Zimmer leisten.

Will er aber nicht. „Mir reicht das Einfache. Ich brauche die Natur, immer schon.“ Die Liebe dazu liegt in seinen Genen. Der Vater hat Erstbesteigungen gemacht, seine Mutter war am Kilimandscharo. „Da war ich im dritten Monat in ihrem Bauch schon dabei“, erzählt er. „Während des Studiums bin ich alleine mit einem Buch in den Wald gegangen. Ich brauche den Kontakt zum Waldboden, zum Echten.“ Wenn er nicht draußen ist oder arbeitet, büffelt er Mandarin. „Unglaublich schwer. Aber wenn du dranbleibst, geht immer was weiter. Daraus ziehe ich Energie.“ Im Stau, am Flughafen, im Wartezimmer. Zeit zum Lernen ist überall. Dass seine Freundin lachen muss, wenn er etwas sagt, stört ihn nicht. „Ich kann mich mit allen unterhalten.“ Unterdessen lernt sie Deutsch, das sie für einen Aufenthaltstitel braucht. Rolf Majcen sprüht vor positiver Energie, lacht viel. „Du musst unbedingt einmal die Strecke in Bramberg rodeln“, sagt er. „14 Kilometer. 14 Kilometer! Der Wahnsinn, so eine Gaude.“ Seine Begeisterung ist ansteckend. Auf die Frage nach dem Rodelbauer greift er sofort zum Handy. „Wart, ich ruf den Franz gleich an.“ Kaum zu glauben, dass er sich als introvertiert und Einzelgänger beschreibt, so offen, wie er auf die Menschen zugeht. „Rodeln ist die optimale Gegenwelt zum hektischen Arbeitsalltag. Ich finde das Glück in kleinen Dingen. Kaffee im Auto, den Schnee im Gesicht, das einfache Leben.“ Mehr brauchst nicht.

Mehr brauchst du nicht

Rolfs Rodeltipps

  1. Je besser die Rodel, desto mehr Spaß. Hochwertige Rodeln mit breiten Schienen und beweglichen Oberholmen lassen sich optimal lenken.
  2. Gute Ausrüstung: Helm, Skibrille, Handschuhe, wasserfeste Schuhe mit guten Sohlen, Gamaschen.
  3. Gegen den Fahrtwind: Kälteschutz für das Gesicht! Langsam an die Geschwindigkeit herantasten, bremsen üben, Vorsicht bei ersten Kurven.
  4. Nordseitige Pisten sind morgens oft vereist. Unbedingt warten bis es weicher wird.
  5. Nachtrodeln ausprobieren. Großartige Talblicke garantiert!