Zum Verwechseln ähnlich sehen sich die beiden zwar nicht. Das doppelte Lottchen von Nox ist aber ein Technik-Zwilling und hat einen besonderen Clou: Den Antrieb kann man in Sekundenschnelle ausbauen und zwischen Mountainbike und Stadtrad hin- und herwechseln. Ein Konzept für die Zukunft aus Zell am Ziller?

Christoph Heigl
Christoph Heigl

E-Bike oder Normalbike? Und nur eine Sekunde Zeit zum Überlegen? Im Normalfall stellt so eine Frage viele vor eine knifflige Aufgabe. Man müsste Kosten und Aufgabengebiet abwägen, wie viel man fährt, wie groß der Nutzen ist et cetera. Eine kleine, aber findige Bike-Schmiede im heimischen Zillertal hat sich die Frage auch gestellt und eine am Markt noch sehr unübliche Antwort gefunden: beides. Und in Sekundenschnelle.

Die Tiroler Firma hat durch ihre Berliner Historie und Verwurzelung beste Kontakte zur deutschen Industrie und Zugang zum innovativen Münchener Antriebshersteller Fazua. Fazua baut den weltweit ersten komplett abnehmbaren E-Bike-Antrieb namens Evation. Das Mittelmotor-Konzept setzt auf „Light Support“, Sportlichkeit, schlankes Design und den Gegenentwurf zu den immer stärker werdenden Power-Motoren der Konkurrenz. Dadurch ist der Fazua deutlich schwächer als Bosch, Shimano und Co. Der Motor mit Dauernennleistung von 250 Watt liefert max. 400 Watt Spitze und „nur“ 55 Nm, der Akku vergleichsweise bescheidene 252 Wattstunden (Zusatzakku mit weiteren 252 Wh möglich).

Auch wenn die E-­Bike-Kraftprotze das Doppelte leisten, „mehr“ muss nicht unbedingt immer  „besser“ bedeuten. Aber mit dieser Konfiguration ist der Fazua-Antrieb der leichteste und kompakteste am Markt: Die Motoreinheit inklusive Akku wiegt nur 3,3 kg. Und das lässt kombiniert mit der minimalistischen Bedieneinheit einen Clou zu: Mit nur einem Handgriff kann man den kompletten Antrieb entfernen und aus dem ohnehin schon leichten E-Bike ein noch leichteres Normalbike machen. Nox bindet sich aber nicht an bestimmte Hersteller, sondern achtet genau, welcher Antrieb zu welchem Bikekonzept passt und verbaut neben dem Fazua-Antrieb genauso die kräftigen Brose- und Sachs-Motoren, deren neue RS-Version für eine ­extrem hohe Leistung 
(112 Nm, 651 Wh) steht.

SPORTaktiv bekam zwei Bikes zum Testen, die unterschiedlicher nicht sein konnten und auch bewusst so konfiguriert wurden. Auf der einen Seite das neue Nox-Stadtrad „Metropolis Hustler“ mit edlem Retrochic und roten Lederelementen. Auf der anderen Seite das brachiale Enduro-Mountainbike „Helium 7.1 Expert“ mit 180 mm Federweg. Mehr Kontrast geht nicht. Und das sollen Zwillinge sein? Vorweg: Beide Räder sind für sich ohne Makel. Das Vollgas-Enduro bügelt im allerschwersten Gelände die gröbsten Trails nieder, Top-Geometrie (auch bergauf!) und die 180 mm Federweg sind ein Hit. Das Stadtrad betört mit Charme, die roten Griffe und der rote Sattel sorgen für einen speziellen Auftritt. Der wuchtige und kantige Rahmen sorgt für eine coole Optik à la Waffenrad 4.0. Bei beiden unterstützt wie üblich bis 25 km/h der E-Motor mit Zusatzpower aufs Tretlager, über 25 km/h wird komplett entkoppelt, es ist kein Widerstand spürbar. Die Idee hinter dem 2-in-1-Konzept von Nox ist, dass man bei Stadtrad und Mountainbike mit nur einem Motor zwei Bikes ausstatten kann. Motto: unter der Woche mit dem E-Stadtrad durch die City flitzen, am Wochenende oder am Abend mit dem E-Mountainbike durchs Gelände jagen.

Testbikes

  1. Metropolis Hustler (im Bild links), Kategorie: ­Urban (Stadtrad). Features: Alurahmen, Riemenantrieb, Nabenschaltung, komplette STVO-Ausstattung, Reifen 27,5 x 2,6, ­Gewicht 22,5 kg, Preis € 3799,–
  2. Enduro Helium 7.1 Expert (rechts), Kategorie: Mountainbike Enduro. Features: Carbonrahmen, 180 mm Federweg, Reifen 29 x 2,4, RockShox, Gewicht ab 15 kg ohne Motor, ab 18 kg mit Motor, Preis € 5999,– 
  3. Zusatzakku (1,3 kg), Preis € 299,–

