Ab geht’s – auf die Piste? Für viele ­Skifahrer und Snowboarder hört sich das nicht mehr besonders spannend an. Auf massentauglich präparierten Pisten ­erlebt man schließlich kaum noch Überraschungsmomente. Kein Wunder also, dass das Freeriding, der „Ritt im ­Gelände“, einen echten Boom erlebt. Denn hier ­erfahren wir einen Hauch von Wildnis und sind endlich mal wieder der Natur auf der Spur.

Pisten tragen Nummern. Allein das macht sie schon ziemlich berechenbar. Noch dazu kennzeichnet die Farbe den Grad der Schwierigkeit – da bleibt das Abenteuer auf der Strecke. Und die Zeiten, in denen man sich des Befahrens einer „Schwarzen Piste“ brüsten konnte, sind irgendwie auch vorbei. Der größte „Nervenkitzel“ ist heutzutage grad noch zu erleben, wenn man sich am Sonntagnachmittag auf die Talabfahrt begibt, um dort unter all den Ermüdeten, Überforderten und (manchmal) Angetrunkenen die beinahe zwangsläufige Kollision zu vermeiden.

BEREIT ZUM SEITENSPRUNG
Das kann durchaus aufregend sein. Es gibt aber eine viel schönere und vor allem natürlichere Art und Weise, beim Skisport in den Genuss von erinnerungswürdigen Momenten zu kommen: Wir wagen einen Seitensprung, verlassen die Piste und lernen unsere Berge von ihrer anderen Seite kennen …
„Beim Freeriden finde ich ein Gefühl der Unberührtheit und kann das Skifahren viel mehr genießen“, schwärmt auch Eva Walkner. Die 33-jährige Salzburgerin war von 1995 bis 2003 Mitglied des ÖSV-Kaders, fuhr im Europacup und insgesamt acht Weltcuprennen – ehe sie dem alpinen Rennsport den Rücken kehrte und ins Lager der Freeskier wechselte. Heute zählt sie zu den Besten der Welt, die Saison 2012 beendete Eva auf dem zweiten Platz in der Gesamtwertung der „Freeride World Tour“.
Ihre Motivation: „Abseits der Pisten entflieht man dem Massentourismus und findet noch echte Herausforderungen. Hier sind die Hänge einfach wild und authentisch. Außerdem hat man im Tiefschnee ein ganz anderes Fahrgefühl – es ist, als würde man auf einer Wolke schweben.“

EINE GEWISSENSFRAGE
Das Schöne daran ist, dass ein Sturz im Powder auch noch weitaus weniger­ weh tut als ein Crash auf einer von Carvern blank geschabten Piste. Dennoch ist der Ausflug in die Unberührtheit der Natur alles andere als sicher. Für freiheitssuchende Neulinge gibt es erst recht viel zu beachten.
„Wer mit dem Freeriden beginnen möchte, sollte ehrlich zu sich selbst sein, ob er auch wirklich gut genug fährt und sicher auf dem Ski steht“, rät Eva. „Und dann macht es einfach Sinn, sich einen Bergführer zu nehmen oder sich für einen Kurs anzumelden. Der Alpenverein zum Beispiel bietet spezielle Freeeridecamps an. Dort hat man nicht nur Spaß in der Gruppe, sondern lernt die wichtigsten Sicherheitsregeln.“
Wer nur mal zehn Meter neben der Piste in den Tiefschnee schnuppern will, kann das natürlich auch ohne Skilehrer tun. Aber aufgepasst – selbst hier lauern Gefahren: Der Laie kann kaum erkennen, wo sogar in direkter Pistennähe eine Lawine droht. Und in Gletschergebieten besteht speziell von Oktober bis Dezember sowie im Frühling die Gefahr, nur unweit der Pisten in eine Spalte zu stürzen, weil die Brücken aus Schnee und Eis nicht tragfähig sind.
Eine andere Möglichkeit, gerade als Neueinsteiger ins Freerider-Geschäft einzusteigen, sind Skirouten. Diese Abfahrten sind mit roten Karos gekennzeichnet und in der Regel nicht präpariert – dafür aber zehn Meter auf beiden Seiten der Schilder vor alpinen Gefahren wie Lawinen gesichert.
Wer schließlich als Einsteiger richtig in die winterliche „Wildnis“ will, sollte sich aber unbedingt von Profis begleiten oder wenigstens ausgiebig beraten lassen. Wer aber glaubt, sich bereits ohne professionelle Begleitung ins Gelände wagen zu können, sollte genau wissen, was er tut – und zwar nur gemeinsam mit Freeride-erfahrenen Freunden. Denn hier draußen ist im Falle eines Unglücks nicht mit Hilfe zu rechnen.

