Zwischen Handarbeit in Hard, Online-Konfigurator im Netz und ganz viel Stolz auf Pride. In der Simplon-Zentrale am Bodensee wird die Faszination Rad geatmet. SPORTaktiv auf Hausbesuch in Hard.

Dieses Fingerzeigs hätte es nicht bedurft. Die Frage, ob hier schnelle Räder gebaut werden, kann auch so beantwortet werden. Aber bei der Zufahrt zum Firmensitz von Simplon in Hard sticht er sofort ins Auge, der Radarkasten, der genau gegenüber des Eingangs in der Wiese steht und auf Raser wartet. Ob da die schnellsten Rennräder schon einmal vom Blitz getroffen wurden? Wer es versuchen will: Es ist eine 40er-Zone.

Die Glastüren öffnen sich und man tritt ein in den Zweiradpalast. Rechts glänzen die edelsten Räder im nagelneuen Showroom, zur linken wird in den Büros fleißig gearbeitet (natürlich auch im zweiten Obergeschoss der Vollständigkeit halber), überall wimmelt es von Mitarbeitern in den schwarzen Simplon-Polo-Shirts. „Born and raised in Austria“ steht stolz als Leitspruch bei Simplon auf den Produkten und man spürt sofort: Hier wird Fahrrad gelebt und geatmet.

Exklusiv durfte SPORTaktiv schon vor der offiziellen Eröffnung in den neuen Räumlichkeiten schnuppern, denn eine Neuausrichtung im Marketing ging bei den Vorarlbergern auch mit einem Neubau der Zentrale einher. Um eine Million Euro wurde der Firmensitz vergrößert, veredelt und aufgewertet. Simplon setzt ab sofort noch mehr auf Markenerlebnis, Kundennähe und High-Performance in Handarbeit.

Mehrwert und Markennähe
Deutlich wird das auch im Wording: Willkommen im „Experience Center“ in Hard. „Zunächst sprachen wir intern von einem ,Testcenter‘, bis wir realisiert haben, das es das gar nicht trifft“, sagt Simplon-Geschäftsführer Stefan Vollbach mit einer Armbewegung durch die Räumlichkeiten. „Testcenter bedeutet viele Räder an irgendeiner langen Stange und irgendeine schnelle Testmöglichkeit. Bei uns ist das anders, wir wollen uns von diesen Konzepten absetzen. Wir bieten Mehrwert und echte Markennähe.“

Auftritt Oliver Schade. Er ist im Experience Center für die Experience zuständig. Neben der Möglichkeit das direkt an der Quelle in Hard zu machen, gibt es jetzt auch Experience Center in Regensburg (GER) und Brixen (ITA). Damit werden Radhändler entlastet und Endkunden gleich direkt betreut. Die Erfahrung zeigt: Wer bei Simplon ins Experience Center kommt und nach einer Testfahrt wieder rausgeht, kauft sich mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit dann auch ein Rad der Vorarlberger Traditionsmarke.

Konkret schaut der Vorgang so aus, dass man im Vorhinein bei Simplon einen Termin bucht und dann ins Center kommt. Schade hat dann eine Vorauswahl der in Frage kommenden Räder bereitgestellt und vor allem eines: ganz viel Zeit. „Drei bis fünf Stunden dauert der Vorgang, aber dann weiß der Kunde bestens über sich und das Rad Bescheid und auch wir kennen unseren Kunden“, sagt Schade. „Ich liebe den Small Talk mit Radfahrern.“ Weil diese Besprechungen unmittelbar neben einem großen Fenster stattfinden, durch das man direkt in die Montage-Halle sehen kann, bekommen die Besucher einen authentischen Eindruck, was Simplon unter Handarbeit versteht. Radfertigung erste Reihe fußfrei.

Termine im Experience Center gibt es immer um 9.30 und 13.30 Uhr. Der Kunde wird auf eine viereckige Fläche mit vier Pfeilern gebeten und innerhalb von wenigen Sekunden mit vier Kameras aufgenommen. Body-Scanning nennt sich die Methode, die in Windeseile ein 3D-Abbild auf den großen Bildschirm an der Wand wirft. Sofort sind unzählige Daten zu Körpergröße, Beinlänge und sogar Details wie mögliche Hüft-Disbalancen sichtbar. Die Daten werden mit den Geometrien der Räder abgeglichen und die Bikes (Sattel, Lenker) entsprechend voreingestellt. Auf der Walze fährt der Kunde dann ein paar Minuten, wieder von den Kameras rundum gefilmt, und die Feinheiten werden justiert. „Die Software gibt mir grobe Richtlinien“, sagt Schade, „vielmehr vertraue ich noch auf die Einschätzung und das Gefühl des Kunden am Rad.“ Natürlich hat bei Simplon diese Methode Gültigkeit für alle Modelle,  von den Tiefeinsteigern, allen E-Bikes, Mountainbikes und Rennrädern bis hin zum  „Mr. T.“, dem futuristischen Triathlon-Geschoss.