www.noxcycles.com

Das Kriterium
Das Entscheidende am Konzept ist, wie leicht sich die Antriebseinheit ausbauen und im anderen Bike einbauen lässt. Im SPORTaktiv-Praxistest war alles easy: Man muss nur mit einem Schlüssel eine Entriegelung am Unterrohr lösen und schon ist die komplette Akku- und Motoreinheit zu entnehmen. Um die Öffnung und das Bike selbst zu schützen, gibt es ein „Downtube Cover“, quasi eine Leer-Blende, mit der das Unterrohr abgedeckt wird. Nächster Clou: Ohne Antrieb ist im Rahmen natürlich ein großer Hohlraum, der lässt sich praktisch als „Kofferraum“ für Jacke, Pumpe, Ersatzschlauch, Werkzeug etc. nutzen. Genauso leicht wie die Antriebseinheit vom Rad zu entnehmen ist, lässt sie sich im zweiten Rad verbauen. Man setzt die Einheit unten an der Welle vom Tretlager ein und drückt sie in den Rahmen, bis sie hörbar einrastet und man die Verriegelung wieder mit Schlüssel sperrt. Ein kompletter Antriebstausch von einem Rad zum anderen dauert mit etwas Übung keine 10 Sekunden und man braucht kein einziges Werkzeug. Spektakulär.

Beide Räder sind mit Fazua-Power leistungsstarke E-Bikes, wenngleich ihnen in den drei Unterstützungsstufen die Superpower der Konkurrenz fehlt. Ein Bosch-Bike im Turbomodus wird im Duell wohl vorbeiziehen. Im Test ist es auch mehrfach passiert, dass dem kleinen 252-Wh-Akku der Saft ausgegangen ist. Im Normalfall eine Katastrophe. Nicht so bei Nox. Das Enduro hat – je nach Ausstattung – nur knapp über 18 kg, das lässt sich auch ohne E-Unterstützung noch pedalieren. Am Berg mit ein paar Schweißtropfen mehr, in der Ebene völlig problemlos. Nox empfiehlt übrigens, für weitere Touren einen zweiten Akku mit weiteren 252 Wh mitzuführen (gesamt also 504 Wh), die Batterie-Einheit hat die Größe einer kleinen Trinkflasche. Noch einmal zurück zum Thema Gewicht: Entnimmt man beim Mountainbike Akku und Motor komplett und deckt den Hohlraum mit der Abdeckung ab, hat man ein superpotentes 15-kg-Enduro und ist auf Augenhöhe mit motorlosen Bikekonzepten dieser abfahrtsorientierten Kategorie, in der normale Bikes zwischen 13 und 16 kg haben.

Was uns nicht so gefallen hat: Um den Antrieb nach längerer Pause (rund 8 Stunden) wieder einzuschalten, muss man die Motoreinheit entnehmen und am Akku einen Knopf betätigen. Störend, aber machbar – und als Diebstahlschutz argumentierbar. Der Controller am Lenker des Helium ist nach wie vor zu klobig und wirkt wie Science-Fiction aus den 80er-Jahren. Der neue Controller wird aber kleiner, die „Black Pepper“-Software verspricht Updates und auch das Thema Connectivity wird 2021 Einzug halten.

Das doppelte Lottchen: Bei Nox werden Bikes in Sekundenschnelle zum E-Bike

Drei Fragen an Igor Mlinar, Nox Product Manager

Das Grundkonzept von Nox ist einzigartig: Wie kam man auf diese Idee? 
Der Leitgedanke „Unterstützung, dort wo du sie brauchst“ erschien uns extrem reizvoll, neben Themen wie Nachhaltigkeit und Kostenersparnis. Wozu zwei E-Bikes kaufen, wenn es eine smartere Lösung gibt? So haben wir als erster Hersteller unser „Bundle“ realisiert, wo man Urbanbike und MTB im Doppelpack und mit nur einem Motor kaufen kann und quasi vier Top-Räder mit Top-Ausstattung erhält. Und das in Summe für unter 10.000 Euro.

Wer ist die Zielgruppe?
Wir bieten die Möglichkeit, tagsüber mit dem Urbanbike zur Arbeit zu pendeln und am Abend noch eine lässige MTB-Runde zu drehen. Mit der Helium-Produktlinie sind wir im Mountainbikebereich in einer Nische und haben kaum Mitbewerber. Dieses Konzept von „Light Support“ ist für sportive Fahrer und füllt die Lücke zwischen normalen Bikes und den starken und schweren E-Mountainbikes ideal. Mit der Metropolis-Linie mit wartungsfreiem Riemenantrieb und moderner Nabenschaltung haben wir ebenfalls ein Alleinstellungsmerkmal.

Ideen für die nächsten Jahre?
(E-)MTB ist und bleibt die DNA von NOX Cycles. Wir feilen schon jetzt an Produkten für 2023. Pionierarbeit im E-Bike Bereich zu leisten – das treibt uns an. Dabei legen wir höchste Priorität auf Weiterentwicklung und Optimierung unserer Rahmen. Vom Antrieb über sämtliche Anbauteile bis hin zum Thema Connectivity sehen wir mit unseren Partnern leidenschaftlich und innovativ in eine spannende Zukunft.