ALLES FÜR DIE SICHERHEIT
Das ist auch gleich einer der ganz großen Unterschiede zum Pistenskifahren: Gleich wie beim Skitourengehen ist auch beim Freeriden eine Sicherheitsausrüstung Standard. Neben Helm und Rückenprotektor (schützt auch vor Stürzen auf Felsen) muss auch der Freerider die Möglichkeit in Betracht ziehen, von einer Lawine überrascht zu werden. Um die Chance zu wahren, einen Verschütteten zu retten, sind Schaufel, Sonde sowie elektronisches Suchgerät (LVS) notwendig.
Der bloße Besitz dieser Utensilien garantiert aber noch lange nicht mehr Sicherheit. „Wenn ein Freund in einer Lawine verschwindet, kann bei Ungeübten absolute Panik herrschen“, weiß unsere Expertin Eva. „In einer solchen Situation muss man die Suche mit einem Gerät wirklich beherrschen. Wer es vorher nicht geübt hat, wird bei der Rettung wertvolle Zeit verlieren. Und in diesem Fall geht es um jede Minute.“
Und wenn man selbst in eine Lawine gerät? „Blitzschnell umsehen, vielleicht gibt’s noch einen ,Notausgang‘ aus der Fahrlinie! Wenn es zu spät ist, muss man kämpfen und strampeln, um irgendwie an der Oberfläche zu bleiben. Kommt die Lawine zum Stehen, sofort versuchen, Hände und Arme vor das Gesicht zu bekommen, um dort eine Atemhöhle zu schaffen! Die meisten Lawinenopfer ersticken am ausgeatmeten CO². Im Schnee aber ist grundsätzlich Sauerstoff gespeichert – eine Atemhöhle hilft ganz entscheidend.“

INFORMATIONEN EINHOLEN
Wir wollen jetzt aber nicht den Teufel in den Schnee malen. Wer sich langsam ans Freeriding herantastet und nicht fahrlässig handelt, sollte von solchen Extremsituationen verschont bleiben.
Gerade bei Lawinen gibt es eine ganze Reihe von Faktoren und Indikatoren, die Hinweise auf den Grad der Gefährdung geben. Intensiver Schneefall, Verwehungen durch starken Wind oder ein Hang mit starker Neigung erhöhen die Gefährdungslage grundsätzlich. Eva Walkner informiert sich deshalb immer vorher im Internet und auch bei den Einheimischen über die aktuellen Bedingungen.
Stehen keine Informationen zur Verfügung, kann man ein Loch in den Hang graben, um so das Schneeprofil und unterschiedliche Schichten zu erkennen. Dafür braucht es aber ein geschultes Auge und theoretisches Wissen – das man sich eben in einem Freeride- oder Lawinencamp aneignen kann.


