Touren auf Drei- und Viertausender sind die Königs­disziplin des Bergsommers in den Alpen und üben eine enorme Anziehungskraft aus. Sie führen ins hochalpine, ausgesetzte und meist vergletscherte Gelände; Kletter- oder Klettersteigpassagen sind die Regel. Richtig angegangen, versprechen Hochtouren Genuss und ein Gefühl von Freiheit.

Von Oliver Pichler


Zahllose Wanderungen sind absolviert. Frühmorgendliche Touren samt Sonnenaufgang am Gipfel wurden genossen. Sportlich-schnelle Gipfelerfolge in Trailrunning-Manier gefeiert. Der Wunsch nach einer weiteren Herausforderung wird immer größer. Sommerliche Hochtouren sind der logische nächste Schritt. Damit gemeint sind längere Touren in hochalpine, meist vergletscherte Regionen. Es geht in der Regel ausgesetzt, oft via Kletter- oder Klettersteigpassagen bis auf oder über 3.000 Meter.

Wie vieles Reizvolle haben Hochtouren zwei Seiten – wunderschön und begeisternd einerseits. Beachtliche Gefahren in sich bergend andererseits. Der Grat zwischen Glücksgefühl und Absturz – im wahrsten Sinn des Wortes – ist schmal. Damit bestmöglich umzugehen heißt, sich selbst um seine eigene „Überlebens-Versicherung" zu kümmern. Was Profis – Martin Edlinger, Hubert Granitzer und Wolfgang Nairz – raten, um den Hochtourengenuss zu maximieren und das Risiko zu minimieren, hat SPORTaktiv erfragt.

GENUSS UND FREIHEITSGEFÜHL
Hochtouren sind für mich eines der schönsten Naturerlebnisse. Allein das Durchsteigen verschiedener Vegetationszonen – vom Tal über alpine Blumenwiesen bis zu vergletscherten Regionen und Gipfeln – ist in seiner Pracht und Eindrucksvielfalt immer wieder faszinierend", schwärmt Wolfgang Nairz. „Mich begeistert an Hochtouren, in der freien, unberührten Natur unterwegs zu sein. Und dieses gewaltige Freiheitgefühl des Obenseins zu spüren", beschreibt Martin Edlinger sein Empfinden. Die Anziehungskraft von Hochtouren erklärt Bergführer Hubert Granitzer damit, „dass man in verschiedenen Bergsportarten – Wandern, Bergsteigen, Klettern und Gletschergehen – versiert sein muss. Es ist die Krönung des Bergsteigens in den Alpen". „Hochtouren werden oft als eines der letzten echten Abenteuer wahrgenommen", weiß Edlinger.

„Zuerst begnügen sich die meisten mit einfacheren Gipfeln. Irgendwann will man höher hinaus und etwa den Großglockner (3.798 m) über den anspruchsvollen Stüdlgrats besteigen. Ein typischer nächster Schritt ist der Ortler (3.905 m), ehe der Blick auf die 4.000er der Westalpen – etwa Mönch (4.107 m), Matterhorn (4.478 m) oder Mont Blanc (4.810 m) – fällt", beschreibt Granitzer das typische, „oft übertriebene Gipfel-Ziel-Denken". Everest-Pionier Nairz rät, sich nicht von Ehrgeiz und Leistungsdrang treiben zu lassen. „Am Berg zählen andere Faktoren. Höher, schneller, weiter ist weniger wichtig. Entscheidend ist das Genießen der Natur, der Ruhe und der Einsamkeit."

BASICS, TRAINING, AUSRÜSTUNG
„Zu glauben, man kann bergsteigen, weil man gehen kann, ist falsch. Man soll Bergsteigen von Grund auf lernen und dabei etwa das Gehen mit Steigeisen oder den Umgang mit dem Seil üben. Kurse der alpinen Vereine und vieler Bergsteigerschulen sind dafür ideal", plädiert Nairz für eine gewissenhafte Vorbereitung. „Es sind viele Facetten, auf die man sich vorbereiten und einstellen muss. Die Kombination von Gletscher und Fels, Weglosigkeit, Orientierung, Wissen um Wetter und Verhältnisse, Verhalten im Fall eines Gewitters im Hochgebirge u. v. m. spielen bei Hochtouren komplex zusammen", weiß Bergführer Granitzer.

