Von der Stadt auf den Gletscher: Der Stubai Ultratrail glänzt mit spekatakulärer Streckenführung. Das macht auch den Winter neugierig.

Von Klaus Höfler

Wolfgang Ambros lügt. Da kann’s in seinem alpinpoppigen Klassiker noch so hymnisch heißen: „... ins Stubaital oder nach Zell am See. Weil dort auf die Berg ob’n, ham s’ immer an leiwanden Schnee.“ Das mit dem „leiwand“ stimmt nicht. Zumindest nicht, wenn man bereits – je nach Streckenwahl – zwischen 25 und mehr als 50 gelaufene Kilometer in den Beinen hat. Dann sind vom Himmel tanzende Flocken und gut 15 Zentimeter Neuschnee unter den Füßen eher das Gegenteil von „leiwand“. Aber „dort auf die Berg ob’n“ muss man eben auch Anfang Juli mit allem rechnen. Dieses Jahr sogar erstmals mit Läufern. 500 nehmen bei der ersten Auflage des Stubai Ultratrail teil.

NÄCHTLCHE OUVERÜRE
Das Spektakel beginnt mitten in der Nacht. An einem Ort, der relativ wenig mit einem Hochgebirgstrailrun gemeinsam hat: dem Innsbrucker Landestheater. Richard Strauss’ „Capriccio“ hatte hier wenige Tage zuvor Premiere – ein Stück, in dem es um das Zusammenspiel von Musik und Text in einer Oper geht. Heute ist es ein Lauf, für den sich erstmals der Vorhang hebt und indem es um ein Duett von Stadt und Gletscher geht. „urban2glacier“ untertitelt sich der Stubai Ultratrail. Der erste Akt führt durch die schlafende Tiroler Landeshauptstadt. Der zweite Akt endet hoch oben im ewigen Eis des Stubaier Gletschers. Dazwischen: 62,5 Kilometer und 5.116 Höhenmeter. Das macht diesen Ultratrail trotz einer jede Saison länger werdenden Liste an Trailruns in den Ostalpen einzigartig.

Nur sieht man davon zunächst nichts. Es ist stockdunkel. Noch dazu regnet es, als es kurz nach Mitternacht aus der Stadt Richtung Bergisel geht. Der Trail schlängelt sich durch die Sillschlucht bis zum Stubaier Taleingang. Das Rauschen des Wassers mischt sich mit dem Rauschen der auf der nahen Brennerautobahn vorbeihuschenden Autos. Bis zur zweiten Labestation kurz nach Telfes bleibt es ein sanftes Bergauflaufen. Die erste wirkliche Bergetappe baut sich erst ab Kilometer 18 vor uns auf. Auf den nächsten 14 Kilometern saugen 1.250 Höhenmeter das erste Mal die Oberschenkeltanks so richtig leer. Unter der Sennjochbahn führt der Trail in engen, steilen aber griffigen Serpentinen über die 2.000 Meter Seehöhe-Schwelle aufs Sennjoch.

Langsam kriecht auch der Tag aus seinem Bett und schickt die ersten Sonnenstrahlen als Vorboten für einen sonnigen Vormittag. Es zahlt sich aus. Denn bei schönem Wetter und guter Fernsicht kann man hier hinter martialisch wirkenden Lawinenverbauungen vom Karwendelgebirge über die Zillertaler Alpen und die Berge des Gschnitztales bis hin zu den Gletschern rund ums Zuckerhütl eine Kulisse bestaunen, die einem den Atem raubt. Für Letzteres könnte aber auch das sich wild aufwölbende Terrain verantwortlich sein. Denn erst nach der Starkenburger Hütte verlassen wir die 2.000er-Region wieder und nähern uns in einem knapp 1.000 Höhenmeter-„Sturzflug“ dem Halbzeit-Ort Neustift im Stubaital.

KURZES INTERMEZZO
Hier wechseln wir das Ufer. Auf der Ostseite des Tals führt die Route weiter. Abgesehen von kurzen Rampen ebnet sich die Strecke ab hier für einen Trailrun mit über 5.000 Aufstiegshöhenmetern fast überraschend wieder ein. So bekommen aber auch die Starter beim Basictrail (28,6 km, 2.500 Höhenmeter, Start in Neustift) die Möglichkeit, sich auf das vorzubereiten, was noch kommt. Was da noch kommt, scheint auch den Winter zu interessieren. Er macht sich aus den angezuckerten Gipfelregionen auf, um den Läufern einen Besuch abzustatten. Das kündigt sich mit verträumt wirkenden Nebelfetzen an, die wie Spinn­enweben in den Seitenschluchten hängen, verdichtet sich aber recht schnell zu einer milchig grauen Wolkendecke, aus der auch noch Schnee zu fallen beginnt.

FURIOSES FINALE
Das macht’s für die Läufer nicht gerade einfacher. Vor allem, weil es hinter dem „Wilde Wasser Weg“ entlang der Reutz und vorbei am breitesten Wasserfall der Ostalpen ab der Tschangelair Alm bei Kilometer 50 so richtig hochalpin zur Sache geht. Wir lassen die 2.000-Meter-Seehöhengrenze wieder hinter uns, ein ungestümer Gletscherbach donnert unter uns Richtung Tal und vor uns kriechen die engen Serpentinen das Eisgratl hinauf zur Dresdnerhütte. Jetzt zeigt der Berg, was er kann. Steine, Schneefelder, Eis, Gletscherteich und Temperaturen, die nicht wirklich an Anfang Juli erinnern. In dieser Kulisse warten noch einmal 800 Höhenmeter auf den letzten 18 Kilometern. Aber oben zwingt einen das Panorama zur Einsicht, dass Wolfgang Ambros doch recht hatte: „ein leiwander Schnee“ – und eine der spektakulärsten Zielankünfte der Alpen.

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