Polarized oder „POL“-Training gilt als moderner Inbegriff des Ausdauertrainings. Taugt das Training in den beiden Polen „ganz locker“ und „sehr hart“ aber auch für reine Hobbyläufer?

Christof Domenig
Christof Domenig

Sich ausdauernd – im wahrsten Wortsinn – und geduldig die meiste Zeit im niedrigintensiven Grundlagenbereich bewegen, dazu einige harte Belastungsspitzen gezielt draufsetzen. Und die Mitte (den oft so bezeichneten „Wohlfühlbereich“) möglichst aussparen: So lautet, stark verkürzt, aber im Kern korrekt, das Prinzip des „Polarized“ oder kurz: POL-Trainings. Eine Trainingsform, die im Profi-­Ausdauersport seit einigen Jahren bevorzugt angewandt wird. Aber können und sollen sich auch Freizeitläufer davon etwas abschauen? Und falls ja: Für wen von uns passt’s? Und wie genau geht man an diese Sache heran?

„Das Spannende ist, dass die Studien, die die hohe Wirksamkeit dieser Trainingsmethode belegen, durch die Bank erst wenige Jahre alt sind“, weiß Sportwissenschafter und Lauftrainer Hans Holdhaus von „Holdhaus-Nord“. Eine dieser Studien stammt von Thomas Stöggl. Dieser teilte gut trainierte Ausdauersportler in vier Gruppen ein und ließ sie neun Wochen lang auf unterschiedliche Art und Weise trainieren: Eine Gruppe trainierte polarisiert, die zweite Gruppe nach der „HIT“-Methode (also überwiegend mit hochintensiven Intervallen). Die dritte bewegte sich fast ausschließlich im mittleren Belastungsbereich – wie es im Freizeitlaufen die meisten tun, die ihr Training nicht gezielt steuern, sondern einfach aufs Bauchgefühl vertrauen. Und die vierte Gruppe trainierte umfang­orientiert im niedrigintensiven Grundlagenbereich. „Die besten Effekte mit fast 10 Prozent Anstieg der maximalen Sauerstoffaufnahmekapazität, der VO2max, erzielte die polarisierte Gruppe. Am zweitbesten reüssierte die HIT-Gruppe mit allerdings nur noch knapp 5 % Verbesserung“, berichtet Holdhaus. Am schlechtesten schnitt die Gruppe ab, die stets im mittleren Intensitätsbereich trainierte: Hier kam es sogar zu einem Rückgang der VO2max.“

Zone 1, 2 und 3
Was versteht man eigentlich unter niedrigintensiv, mittel und hart? Noch einmal vereinfacht gesprochen, lässt sich Trainingsintensität in drei Zonen unterteilen, erklärt Holdhaus. In die Zone 1, wo das Grundlagentraining stattfinden soll: „In der Laktatdiagnostik-Sprache befinden wir uns im Bereich bis 2 mmol. Nach Herzfrequenz gesprochen sind wir bei etwa 70 % der individuellen maximalen Herzfrequenz, der HfMax“, erklärt der Sportwissenschafter. Zone 2, „also jene, die wir im polarisierten Training nicht wollen“ (so Holdhaus), liege rund um 80 % der HfMax. Zone 3 ist jene, wo ein hochintensives Intervalltraining stattfinden soll: bei 90 bis 95 % der HfMax.

So weit zur Theorie. Aber wie schaut es mit der praktischen Umsetzung im Freizeitlaufsport aus? Die hält für alle vom Laufeinsteiger bis zum durchschnittlich trainierten Hobbyläufer durchaus einige Hürden parat, deren man sich bewusst sein muss: „Die niedrigen Belastungen sind nicht das große Problem – einmal davon abgesehen, dass es nicht wahnsinnig viel Spaß macht, sich in diesem Bereich zu bewegen, weil es sehr langsam und montoton ist“, sagt Holdhaus. Aus einer Vielzahl an durchgeführten Leistungsdiagnostiken weiß der Sportwissenschafter, dass sehr viele im Hobbysport Defizite in der so wichtigen Grundlagenausdauer aufweisen. Eben, weil sie sich zu wenig in Zone 1 bewegen oder auch beim Versuch, sich dort zu bewegen, meist in ein zu schnelles Tempo hineinschlittern: „Damit nehmen sie sich die Qualität dieses so wichti- gen Basistrainings aber weg“, analysiert der Sportwissenschafter. 