Als besonders wichtig stuft Martin Edlinger die Vorbereitung auf das Gehen am Gletscher ein. „Während man viele Touren, die hoch hinauf führen, aber ohne Gletscherquerungen auskommen, bald einmal gehen kann, ist das am Gletscher anders. Hier braucht es zumindest eine Grundschulung", betont Edlinger. Das Verhalten am Gletscher, speziell Seil- & Rettungstechnik, sollte Inhalt von Vorbereitungskursen sein. Sich nur auf das Können des Führers zu verlassen wäre trügerisch. Als längerfristige Hausaufgabe der Vorbereitung gilt die gute bis sehr gute Grundkondition. „Fit und gut trainiert zu sein, verbessert die Trittsicherheit und reduziert das Risiko zu stürzen, zu stolpern oder auszurutschen", weiß Hochtouren-Profi Edlinger. Noch einen Tipp hat er: „Es ist ratsam, sich nicht dauerhaft nahe an seiner Leistungsgrenze zu bewegen, weil es sonst nicht gelingt, über längere Zeit mit hoher Konzentration unterwegs zu sein."

„Von Bedeutung ist die richtige Ausrüstung. Sich etwa gut gegen das Wetter schützen zu können ist Standard. Wind- und wasserdichte Jacken und Hosen sind ein Muss. Und Haube wie Handschuhe sollten mit dabei sein", so der Naturfreunde-Experte. Gute, eingegangene und steigeisenfeste Schuhe, Steigeisen mit Antistollen-Platten aus Gummi, Eispickel sowie ein Klettergurt, ein paar Karabiner und Reepschnüre sowie ein vernünftiges Seil gehören ebenfalls zur Grundausstattung. „Gleichzeitig ist es ratsam, nur das mitzunehmen, was man wirklich braucht. Größe und Gewicht der Rucksäcke machen schneller müde und vor allem auch unbeweglicher. Für eine Tages­tour muss ein 35- bis 40 Liter-Rucksack reichen", rät Edlinger zur Reduktion.

Die Experten
MARTIN EDLINGER Naturfreunde - Wir leben Natur / Bild: www.naturfreunde.at... ist Hochtouren-­Experte, Berg- & Skiführer und Leiter der Abteilung Bergsport der Naturfreunde Österreich. Web: www.naturfreunde.at
HUBERT GRANITZER... ist seit 25 Jahren als Bergführer auf den höchsten Gipfeln der Ost- und Westalpen unterwegs.
WOLFGANG NAIRZ... war 1978 einer der drei ersten Österreicher am Mount Everest (8.848 m) und leitete zeitgleich die Expedition, bei der Reinhold Messner und Peter Habeler erstmals ohne Sauerstoff „ganz oben" standen.


UNMITTELBARE VORBEREITUNG
„Wichtig vor jeder Hochtour ist die saubere Tourenplanung. Zu wissen wo, man hingehen will und ob man sich die Tour in ihren Details überhaupt zutraut, ist eine Grundvoraussetzung", appelliert der Naturfreunde-Bergprofi. „Wenn man sich überschätzt und man sich etwa an extremen Stellen aus blanker Angst nicht mehr weiterwagt, ist das für alle Beteiligten ein Problem. Insbesondere am Glockner habe ich solche Situationen schon mehrfach erlebt", erzählt Edlinger. „Deshalb ist es wichtig, zuerst leichtere Touren, etwa auf den Dachstein (2.995 m) oder auch auf den Großvenediger (3.666 m), zu gehen und sich dann behutsam an Schwierigeres, wie etwa den Glockner (3.798 m) heranzutasten."

