Mehr und mehr drängen sich (E-)MTBs in das Bild der heimischen Tourismusregionen, spezialisieren sich Destinationen mit unterschiedlichen Schwerpunkten auf stollenbereifte Gäste. Hinter den Kulissen versteckt sich jedoch weitaus mehr, als ein oberflächlicher Blick vermuten ließe.

Lukas Schnitzer
Lukas Schnitzer

Raue Bergkämme und sanfte Hügel, stille Bergseen und wilde Sturzbäche, tiefe Wälder und endlose Hochplateaus – unsere alpendurchzogene Heimat scheint, genauso wie des Bikers liebster Nachbar Südtirol, wie geschaffen für ausgedehnte Erkundungstouren mit dem Mountain­bike. Doch einzigartige Landschaft, einsame Gipfel, urige Hütten und flowige Trails mögen mitunter ein trügerisches Bild zeichnen: Längst nicht jede Ecke, die am Papier nach Mountainbike-Revier aussieht, ist dem stollenbereiften (E-)Biker gegenüber freundlich gesinnt. Nur allzu oft zerschellt die Sehnsucht nach Flow und Panorama hart an Fahrverbotsschildern entlang von Forststraßen und Trails. 

Doch in einigen Regionen haben Mountainbiker, Grundeigentümer, Jagd und Tourismus einen gemeinsamen Konsens gefunden. So entstanden über die Jahre kleine und große Wohlfühl-Reviere für Biker. Hunderte legale Streckenkilometer, bike- und ebikefreundliche Infrastruktur, offizielle Singletrails – für Mountainbiker ein wahres Paradies.

Ohne Fleiß kein Preis
Wie viel Schweiß und Fleiß hinter den Fassaden einer echten Bike-­Destination stecken, das wird bereits nach wenigen Worten von Insidern wie Kurt Tropper (TVB Kitzbühler Alpen – Brixental), Uli Stampfer (TVB Naturns), Marlene Krug (TVB Saalbach Hinterglemm) oder Stefan Brandlehner (Millstätter See Tourismus) sichtbar. Als Gast in besagten Paradiesen mag man sich maximal wundern, was hier dem Biker alles möglich und nur wenige Kilometer anderorts tabu erscheint. Doch dahinter stecken weder Glück noch Zufall, sondern meist selbst leidenschaftliche Biker, die viel (Frei-)Zeit und Herzblut in den Aufbau der bestehenden Strukturen investiert haben. Und selbst wenn Grundeigentümer, Liftbetriebe, Jagd und Forst gemeinsam an einem Strang ziehen, bleiben immer noch große finanzielle Hürden, die es abseits der Bürokratie zu überwinden gilt.

In den großen Bike-Regionen hat man den Wert der stollenbereiften Gäste erkannt. Man ist bereit, Geld in die Hand zu nehmen, um Touristen nachhaltig in die Region zu locken und den Urlaubern etwas zu bieten, dass sie zu Hause vielleicht nicht bekommen. „Regionen wie Naturns haben den Mountainbiker zu schätzen gelernt, sind voll auf das Thema ausgerichtet und sorgen dafür, dass man sich vom Dorfplatz über die Wälder und Berg­rücken bis hin zu den Hütten als bikender Gast tatsächlich willkommen fühlt. Eine Tatsache, die lange wachsen muss“, wie Uli Stampfer erzählt. 
Hinter jeder dieser Destinationen stecken auch klare Visionen, und diese sind, wie Brandlehner aufzeigt, auch ein klares Plus für Urlauber: als Gast braucht man nur nach der dem eigenen Gusto entsprechenden Vision zu suchen und zu buchen. Bikepark, Flow und Action; gemütliche Familientouren ins Almenparadies; beides kombiniert oder auch lieber lange Marathon­strecken oder knackige Trailtouren: Mittlerweile haben sich für jeden Anspruch Regionen profiliert. Gäste können so bereits vom heimischen Wohnzimmer aus ganz klar abschätzen, was sie im Urlaub erwartet. Perfekte Planbarkeit also, egal ob als Pärchen, mit Kumpels oder samt Kind und Kegel.