 

Die Testfahrt

Hat man eine passende Konfiguration gefunden, wird der Kunde auf eine Testfahrt geschickt. Wer mit der malerischen Umgebung rund um den Bodensee nicht ganz vertraut ist, bekommt ein GPS-Gerät von Garmin ans Bike und kann zwei vorprogrammierte Runden abfahren, die bergige „Bucher Runde“ und die eher flache Strecke ins Rhein-Delta. Nach der Testfahrt werden die Eindrücke gesammelt und die Einstellungen gegebenenfalls noch einmal optimiert. Der Kunde bekommt Feedback, einen Goodie-Bag, zum Abschied eine Auflistung sämtlicher Details (auch per Email) und kann mit dieser Konfiguration bei seinem Simplon-Händler hineinspazieren und genau dieses Rad bestellen. Die Kosten von 69 bzw. 99 Euro werden vom Kaufpreis abgezogen.

Simplon setzt mit dem neuen Konzept der Experience Center auf Individualisierung statt Massenabfertigung, und auf Nahbarkeit statt anonymen Fahrradkauf. Dieses Konzept der Experience Center (Start war Mitte April) geht nun in eine Evaluierungsphase und soll in den nächsten ein, zwei Saisonen mit den Betreiberpartnern und unter Auswertung des Kundenfeedbacks weiter optimiert werden.

Blick hinter die Kulissen
Beim Rundgang durch die Produktionsstätten und Hallen wird klar, was hinter einer Fahrradproduktion steckt. Die Rahmen werden nach genauen Vorgaben in China produziert, aber Tausende Einzelteile wie Reifen, Akkus und Komponenten warten hier in Hard darauf, vom Monteur zu einem kompletten Simplon-Rad zusammengebaut zu werden. Hier gibt es 3D-Drucker, Kinematik-Prüfstand und Karbonstaubsauger. Besonderheit am Bodensee: Hier ist keine Fließbandproduktion, jeder Monteuer baut ein Rad zusammen, bis es fertig ist. Dann kommt sein Stempel drauf, er (oder sie) garantieren für die Qualität. Rund 11.500 Räder werden so jährlich  in Hard gefertigt und verkauft.

Besonders gut gelungen ist das beim brandneuen Rennrad Pride, das Entwickler Jonas Schmeiser um die Ecke rollt und uns persönlich vorstellt. „Ich bin schon stolz darauf“, sagt er passend mit einem Grinser. Das Pride mit seinen aerodynamischen Rahmenformen und dem extravaganten Lenker mit zweistrahligem Vorbau hat in der Fachpresse eingeschlagen wie eine Bombe. Schmeiser hat einen Background als Radrennfahrer und ein Maschinenbaustudium. So schaut Radpassion und Know-How also in der Praxis aus. „An der  Kabelverlegung durch den Steuersatz haben wir allein ein Dreivierteljahr getüftelt“, verrät Schmeiser ein Detail zur Entwicklungsphase.

Simplon setzt auf Expansion. Mit dem Neubau und der Erweiterung von 40 auf 85 Mitarbeiter sind die Vorarlberger gerüstet für die Herausforderungen auf einem schwierigen Markt. Mit High Performance, langer Tradition im Rennradbereich und dem Konzept des Custom Build (via Online-Konfigurator) hält Simplon dagegen. Aus der DACH-Region Österreich, Deutschland, Schweiz will man auch in andere Regionen vorstoßen. Geschäftsführer Vollbach: „Wir setzen unseren Fuß jetzt nach England, um in den englischsprachigen Markt zu kommen. Dann soll es Richtung Skandinavien gehen.“

Unser Hausbesuch bei Simplon endet nach einer herrlichen Testfahrt auf den Rennrad-Topmodellen Pride und Pavo wieder vor dem Radarkasten. Es hat nicht geblitzt.

Mehr Infos zum Experience Center:
www.simplon.com/experience-center