Die Wettersituation ist in der Vorbereitung zentral. „Bei Hochtouren können Gewitter extrem gefährlich werden und die Tour massiv verlängern, auch weil die Orientierung viel schwieriger ist", warnt Edlinger. Blitzschlag und nasser Felsuntergrund sind die unmittelbaren Gefahrenquellen von Wärmegewittern, die nur grundsätzlich und nicht im Detail vorhersagbar sind. „Frühestmöglich zu starten, um bis spätestens 10 oder 11 Uhr am Gipfel zu sein", empfiehlt deshalb Bergführer Granitzer. Genauer vorhergesagt werden Frontgewitter. Sie sind noch gefährlicher, weil sie einen Kälteeinbruch bringen, der in höheren Lagen oft mit Schneefällen einhergeht. „Von einem Wettersturz unvorbereitet überrascht zu werden, hat meist mit schlechter Planung zu tun", rät Edlinger zu guter Tourenplanung.

ZENTRALER FAKTOR GLETSCHER
„Im vergletscherten Bereich haben wir häufig das Problem des Gletscherrückgangs. Dadurch treten vermehrt Spaltenzonen und Randklüfte am Übergang zwischen Gletscher und Fels hervor", weiß Martin Edlinger. Gletscher sind eine große, unberechenbare Gefahrenquelle. Stürze in Spalten können jederzeit passieren. Der einzige Schutz ist anseilen. Daher darf man keinesfalls alleine unterwegs sein. Am besten sind drei- bis vierköpfige Gruppen.

Zusätzlich, so Edlinger und Granitzer, bedingen die Klimaveränderungen, dass die Steinschlaggefahr deutlich ansteigt. „Daher kann man eine Reihe von Touren im Hochsommer gar nicht gehen, weil es zu gefährlich ist", stellt Bergführer Granitzer fest. „Ich erlebe es oft, dass Unerfahrene Risiken nicht wahrnehmen und Gefahren nicht erkennen. Während wir gefährliche Passagen möglichst zügig durchschreiten, beobachte ich es immer wieder, dass andere genau an diesen Stellen Wasser nehmen oder gar Pause machen", erzählt der Kärntner Bergführer.

NÄCHSTE PLÄNE
Wer motiviert durch das Bewältigen erster Hochtouren über nächste Ziele nachdenkt, dem gibt der 73-jährige Tiroler Nairz noch den Rat: „Um in den Bergen glücklich zu sein, soll man sich realistische, nicht übertriebene Ziele setzen. Das Geheimnis ist, den eigenen Glückshorizont so zu wählen, dass man es bis zu ihm auch schaffen kann. Dadurch erreicht man wunderbare Gipfelerlebnisse – und nicht, indem man immer extremer unterwegs ist."

WISSENSWERTES
Kurse & Profi-Begleiter:Touren in hochalpine, vergletscherte Regionen sind nicht zu unterschätzen. Entsprechend wichtig ist es, sich im Rahmen professioneller Kurse vorzubereiten. Alleine sollte man Hochtouren, insbesondere Gletscherpassagen, sowieso nie in Angriff nehmen. Erfahrene Begleiter sind speziell für Einsteiger ein Muss. Staatlich geprüfte Bergführer und Tourenführer der Alpinen Vereine sind kompetente Begleiter auf solchen Touren, auch in heiklen Alpin-Situationen.

Die Naturfreunde bieten beispielsweise ein umfassendes Kursprogramm:
Alle Infos unter www.naturfreunde.at.

Sechs Top-Hochtouren: Herbert Raffalt aus dem steirischen Ennstal ist Bergführer und mehrfach ausgezeichneter Fotokünstler – von ihm stammen die Bilder dieses Artikels. Und er verriet uns seine sechs Lieblings-Hochtouren in Österreich:

1. Grossglockner (3.798 m) über den Stüdlgrat, Osttirol, schwer.
2. Fuscherkarkopf (3.331 m), ­Kärnten und Salzburg, mittelschwer.
3. HOCHKÖNIG (S, 2.941 m) über den Königsjodler Klettersteig, schwer.
4. Hochtor im Gesäuse (2.369 m), Steiermark, mittelschwer
5. GROSSER PRIEL (2.515 m) über den Bert-Rinesch-Klettersteig, OÖ, schwer.
6. GROSSVENEDIEGR (3.666 m), Salzburg und Tirol, mittelschwer.

Kontakt: www.raffalt.com



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