Wer in der Hektik des Alltags den Überblick verliert, sollte es mal mit einem Abstecher ins „Draußen“ versuchen. Nichts erdet den kleinen Menschen so kraftvoll wie die Präsenz der mächtigen Natur.

Lukas Schnitzer
Lukas Schnitzer

Draußen hat unendlich viele Gesichter. Draußen, das sind tosende Wasserfälle, reißende Bäche, sanft anmutende Ströme und spiegelglatte Seen. Draußen sind tiefe Wälder, endlose Weiten und saftige Almen. Draußen schlängeln sich einsame Pfade genauso wie bequeme Wege zu versteckten Gipfeln, zu einzigartigen Panoramen, zu ganz besonderen Aussichtsplätzen. Draußen, das sind Berg und Tal, sind Ebene, Hügelland und Steppe. Unendlich viele Gesichter, die eines gemein haben – ihr breites Grinsen, ihr ganz besonderes Strahlen steckt an, und zaubert auch uns unweigerlich ein Lächeln auf die Lippen.

Das Abenteuer wartet draußen vor der Haustür und ist nie weiter als einen Steinwurf entfernt.

Tausche Aufmerksamkeit gegen Glück
Bunt bedrucktes Papier, dessen Anziehungskraft und „Macht“ auf uns kleine Menschen sowie die Jagd nach dieser Macht lassen so manchen unter uns das schüchterne Lächeln, den zarten Ruf des „Draußen“ übersehen, stumpf werden gegen die Faszination und Lehren der Natur. Hastig holen wir uns zwischen Kinder-zur-Schule-Bringen und Büro eine kompakte Dosis Fitness im gleichnamigen Studio. Quetschen hektisch eine Laufrunde zwischen zwei Termine, sitzen spätabends schwitzend in Reih und Glied und treten in die Pedale, laufen, steppen und rudern am Stand, um uns in Bewegung zu halten. Bewegung, die zweifellos guttut, im stressigen Alltag das menschliche Bedürfnis nach körperlicher Aktivität stillt und zwischen all unseren „Verpflichtungen“ für ein klein wenig Wohlbefinden sorgt. Doch nur die Natur in all ihrer Schönheit und mit all ihren Gewalten vermag es, unser tagtägliches Tun ungefiltert in Relation zum großen Ganzen zu setzen, uns unbarmherzig den Spiegel ins eigene Gesicht zu halten. Das „Draußen“, das letzte Abenteuer abseits der eng gesteckten Grenzen unserer bequemen, in jederlei Aspekt käuflichen Zivilisation: Es erdet, es relativiert und es sorgt selbst in hektischen Zeiten für inneren Frieden.

Wer regelmäßig seine Schuhe schnürt, um sich für ein paar Stunden oder Tage in der Einsamkeit der Wälder oder der Magie der Berge zu verlieren, wird es bestimmt bestätigen: Probleme, die in den eigenen vier Wänden übermächtig scheinen, „verlieren“ mit jedem Schritt, mit jedem neuen Aus-, Weit- und Tiefblick an Bedeutung. Die mächtigen Gipfel, die schroffen Felsen und endlosen Weiten saugen uns auf, erfordern unsere volle Aufmerksamkeit und befördern uns genau in den richtigen Moment – das Hier und Jetzt. Gleichzeitig setzt die Natur aber auch unsere „Erfolge“ in Relation. Wie unbedeutend doch solch ein kleiner Mensch inmitten einer imposanten Felswand scheint – und wie die Sonne auch ohne permanentes Mailchecken stoisch über den Horizont wandert. Wie viel oder wenig des bunt bedruckten Papiers der kleine Mensch im letzten Jahr angesammelt hat, wie weit er auf der Karriereleiter zu klettern vermag, welchen Abschlüssen er hinterherzulaufen vermag – all das ist den Bergen, den Flüssen und Wäldern, dem Sonnenaufgang am Gipfel einerlei. Die Momente draußen in der Natur, die bauschig aufsteigenden Nebelschwaden im sich langsam erwärmenden Morgen, das Spiel der Sonne mit dem Licht und den Wolken, der Blick hinunter ins Tal, das Glück den schweißtreibenden Anstieg hinter sich gebracht zu haben, der schneidige Wind oben am Gipfelgrat, der kalte Sprühregen im Gesicht und der Duft der Wälder und Almwiesen nach einem kurzen Regenguss – Momente wie solche, sie lassen sich nicht erkaufen, sie lassen sich nur erleben. Alles, was das „Draußensein“ von uns fordert, ist unsere volle Aufmerksamkeit, Respekt und ein klein wenig Demut.

... der schneidige Wind am Gipfelgrad, der kalte Sprühregen im Gesicht, der Duft der Wälder und ­Almwiesen ...

Draußen ist für alle da
Natur- und Bergerlebnisse – sie sind ob ihrer enormen Vielfalt tatsächlich für alle da. Weder braucht es irre Kondition noch teure Ausrüstung oder „Extreme“, um draußen „sein“ Glück zu finden. Denn „Draußen“ findet nicht erst fernab der Zivilisation, sondern bereits hinter der Stadtgrenze statt. Alles, was es braucht, ist eine realistische Einschätzung der eigenen Fähigkeiten, dann lässt sich die Natur für jedermann entdecken. Das Glück reicht vom Ausflug mit kleinen Entdeckern über eine flotte Feierabendtour unweit der eigenen vier Wände bis hin zu alpinen und hochalpinen Abenteuern oder mehrtägigen Weitwandertouren – und findet sich genauso einsam allein wie mit Partner, Freunden oder geselligen Gruppen. Draußen, da grüßt man sich im „Du“, hilft sich gegenseitig und hinterlässt keine Spuren. Wählt man dann auch noch die passende Tour oder Route entsprechend der eigenen Erfahrung, gibt es wohl nur wenige Erlebnisse, die für lang­anhaltenderes Glück sorgen. Aber: Egal wohin euch der Ruf des „Draußen“ in dieser Saison auch führt, oben respektive am Ziel anzukommen ist ein willkommener Bonus eines perfekten Tages in den Bergen – sicher zurück nach Hause zu kommen hat aber stets oberste Priorität.

Einfach mal machen
Darum unser gut gemeinter Rat, nein, unser Appell: Nehmt euch auch in stressigsten Zeiten ab und an die Zeit für „draußen“. Nicht hektisch und gestresst zwischen zwei Geschäftsterminen oder Kinderfußballturnier und Großonkel Karls Geburtstag gepresst, sondern ganz bewusst. Hier abseits des eng getakteten Alltags hat Hektik keinen Platz, wird diese, je nach Gelände, mitunter sogar gefährlich. Auch wenn die Phrase längst nicht angestaubt, sondern fast schon abgedroschen wirken mag – seht die Welt da draußen öfter mal mit Kinderaugen. Klettert (bitte im Rahmen eurer Möglichkeiten) mal auf oder über kleine Felsen. Wandert öfter mal auf unbekannte Gipfel, entdeckt regelmäßig neue Berge und Routen für euch. Haltet inne, um das emsige Treiben der Ameisen zu beobachten, folgt mutig und neugierig neuen Wegen, lasst euch fesseln vom Moment. Geht einfach mal rein, rauf und raus in die Wälder, auf die Gipfel und in die „Wildnis“. Euer Körper wird es euch genauso danken wie eure Seele.