Zum anderen erstrebenswerten Pol – Zone 3: Da ist es wiederum für einen Hobbyläufer, der keine Erfahrung mit hochintensiven Trainingformen hat, gar nicht so leicht, die Überwindung aufzubringen und in diese Belastungsbereiche vorzudringen. Und, wichtig zu beachten: Es braucht zuerst eine gut trainierte Grundlagenausdauer, das oft zitierte „starke Fundament“, um überhaupt sinnvoll die Entwicklungsspitzen, die in Zone 3 ausgelöst werden, draufsetzen zu können.

„Eine Möglichkeit für bislang mit Intervalltraining Unerfahrene, in die Zone 3 hineinzuschnuppern, wäre das Fahrtspiel“, rät Holdhaus. „Das ist für Hobbyläufer, die etwas Abwechslung ins Training reinbringen wollen, eine gute Möglichkeit, eine Art ‚pseudopolarisiertes‘ Training durchzuführen.“ Beim Fahrtspiel werden Intensitäten nach Lust und Laune gewechselt, „zwischen Sprint und gemütlichem Lauf. Oder auch im kupierten Gelände: dass ich in steilen Bergaufstücken eine Spitze gebe, im flachen Gelände oder bergab bewusst Tempo hinausnehme“. Auch Laufen mit Musik lässt sich gut in ein Fahrtspiel umgestalten, so der Tipp, „dass man je nach Beat die Geschwindigkeit variiert: schneller Beat, schnelles Laufen, ruhigerer Beat, langsameres Laufen“.

Selbstwahrnehmung lernen
Eine abwechslungsreiche Beispiels-Trainingswoche für Hobbyläufer nach der polarisierten Trainingsmethode hat uns der Laufcoach zusammengestellt (siehe im Kasten). Für ein wirkliches polarisiertes Training nach Profi-Vorbild sieht Holdhaus die Zielgruppe aber dann doch eher bei Hobbyathleten mit verschärften Wettkampfambitionen. Wer sinnvoll erstmals ans POL-Training herangehen will, für den empfiehlt sich dann auch eine Leistungsdiagnostik und ein professioneller Plan als Basis. Mit der Leistungsdiagnostik bekommt man nicht nur die wirklich individuell passenden Zielzonen, sondern sie hilft auch, sein Körpergefühl zu entwickeln. „Die Selbstwahrnehmung wird durch erhobene Daten stark unterstützt.“

 Noch einmal sei betont, dass immer genügend Pausen und niedrigintensive Einheiten als Kontrast dabei sein müssen, wenn es in Richtung Zone 3-Training geht, damit der Körper die Belastungsreize auch verarbeiten kann. Aber wohldosiert kann ein Ausbruch aus dem Wohlfühlbereich auch für reine Hobby­läufer ebenso bereichernd wie wertvoll sein. 

Beispiel einer Trainingswoche

Ein Wochenplan für einen Hobbyläufer, der das polarisierte Training integriert und auf Abwechslung und Spaß ausgerichtet ist.

  • Montag: Grundlagenausdauertraining (langsamer Dauerlauf) 60 min: entspanntes Laufen in gemächlichem (Plauder-)Tempo.
  • Dienstag: Intervalltraining 45 min: z. B. 6 x 800 mit jeweils 2 min Pause.
  • Mittwoch: Ruhetag (optional: Yoga, Pilates o. ä. zur Förderung der Flexibilität und Muskelregeneration).
  • Donnerstag: Fahrtspiel 45 min: z. B. laufen im Park oder im kupierten Gelände mit abwechselnden Tempo- und Streckenvariationen.
  • Freitag: Tempo Run (schneller Dauerlauf) 40 min: Laufen in zügigem Tempo, das etwas schneller ist als die übliche Trainingspace – um Geschwindigkeit und Durchhaltevermögen zu verbessern.
  • Samstag: Wochenend-Longrun 90 min: entspanntes Laufen über eine längere Distanz, um die Ausdauer zu trainieren und den Geist zu entspannen.
  • Sonntag: aktive Erholung 30 min: Spaziergang oder leichtes Stretching – lockert die Muskeln und fördert die Regeneration.
Mag. Hans Holdhaus
Mag. Hans Holdhaus

Der Sportwissenschafter und Coach ist Mitbegründer und Geschäftsführer von „Holdhaus-Nord“ in Kottingbrunn (NÖ), arbeitet mit zahlreichen Spitzen- und Freizeitsportlern.

WEB: www.holdhausnord.at