DIE WICHTIGSTEN TIPPS FÜR ANFÄNGER UND FORTGESCHRITTENE:

ZUERST INS CAMP
Als Neueinsteiger empfiehlt es sich in jedem Fall, einen Freeride-Kurs zu besuchen. Angebote dazu gibt es mittlerweile jede Menge – zum Beispiel „Risk’n’Fun“ Camps des Österreichischen Alpenvereins (ÖAV). Hier erfährt man alles zur richtigen Technik und zur Einschätzung von Gefährdungslagen. Die Kosten liegen je nach Länge und Level des Camps bei etwas mehr als 300 Euro.
www.freeridecamps.at wiederum ist ein Anbieter, der vor allem auch den schon fortgeschrittenen Freerider bis hin zum Wettkämpfer betreut. Vom Bootcamp für die Vorbereitung auf die Saison über Juniorcamps für Nachwuchs-Freerider bis zum Linecamp, in dem du Tipps für die Gestaltung einer Line erhältst – hier bekommst du, was du brauchst.

FÜR DIE SICHERHEIT
Bevor es los geht, musst du dir erst einmal die richtige Sicherheitsausrüstung zulegen und das Suchen von Verschütteten üben! Auch das lernst du in einem Freeride-Camp. Vor einer Tour solltest du dann stets tagesaktuell den Lawinenbericht checken, nach Möglichkeit Ortskundige befragen – oder noch besser: gleich gemeinsam mit den Locals bzw. einem erfahrenen Bergguide ins Gelände gehen.

BEVOR ES LOSGEHT - CHECKLISTE
- Niemals allein im Gelände fahren;
- im Team Zeichen zur Verständigung ausmachen;
- nur einzeln in einen Hang einfahren und niemals im Hang stehenbleiben;
- schließlich im Auslauf an einem ­sicheren Punkt wieder sammeln.

GUT GERÜSTET - DIE RICHTIGEN SKI
Im Tiefschnee bieten breite Freeski mehr Fläche, mehr Auftrieb und erleichtern das Drehen. Sie sind zudem vorgebogen („Rocker“), damit die große Schaufel schnell aus dem Schnee kommt. Am besten man testet ein paar Modelle. Auch ein Rucksack mit Schaufel und Suchsonde muss immer dabei sein.

DIE RICHTIGE "WAIST"
Entscheidend ist die Breite (Waist) des Skis unter der Bindung. Pistenski haben ca. 68 bis 75 Millimeter – Ski für Freeride-Einsteiger haben etwa 85 bis 100 Millimeter Waist; Fortgeschrittene und Profis fah­ren meistens mit deutlich mehr als 100 Millimeter Taille.

DIE RICHTIGE BINDUNG
Bindungen sind grundsätzlich alle einsetzbar. Breite Ski erfordern lediglich einen breiten Stopper. Wer den Berg mit Fellen unter den Ski besteigen möchte, braucht eine Bindung mit Geh-Mechanismus.

DER RICHTIGE SCHUH
Von Vielen unterschätzt – aber nur über die Füße erhält der Ski die richtigen Impulse. Deshalb sollte ein Schuh nicht nur bequem sein, sondern vor allem perfekt passen. Am besten führt man im Sportgeschäft ein sogenanntes „Boot Fitting“ durch.

DIE RICHTIGEN PROTEKTOREN
Ein Helm ist sowieso Pflicht. Und ein Rückenprotektor schützt die Wirbelsäule nicht nur vor Krafteinwirkungen, sondern auch beim Sturz auf einen Felsen.

DER RICHTIGE LAWINENSCHUTZ
Ein Lawinen-Airbag erhöht das Volumen des Körpers und hält ihn damit tendenziell an der Oberfläche. Lawinen-Airbags (z.B. von ABS oder BCA) ab ca. € 600,-

DAS RICHTIGE SUCHGERÄT
Jeder Freerider sollte ein „Pieps“ (korrekt LVS, für Lawinen-Verschütteten-Suchgerät) am Körper tragen. Mit ihm werden Verschüttete geortet. LVS können in den meisten Sportgeschäften ausgeliehen werden. Der Einsatz sollte geübt werden, sonst wird die Suche unter Stress kaum erfolgreich sein.