Weshalb wir „Alpenländler“ (und weit darüber hinaus) an viel zu kalten Wintertagen auf zwei Brettern über den Schnee gleiten, anstatt in der warmen Stube zu überwintern.

Lukas Schnitzer
Lukas Schnitzer

Nur eine Handvoll Dinge trägt derart plakativ die Wesenszüge unserer kleinen Alpenrepublik tief in die Stirn graviert wie Skisport und Austropop. Nahezu „auf’glegt“, wie der Volksmund sagen würde, wäre es, eine Ode an die Liebe dafür, auf zwei Brettern tief verschneite Hänge talwärts zu rutschen, mit den legendären Worten des Wolfi Ambros zu eröffnen. In ihm, so scheint es, brennt eine ganz besondere Leidenschaft, wie sie in vielen Alpenländlern zu lodern weiß. Doch genau diese Leidenschaft trifft ein anderer Regent des Austropop ungewollt weitaus treffender. „Weilst den Grund warums‘d bei mir bist, nimma waßt. Weilst on mir anfoch an Norrn g‘fressen host. Weil i nur bei dir daham bin, weilst a Wahnsinn bist für mi – steh i auf di“, singt ein gewisser Rainhard Fendrich in seinem Hit „Weilst a Herz hast wia Bergwerk“. 

Fendrich trifft damit genau auf den Punkt, was Skifahren in mir auslöst. Den einen Grund, warum Ski zu fahren nicht nur die schönste Nebensache, sondern auch die schönste Hauptsache von allen ist – ich kann ihn nicht benennen. An so vielen Tagen meines Lebens war ich von gefühllos gefrorenen Fingern und Zehen geplagt, haben mich die schmerzende Füße in viel zu engen Plastikschalen die eine oder andere Träne verdrücken lassen. Und an so vielen Tagen wurde ich mit perfekt präparierten Pisten, von staubigem Pulver und dem strahlenden Blau, wie es der Himmel nur oben in den Bergen zeigen kann, entschädigt. Doch der eine Grund, warum Jahr für Jahr zwei Bretter die Regentschaft über die weiße Zeit des Jahres übernehmen – ich weiß ihn schlichtweg nicht. Ich habe wohl einfach einen Narren daran gefressen, den einen, den perfekten Schwung zu finden.

So viele perfekte Momente
Schwere Renn- und Freeride­bindungen mit irren Auslösewerten mag kaum ein Pistenheld auf der torlosen Seite der doppelten Fangnetze brauchen. Dieses satte, tief befriedigende „klapp“ – „klapp“, das beim Einklicken des Skischuhs in eine solche Bindung ans von der Helmschale abgedämpfte Ohr gelangt, ist aber einmalig und jagt eingefleischten Vielfahrern schon beim Gedanken daran kalten Schauer über den Rücken. Wer mit der Gondel fährt, erlebt dies im 20-Minuten-Takt und wird sich dennoch jedes Mal diebisch daran erfreuen.

Einmalig auch, diese ersten Pistenmeter der Saison. Während die Ski langsam an Fahrt aufnehmen,  sucht man noch nach seiner Balance, der Holzkern windet sich um die sanften Unebenheiten im weißen Teppich, leitet die Bodeninformationen auf magische Weise über die Schuh- an die Fußsohle weiter, als stünde man direkt am Schnee. Den eröffnenden Schwung auf der persönlichen Schokoladenseite noch etwas weit und zögerlich setzend, kehrt das Gefühl für Schwerpunkt und Kanten rasch zurück, die Schwünge werden aggressiver. Auch wenn die gesammelten Bilder und Videos der Kollegen später in der Hütte eine andere Geschichte erzählen – Marcel und Ted wären ob des Aufkantwinkels sicherlich neidisch geworden. Den perfekten Schwung zu jagen, „the art of the perfect turn“, es ist eine Kunst für sich. Eine Kunst, die süchtig macht.

Vielleicht ist es diese ganz besondere Art der Schwerelosigkeit zwischen zwei Schwüngen, die so süchtig macht. Vielleicht ist es aber auch die wohl unmittelbarste Erfahrung von Geschwindigkeit, der Zug der Kante, die Beschleunigung über das Skiende oder die rohen physikalischen Kräfte – samt dem überlegenen Gefühl der Beherrschung selbiger. Ganz sicher ist es aber dieses endlose Schweben im Pulver, die laute Stille im Gleiten und Driften auf, über und durch den Tiefschnee. Das breite Grinsen, wenn die Ski plötzlich keinen Boden mehr rückmelden, fast so als würde man fliegen – bis man kurz die Balance verliert und tatsächlich fliegt. Aber die eine oder andere Schneeprobe gehört einfach dazu.

Urlaubsfeeling & Einkehrschwung
Für viele ist Skifahren aber auch einfach nur Urlaub, Familienzeit und Entspannung. Hin und wieder ein sonniger Sonntag, über Weihnachten oder im Februar der traditionelle Familienurlaub. Ein nettes Hotel, gute Küche, warme Sauna und die Tage gekrönt von tief verschneiten Wäldern, hochwinterlichen Gipfeln und perfekt präparierten Pisten. Vielleicht aber auch nur ein Tagesausflug in die Berge. Zum Sonnetanken, zum Bergluft- Schnuppern, zum Schmähführen am Lift und zum Tänzeln auf den Pisten. Ein Tag, um den Kindern die Schönheit der Alpen näherzubringen, um mit ihnen Wellenbahnen durch die Wälder nachzufahren, wie es unsere Eltern schon mit uns gemacht haben. Um ihnen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, wie es eben nur Schnee und Eis können. 

Die Fahnen der Traditionen hochhaltend, gehört auch der wichtigste aller Schwünge, der Einkehrschwung, dazu. Mitunter, so hört man, wird dieser zur Perfektion gebracht, reicht von Kaiserschmarren und Schnitzerl über Mangopago bis Krügerl, Stamperl und Jagatee und lässt sich praktisch beliebig oft wiederholen, bis er im sagenumwobenen Après-Ski verhallt.

Ein Sport für Helden
Hierzulande zum neidlos anerkannten Helden aufzusteigen? Schwieriges Terrain. Doch unser Weltcupteam, das bringt Herrn und Frau Österreicher beinahe schon traditionell zum Kniefall. Vielleicht, weil jeder Freizeitskifahrer nachvollziehen kann, was es heißt, auf pickelharten Pisten viel zu eng gesteckte Tore zu jagen. Schließlich ist man daran ja bereits im Schulskikurs hinter der Märchenwiese gescheitert. Wie es sich anfühlt mit 140 und mehr Sachen auf Pisten talwärts zu tänzeln, wo unsereins schon ohne Weltcup-Präparierung Marke Eislaufplatz seine Liebe Not mit dem Gefälle hat – unvorstellbar und trotzdem so nah. Skihelden, das sind hart arbeitende, bodenständige Helden zum Anfassen. Und wenn „wir“ wieder zu dritt am Treppchen stehen, dann ist die Welt an diesem Sonntag wieder ein Stück heiler.