Baldur, du hast angeregt, in unserer Serie über Erfolgsfaktoren auch über „Krisen“ zu sprechen. Ist das nicht ein Widerspruch? Und warum bereitet uns allein das Nachdenken über Misserfolge, übers Scheitern Unbehagen?
Nein, es ist kein Widerspruch. Es liegt bloß in der Natur des Menschen, dass wir uns vor Veränderung fürchten. Ein eisernes Lebensgesetz besagt aber auch: „Alles verändert sich, nichts bleibt!“ Ob uns das gefällt oder nicht. Wir sind immer wieder zum Loslassen des Alten und zum Neubeginn aufgefordert.

Neubeginn klingt auch gleich viel positiver als Krise ...
Krise kommt vom Griechischen „crisis“ – Trennung, Entscheidung. Und sie ist keine Bosheit des Lebens, sondern vielmehr ein gewaltiger Motor unserer menschlichen Entwicklung, aus der wir nicht aussteigen können. Trotz Gedanken wie „Ich kann nicht“, „Ich will nicht“ oder „Nur jetzt nicht“.

Es ist aber doch verständlich, dass jemand so denkt, wenn es um das Loslassen von Liebgewordenem geht.
Es ist verständlich – aber das Leben in all seinen Erscheinungsformen spielt sich nicht oben oder unten ab, sondern zwischen zwei Gegenpolen. Im Sport zwischen Gelingen und Scheitern, Hoch und Tief, Erfolg und Misserfolg. Das Leben ist Welle – Welle unten, Welle oben. Leider herrscht in unserer Gesellschaft der Glaube, es müsse immer einseitig aufwärts gehen. „Siegen ist gut, Verlieren schlecht.“ Läuft es nicht, wird nach Sündenböcken gesucht. Auch wenn es sie gar nicht gibt.

Toni Innauer bezeichnet im Buch „Am Puls des Erfolgs“ die Niederlage als größtes Tabu der Leistungsgesellschaft.
Er bringt es auf den Punkt. Wir sind alle geblendet von den Leitgedanken (oder Leidgedanken) Leistung, Fortschritt, Wachstum, Wohlstand und anderen einseitigen Hirngespinsten. Gleichzeitig erleben wir pausenlos, dass mehr vom selben nicht mehr Qualität bedeutet.

Können wir demnach aus sportlichen Krisen etwas für unser Leben lernen?
Der Sport könnte zweifellos Anschauungsunterricht bieten, wie wir lebensgerechter, gelassener, ehrfürchtiger und konstruktiver auch mit der zweiten Hälfte des Erfolgs, mit den ungeliebten Schattenseiten, umgehen. Nicht Leistung ist unser vorrangiges Lebensziel, sondern das menschliche Reifen als Basis einer menschenwürdigen Leistungskultur. Die Zeit ist reif für ein ganzheitliches Denken und Leben.