Weit mehr als „nur“ Infrastruktur
Klar: Ausgewiesene Bike-Regionen tragen mit Stolz ihre hart erarbeitete Infrastruktur nach außen. Ein großes Netz an offiziellen Routen und/oder Trails, je nach Region auch Einbindung in die örtlichen Bergbahnen, Pumptracks, Servicestationen und neuerdings auch immer öfter E-Bike-Lademöglichkeiten drängen sich in den Fokus. Doch bei den echten Spezialisten geht die Ausrichtung auf bikende Gäste weitaus tiefer. Beispielsweise mit Beherbergungsbetrieben, in denen auch Teile des Personals mit der Thematik vertraut sind und so neben den Klassikern wie Fahrradkeller, Werkstatt, Verleih und Bike-Wash auch Tourentipps auf dem Plan stehen, wie Stefan Brandlehner erklärt. Stampfer bringt zusätzlich das Stichwort Guiding ins Spiel, denn geführte Touren und qualitativ hochwertige Leihräder sieht er aktuell ganz hoch im Kurs.

Zum großen, oft mehrere Hundert Kilometer umspannenden Streckennetz kommt in Regionen mit zahlreichen Seitentälern wie etwa den Kitzbühler Alpen auch ein „klimatischer“ Vorteil hinzu. So lässt sich dort schon mal geschickt ein Nebelfeld umschiffen, Sonnenzeit im kühlen Herbst maximieren oder die Hitze des Sommers im kühlen Seitengraben umgehen, gibt Kurt Tropper mit auf den Weg. Außerdem stecken hinter den Konzepten und Visionen der großen Regionen längst echte Bike-Nerds, die dafür Sorge tragen, dass Touren wirklich lohnend und Trails in ihrer Schwierigkeit realistisch einschätzbar sind. „Unser Bikekoordinator“, erklärt Brandlehner, „vermittelt zwischen allen Beteiligten von Gemeinden über Grundstückseigentümer bis hin zu Forst und Jagd, ist aber auch immer auf der Suche nach der optimalen Lösung für den Biker, schließlich sitzt er auch selbst gern im Sattel.“

Bitte einsteigen!
Vielfach finden sich auch Transportmittel in die örtliche Bike-Infrastruktur eingebunden. Und damit sind nicht „nur“ die oft sogar in Gästekarten inbegriffenen Bergbahnen mit Transport-Vorrichtungen für Fahrräder gemeint. Bike-­Taxis, Postbusse mit Fahrradträgern und Zugverbindungen sichern die Mobilität über weitere Strecken. „Mit unserem für Gäste inkludierten Bahn-Angebot erweitert sich der Aktionsradius der Biker enorm“, freut sich Tropper über einen der Trümpfe seiner Region.

Penibel ausgewiesene Routen, Kartenmaterial, Strecken für jedes fahrerische Level und gerade im Trail-Bereich auch gern mechanische Aufstiegshilfen nehmen viel an planerischer Arbeit ab. Eigentlich muss man sich nur noch nach dem Wetter richten und entscheiden, vor welcher Hütte man mittags zum Einkehrschwung ausholt. 
Doch die Detailversessenheit manch großer Player geht noch weitaus tiefer, wie Marlene Krug erzählt. So werden beispielsweise Unfalldaten zu den Routen und Trails gesammelt und im Detail analysiert. Besonders gefährlichen Abschnitten versuchen die Profis dann im Zuge der Wartungsarbeiten mit Gegenmaßnahmen das Gefahrenpotenzial zu nehmen. Kurven werden entschärft, Sprünge verlegt und besonders unübersichtliche Stellen speziell gekennzeichnet. Dazu kommt die regelmäßige Trailpflege, die neben dem Fahrspaß auch ganz klar die Sicherheit in den Fokus nimmt.

Egal also, ob erfahrener Biker oder Neueinsteiger, der den Urlaub für erste Gehversuche am (E-)Mountainbike nutzen möchte – in den großen auf Biker spezialisierten Regionen ist man nicht nur willkommen, sondern auch tatsächlich gut aufgehoben. Wer die eigenen Ansprüche kennt, findet eine Region, die perfekt dazu passt, kann sich bereits vorab über das Angebot an Touren und Trails informieren und kommt so garantiert auf seine Kosten. Dass es vor allem rund um Bergbahnen zur Hauptsaison auch mal voll werden kann, liegt in der Natur der Sache. Bikeparks sind nun mal ein Anziehungspunkt. Sobald man sich aus eigener Kraft in die Berge wagt, ist dies dann ob der Weitläufigkeit der Gebiete auch schnell wieder vergessen. „Einziger Wermutstropfen großer Bikeregionen“, scherzt Brandlehner augenzwinkernd, „ist die Tatsache, dass man überholt werden wird. Bergauf oder bergab – die Chance der oder die Schnellste am Berg zu sein, geht gegen null“.