Hannes Namberger aus dem Dynafit-Squad ist der aktuell beste Ultratrailrunner im deutschsprachigen Raum, mitten in der Weltelite. Im Laufen hat der Ex-Skirenn­läufer aus Bayern seine sportliche Liebe gefunden.

Christof Domenig
Christof Domenig

Als Skirennläufer ist der Weg zum Ausdauersportler nicht gerade vorgezeichnet. Wie kam’s dazu?
Sagen wir, ich „wurde“ aufgehört – 2011, auch aufgrund von Verletzungen. Danach habe ich mal viel Zeit mit dem verbracht, was ich wirklich gern getan hab: Skitouren, Berggehen, Klettern – und bin übers längere Berggehen zum Laufen gekommen.

Ein ganz neuer Blick auf die Berge?
Als Skirennläufer kennst du nur Skifahren. Das ist eine ganz andere, oft eine harte Welt. Immer nur Lift und die immer gleichen Orte. Im Sommer hast du dann etwas anderes gemacht als Laufen – die Füß’ waren ja auch viel zu dick, bin ich einmal gelaufen, bin ich blutig heimgekommen. 

Es waren also mehr die Berge als das Laufen, was dich angezogen hat?
Auf Marathon habe ich nie Lust gehabt. Meine frühen Touren waren mit leichtem Rucksack, vollgestopft mit Essen. Ich hab mich an irgendeinem Punkt aussetzen lassen und bin dann heimgelaufen. Auch mal zehn Stunden.

Verliebt ins Ultralaufen – in Wettkampfform – hast du dich beim Karwendelmarsch 2015. Was kommt dir im Rückblick als Erstes in den Sinn?
Dass ich keinen Plan gehabt habe, überhaupt keinen Schimmer. Wie schnell soll man starten, Vollgas? Langsam? Für das habe ich mich ganz gut geschlagen. Mir hat danach vieles wehgetan. Aber ich habe einfach Glücksgefühle gehabt, so schöne Erinnerungen an den ganzen Tag, wie ich sie zuvor als Skifahrer nie gehabt habe: dass du mit einer Leistung, die du gebracht hast, innerlich so zufrieden bist. Egal, ob du Erster oder Hundertster bist.

Fürs Protokoll – welcher Platz zwischen 1 und 100 war’s?
Der fünfte.

Starke Premiere. Heute steht bei dir meistens der „Einser“ am Ende ...
Ja oft. Wenn’s sich ausgeht (lacht). Aber der Platz ist nicht das Wichtigste, sondern die Leistung. 

Ein Zitat von dir: „Ich habe Bock mich zu schinden“. Abgesehen vom Schinden: Was sind deine Stärken?
Ich habe Lust einen Wettkampf zu machen – das ist immer eine neue Herausforderung, seinen Körper  noch mehr zu belasten als beim Training. Darum mache ich Rennen, dass ich mich mit anderen messen kann, um zu wissen: Wer ist an dem Tag der Beste? So viele Chancen dazu haben wir ja leider nicht, bei drei bis fünf Rennen pro Jahr. Du bekommst sofort das Ergebnis für das, was du im Vorfeld geleistet hast. Sonst? Ich sage: Ich kann gut über mein Limit gehen, aber auch mit einem gutem Bauchgefühl laufen. Das ist vor allem im Ultrabereich sehr wichtig, dass du nicht blauäugig reagierst, wenn einer mal weggeht; dass du einfach bei dir bleibst und mental stark bist über diese lange Distanz.

„Dein“ Rennen ist der Lavaredo ­Ultratrail (120 km, 5800 hm) in den Dolomiten: Dort hast du die letzten Jahre jeweils mit Streckenrekord gewonnen, als Erster unter 12 Stunden: Was ist es dort, was dir so liegt?
Ja, der passt gut. Die 3 Zinnen geben mir Kraft, die taugen mir, da war mein Opa schon viel zum Klettern unterwegs. Und ich war als Kind schon viel dort. Mir taugt die Strecke, da weiß ich ganz genau, was ich zu tun habe. Die Länge, die technische Schwierigkeit, es passt alles zusammen. 

Zwölf Stunden und mehr Rennzeit sind eine lange Zeit: Sind die Gedanken da immer beim Rennen?
Die meiste Zeit sind die Gedanken beim Rennen. Man schweift schon einmal ab, aber du musst dann wieder zurück zu dir selber. Du musst dir beim Laufen ja jeden Meter verdienen. Ohne Krafteinsatz kommst du nicht vorwärts. Also musst du bei der Sache bleiben. Das ist auch das, was dich sehr ermüdet: Nach jedem Rennen bist du mental ausgelaugt, kannst einfachste Dinge nicht mehr erledigen ...

