Warum macht das die NADA? Die Antidoping-Agentur startete bereits 2013 eine Aufklärungskampagne in den Schulen , mahnt in verschiedenen Sportarten mit dem Slogan „Your sport – in your hands“ mehr Fairplay ein, lädt Journalisten zum Doping-Workshop. Die Erklärung ist einfach: Da im Breitensport die Unwissenheit ein Hauptgrund für Medikamentenmissbrauch und auch Doping ist, will man mit verstärkter Aufklärungsarbeit dagegensteuern.

Schauplatz Prater Hauptallee am frühen Abend: Eine Gruppe von etwa 30 Frauen und Männern in Läufer-Outfits wartet am Stadionparkplatz auf noch fehlende Trainingskollegen. Es ist Mai, also mitten in der Laufsaison. Der Vienna City Marathon ist zwar vorbei, aber zahlreiche andere Rennen stehen noch noch bevor.
Gleich wollen die Hobbyläufer gemeinsam losstarten, aber bis dahin wird noch gequatscht und gescherzt. Nur auf die Idee, jetzt oder womöglich vor einem Wettkampf ein Aspirin oder ähnliches zu schlucken, käme in dieser Gruppe niemand.„Wenn ich Schmerzen habe, denn renne ich nicht. Das macht doch keinen Sinn“, sagt Livio (60). Ähnlich sieht das Andreas (35): „Daran würde mich mein Ehrgeiz hindern. Was bringt die beste Leistung, wenn man sie nicht ehrlich errungen hat. Die paar Minuten, die man sich vielleicht erschwindeln könnte, sind das nicht wert.“ Und Laufkollegin Michaela (36) bringt es so auf den Punkt: „Ich hätte viel zu viel Angst, meine Nieren zu schädigen.“

DIE HÄLFTE HAT GESCHLUCKT
Auch wenn sich diese Gruppe von Läufern von Schmerzmitteln im Sport klar distanziert – jeder nicht ganz Blauäugige in der Sportszene weiß, dass Schlucken, Sprayen und Spritzen nach wie vor auch im Breitensport ein nicht ausgeräumtes und ein noch immer ernst zu nehmendes Problem ist.
Erinnern wir uns an die Fakten vergangener Jahre: Laut einer Befragung hatten beim Bonn-Marathon 2010 49 Prozent der interviewten Teilnehmer vor dem Start zu Medikamenten gegriffen, um mögliche Schmerzen zu unterdrücken oder zu verhindern. Dabei hatten nur elf Prozent davon bereits vor dem Rennen Probleme. Mehr als die Hälfte der „armen Schlucker“ hatte keine ärztliche Verschreibung. Auf der Hitliste der eingenommenen Substanzen standen: Diclofenac (Voltaren), Ibuprofen und Aspirin.
In Österreich wurde sogar schon vor zehn Jahren von Hans Holdhaus, dem Leiter des Instituts für medizinische und sportwissenschaftliche Beratung, eine Untersuchung durchgeführt. „29,7 Prozent der befragten Teilnehmer vom Vienna City Marathon hatten am Wettkampftag Medikamente eingenommen. Aber nur ein Fünftel von ihnen tat dies nach ärztlicher Verschreibung“, erinnert sich Holdhaus. Bis zum heutigen Tag, sagen die Kenner der Szene, haben sich diese Zahlen nicht wirklich zum Besseren verändert.

DER GRIFF ZUR TABLETTE
Aber um das klarzustellen: Nicht Doping im klassischen Sinn, also das Einnehmen von leistungsfördernden Mitteln, ist das Problem! Sportmediziner Robert Fritz von der „Sportordination“ (www.sportordination.com) betreut seit fünf Jahren Hobbyathleten, die sich auf Wettkämpfe vorbereiten. Jährlich kommen rund tausend Personen zu einer Leistungsdiagnostik zu ihm – „aber ich wurde in der ganzen Zeit noch nie von jemandem gefragt, was man nehmen könnte, um besser, schneller, stärker zu werden.“
Nein, im Hobbysportbereich geht es nach wie vor um den ausufernden Medikamentenmissbrauch. Und diesem Problem will man nun verstärkt entgegenwirken. Der Geschäftsführer der Nationalen Anti-Doping Agentur Austria (NADA), Michael Cepic, stellt eine Vermutung auf: „Ich glaube, dass meist Unwissenheit die Leute dazu bringt, Substanzen einzunehmen, die verboten sind oder die ihnen schaden.“
Die Dunkelziffer der Betroffenen dürfte jedenfalls hoch sein. Selbst beim eingangs erwähnten Lauftreff im Prater kennt fast jeder jemanden, der schon Schmerzmittel vor dem Laufen genommen hat. „Eine Bekannte hat eines genommen“, weiß Michaela, „weil sie am Wettkampftag Rückenschmerzen hatte.“ Und Livio erzählt: „Klar kenne ich welche. Das sind die Leute, die erst kurz vor dem Rennen mit dem Training starten und dann versuchen, die fehlende Vorbereitung anders auszugleichen.“

