Früher wanderten die Menschen durch die Landschaft, um zu jagen, zu handeln oder Kriege zu führen. Heute verfolgen sie ihreGesundheit, befeuern den Sportartikelhandel und suchen nach innerem Frieden. Der Bergsport Wandern kann aber noch viel mehr.


Irgendwann war Schluss mit dem angestaubten Image als fades Spazierengehen bei Senioren- und Schulausflügen. Der Wandel kam auf leisen Profilsohlen. Und die angestammten Bergfexe, die um ihr Revier fürchteten, unkten gleich, es wäre nur die Sportartikelindustrie, die hier angeschoben hätte: Mit Hightech-Materialien aus atmungsaktivem, wasserdichtem, abriebfestem Membrantextilgemisch, mit multifunktionalen, ergonomisch geformten Leichtgewichtrucksäcken für ihn, Teleskopstöcken aus weltraumerprobten Metalllegierungen für sie und jede Menge interaktives GPS-gesteuertes Mess- und Orientierungsgerät für den „app-solut“ vernetzten Nachwuchs.
Es stimmt wohl: Die Sportartikelbranche hat sicher ihres dazu beigetragen, dass das Wandern einen modernen Touch bekam. Auch dank eines bunten Katalogs an Unterkategorien, um allen Zielgruppen einen Hafen für ihre individuellen Interessen bieten zu können. Aber das allein als Erklärung für den Bergboom zu nehmen, ist viel zu kurz gegriffen. Es ist viel mehr eine Mischung aus zeitgeistiger Outdoorbegeisterung, verstärktem Bewegungs- und Gesundheitsbewusstsein, innovativer Sportartikelindustrie und stimmigem Tourismusmarketing, die das Wandern in den letzten Jahren zum hippen Trend mutieren ließ. Längst muss man nicht mehr Müller heißen, um Lust daran zu haben. Längst gehört das „Gehen in der Landschaft mit unterschiedlich starker körperlicher Anforderung, die sowohl das mentale wie psychische Wohlbefinden fördert“ (Deutscher Wanderverband) zu den am weitest verbreiteten Freizeitaktivitäten am Globus.

WELLNESS IM PAKET
Wandern in der Mongolei, im Mölltal, in Marokko oder Mittelamerika. Wandern in der Hohen Tatra, in den Niederen Tauern, in den Weiten einer Wüste oder der Enge eines Canyons. Wandern mit der Familie, allein oder in Gruppen. Wandern als sportlicher Wettkampf, spontane Alltagsflucht oder spirituelle Pilgerreise. Wandern als Allzweckaphrodisiakum für Körper und Geist.
Klingt wie aus einem Werbefolder, stimmt aber alles. Wandern klammert Fitness, Entspannung, Naturerleben und Geselligkeit zu einem ganzheitlichen Wellnessprogramm zusammen. Immerhin verbraucht eine 70 Kilo schwere Person beim Wandern in hügeligem Gelände rund 300 Kilokalorien pro Stunde – und damit mehr als beim Volleyballspielen oder gemütlichen Radfahren.
Durch ein angemessenes Tempo im aeroben Bereich wird Fett verbrannt (und nicht, wie bei höherer Anstrengung auf die Kohlenhydratreserven des Körpers zurückgegriffen). Wandern geht somit auch als Diät durch. Und hilft außerdem, gesund zu bleiben, weil Muskeln und Kreislauf generell angeregt werden und das Immunsystem durch die Bewegung in der frischen Luft weniger anfällig für Infektionskrankheiten wird. Und zusätzlich dient das Gehen auch als Marschbefehl für Glückshormone.

WANDERN - EIN ALLESKÖNNER?
„Es ist der ideale Einsteigersport“, werben Mediziner und unterfüttern die These mit einer Motivationsfloskel: „Man ist nie zu alt, um damit zu beginnen.“
Alt ist lediglich die Wanderbewegung selbst. Der Weg zum gesundheitsorientierten Marschieren führte ab dem 18. Jahrhundert zunächst über die soziale Emanzipation des Bürgertums gegenüber dem Adel. Als bewusster Kontrapunkt zum Kutschenverkehr der Herrscher erkundete man die Natur zu Fuß und schrieb es nieder. Erst in der Romantik wendete sich der Blick von sozialen und politischen Dimensionen wieder zurück auf die landschaftliche Schönheit. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts begann eine Institutionalisierungdurch Wandervereine, die auch zu Motoren der Erschließung der Natur wurden – durch Wanderwege, Wegweiser, Landkarten und Schutzhütten, die sich bis in die heutige Zeit zu einer aufwänddigen, aber nahezu perfekten Sicherheitsinfrastruktur ausweiteten.
Aber trotz dieses Sicherheitsnetzes werden auch beim Wandern die Anforderungen und Gefahren immer wieder unterschätzt. Es sind die klassischen Fallgruben, die lauern: ein aus Ahnungslosigkeit unterschätzter Wetterumschwung und eine überschätzte persönliche Kondition. Umso wichtiger sind eine richtige Ausrüstung sowie eine gewissenhafte Vorbereitung, sowohl was die körperliche Konstitution als auch die Routenplanung angeht. Oder konkret gesagt: Alltagskleidung reicht für eine mehrstündige Wanderung nur bedingt, beim Schuhwerk sind stabile Sportschuhe die Mindestausstattung. Und bei der Auswahl der Tour sollte man nicht zu ehrgeizig sein, seine eigenen Leistungsgrenzen kennen und einhalten.

FIT FÜR DEN BERG
Nicht zuletzt gilt auch für den Wandersport als Grundregel: Wer sich in der freien Natur bewegt, tut dies stets mit Aufmerksamkeit – und zwar nicht nur für die Landschaft rundherum, sondern vor allem auch für den Weg unmittelbar vor sich. Nur so viel dazu: In den Statistiken der österreichischen Bergrettung finden sich pro Jahr rund 2.800 Einsätze wegen verunfallter Wanderer im leichten Gelände. Und sogar bei den Todesfällen in den Bergen kommt der überwiegende Teil aus der Wanderfraktion. Hauptursache: Herz- Kreislauf-Versagen in Folge von Überanstrengung. Wer aber, wie in jedem Sport, auch beim Wandern die nötige Fitness mitbringt und sich an einfache Grundregeln hält, dem stehen alle (Wander-)Wege offen.


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