Bleibt für die Schönheit der Berge dennoch der eine oder andere Blick?
Im Training auf jeden Fall. Aber Rennen ist Rennen und da bin ich bei der Sache. Du schweifst schon mal ab, schaust dir was kurz an, aber meist bist du bei dem, was gerade zu erledigen ist. 

Trailrunning wird oft mit Ultradistanzen gleichgesetzt, obwohl es das nicht ist. Was kann jede und jeder im Trailrunning erleben? 
Eigentlich ist es eine komplett andere Sportart im Vergleich mit dem normalen Laufen. Trailrunning bringt dich zurück zu den Wurzeln, wie du es vielleicht als Kind schon einmal erlebst hast, wenn du im Wald zum Spielen warst. Da ist Trailrunning ähnlich. Du brauchst nicht viel, ein bisschen eine Ausrüstung, dann gehst du in den Wald oder in die Berge, einfach vor die Haustür und entdeckst neue Wege. Du vergisst die Uhr beim Laufen. Alles ist spielerisch, es geht ums Erleben und Entdecken, das lässt die Zeit gut verrinnen. 

Sind das auch die Gründe, warum Trailrunning so starken Zulauf hat, während Marathonveranstalter eher um Teilnehmer kämpfen?
Beim Marathon passen auch noch die Teilnehmerzahlen, glaube ich jedenfalls. Aber beim Trailrunning geht halt alles durch die Decke. Es hat früher Läufe gegeben, da hast du dich vor Ort angemeldet – so etwas kannst du heute vergessen. Aber es hat auch mit dem zu tun, dass Berge modern, „in“ sind, jeder dorthin möchte. Von dem profitiert Trailrunning und profitieren die Events: Die sind organisiert, man muss sich um nichts kümmern, zahlt seine Startgebühr und bekommt sein Paket geliefert. 

Sollte jeder Trailrunner auch mal ­einen Wettkampf versuchen?
Man kann eine richtig gute Zeit dort haben. Weil die Community gut ist, die Leute gut sind. Und weil alle relativ auf einer Ebene schwimmen. Klar: Der eine ist ein bisschen früher da, der andere ein bisschen später, aber das ist egal: Der Erste wird gefeiert und der Letzte genauso, weil der hat es auch geschafft. 

Beim Ultra-Trail Cape Town im November hast du gemeinsam mit dem Russen Dmitry Mityaev gewonnen. Kaum denkbar in einer anderen Sportart ...
Sagt man, ja. Normal bin ich nicht der große Fan, dass man so etwas miteinander teilt. Die Stunden, die wir miteinander verbracht haben, uns gegenseitig bekämpft haben, waren hart. Aber wenn man am Ende nicht nur gegeneinander kämpft, sondern auch gemeinsam gegen den Dritten, Vierten, dann kann man so etwas in Erwägung ziehen. Ich verstehe mich mit dem Kerl gut, wir haben an dem Tag super zusammengearbeitet und deshalb war das an dem Tag die Entscheidung, den Sieg zu teilen.

Im Juni findet in Innsbruck-Stubai die Trail-Weltmeisterschaft, die WMTRC 2023 statt. Was erwartest du dir von dem Format, das erst zum zweiten Mal so stattfindet?
Bei der Weltmeisterschaft wirst du aufgestellt, da kannst du nicht schon jetzt sagen, du bist dabei. Aber der Plan ist schon, aufgestellt zu werden. Erwartungen sind relativ gut, weil es unser Gelände ist. Unsere Alpen, unsere Wege, die taugen mir. Es soll ein bisschen frischer sein, nicht ganz warm, dann ist an einem guten Tag vieles möglich. Du kannst nie sagen, was am Ende rauskommt, aber wenn der Körper mitspielt, ist von vorn bis hinten alles drin. 

Eine richtig gute Zeit: Hannes Namberger übers "Schinden" und was ihn zum Traillaufen bewegt
Hannes Namberger

Geb. am 16. Mai 1989, wohnhaft in Ruhpolding, arbeitet bei der deutschen Polizei an der Grenzstelle Walserberg bei Salzburg. Bis zum Alter von 21 Skirennläufer im Deutschen Skiverband. Seit 2015 im Ultra­trailrunning aktiv und erfolgreich: Siege unter anderem beim Großglockner Ultra-Trail 75 (2018), Transalpine Run (2019), Mayrhofen Ultraks (2020), Pitz Alpine Glacier Trail (2021). 2021 und 2022 Gewinner des Lavaredo Ultratrail (120 km/5800 hm), jeweils mit Streckenrekord. 2021 Platz 6 beim weltgrößten Rennen, dem Ultra-Trail du Mont Blanc (UTMB). Aktuell auch Sechster im weltweiten ITRA-Ranking.