DAS SPIEL MIT DEM FEUER
Mediziner Robert Fritz warnt vor dem hohen Preis eines unkontrollierten Medikamenteneinsatzes: „Zu einem Wettkampf gehören keine Schmerzmittel. Vorhandene Probleme sind ernst zu nehmen und die Ursachen müssen rechtzeitig vor einem Rennen abgeklärt werden. Was ist zum Beispiel, wenn die Knieschmerzen von einem Meniskuseinriss kommen und dieser dann weiter einreißt?“
Und von der gelebten Praxis der „Pille davor“, um aufkommende Schmerzen schon im Keim zu ersticken, rät der Arzt natürlich dringend ab: „Wenn jemand weiß, dass bei Kilometer 33 alles anfängt, weh zu tun, dann soll er einen Halbmarathon laufen! Das ist viel gesünder, als sich vorher ein Medikament einzuwerfen. Denn jedes Mittel hat Nebenwirkungen – von Nierenschäden bis zum Nierenversagen. Herzrasen bis hin zu Herzrhythmusstörungen. Erschöpfungszustände, Schlaganfall, Herzinfarkt, ein höheres Blutungsrisiko. Vor allem aber haben wir auch keine Ahnung, wie sich ein derartiger Medikamentenmissbrauch in 20 Jahren auf den Körper auswirkt!“
Leider hält sich der Irrglaube auch über die leistungssteigernde Wirkung diverser Arzneien hartnäckig in Hobbysportkreisen. Und das, obwohl viele davon schon widerlegt wurden: Beim Bonn-Marathon 2010 wurden die Ergebnisse derer, die vor dem Rennen Medikamente genommen hatten, mit jenen, die ohne etwas einzunehmen angetreten sind, verglichen. Das Ergebnis zeigte, dass kein Unterschied messbar war. Zumindest nicht bei der Leistung – beim gesundheitlichen Zustand dagegen schon: Jene, die vorher Tabletten geschluckt hatten, mussten häufig mit Nebenwirkungen kämpfen.
Weil kein Ende dieses Medikamentenmissbrauchs in Sicht ist, verschärft die NADA zwar nicht die Kontrollen im Hobbysport – weil das schon aus Kostengründen nicht machbar wäre – die Antidopingagentur geht aber nun mit einer Aufklärungskampagne in die breitgestreute Offensive;

  • Im April 2013 startete die NADA ein Pilotprojekt in sportorientierten Schulen, um bereits die Jugendlichen konkret über Doping, Medikamentenmissbrauch und deren Folgen aufzuklären. Ziel des Projektes, das ab dem Schuljahr 2013/2014 österreichweit umgesetzt wird, ist es, in allen Sportschulen einmal im Jahr die zukünftigen Leistungssportler mit den Antidoping-Botschaften zu erreichen.
  • Auf der Homepage www.nada.at kann jeder Hobbysportler über den Button „Medikamentenabfrage“ nicht nur nachschauen, was verboten und was erlaubt ist. Man kann sich auch gleich ein Bild über die jeweiligen Nebenwirkungen machen.
  • Ebenfalls jetzt im Frühjahr wurde die Präventionskampagne „Your sport – in your hands“ gestartet. Die richtet sich in verschiedenen Sportarten wie Handball oder Volleyball (und bald auch im Fußball) mit verstärktem persönlichen Kontakt ebenfalls an die junge Sportgeneration, „um schon dort eine selbstbewusste Entscheidung gegen Doping hervorzurufen“, sagt NADA-Chef Michael Cepic. „Unser Ziel kann nur ein Sport ohne Doping sein. Denn Doping ist Betrug.“


WISSEN IST MACHT
Aufklärung sei ohnehin das Wichtigste,bestätigt auch Sportmediziner Robert Fritz, „denn es herrscht einfach zu viel Unwissenheit.“ Der Arzt eröffnet dazu gleich einen weiteren Nebenschauplatz: „Kaum jemand weiß, dass etwa ein Viertel aller im Internet erhältlichen und viel gekauften Eiweißpräparate nicht sauber ist! Der Clou dabei: In Europa gibt es zwar strenge Vorgaben zur Kennzeichnung der Inhaltsstoffe und Beachtung von Hygienerichtlinien bei der Herstellung von Nahrungsergänzungsmitteln. In Amerika, wo viele dieser Mittel herkommen, ist das aber nicht so. Dort erfolgt die Verarbeitung solcher Präparate sogar in Abfüllanlagen für Tierfutter, und dabei kann es leicht zu Verunreinigungen kommen.“
Er rät deshalb vor allem den leistungsorientierten Sportlern, in der Kölner Liste (www.koelnerliste.com) nachzuschauen, ob die konsumierten Nahrungsergänzungsmittel „sauber“ sind, um nicht unabsichtlich in eine Dopingfalle zu treten. Bei den reinen Hobbysportlern aber appelliert Sportmediziner Dr. Robert Fritz vor allem an den Hausverstand: „Jeder Sportler, jede Sportlerin muss doch wissen, dass letztlich nur vernünftig geplantes und konsequentes Training helfen kann, um die Strapazen etwa eines Marathons durchstehen zu können.“ Sich die „Schmerzpille davor“ einzuwerfen, ist nicht nur ein Betrug an sich selbst, sondern vor allem auch ein Verbrechen am eigenen Körper.


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