Die Bergwelt im Winter, an vielen Tagen ein Traum. Aus dem es in den allermeisten Fällen auch kein böses Erwachen gibt – Wenn man sich als Skitourengeher von Start weg Wissen und Können aneignet, sich vernünftig und entsprechend seiner Fähigkeiten „risikobewusst“ durchs Gelände bewegt.
Dr. Arno Studeregger und Martin Edlinger von den Natufreunden Österreich standen uns auch bei dieser Geschichte zur Seite, in der wir an die Sicherheitsbasics für Skitouren im Wintergelände kurz und prägnant zusammenfassen wollen. Wobei die angeführten acht Punkte vor allem eines sein sollen: Anreiz, sich selbst weiter mit der wichtigen Materie zu beschäftigen.
Skitouren gehen / Bild: Ulf Edlinger / Naturfreunde Österreich
1. TOURENPLANUNG
„Das größte und häufigste Sicherheitsproblem liegt in fehlender Tourenplanung“, meint Arno Studeregger. Die Tourenplanung beginnt mit einer groben Vorausplanung mehrere Tage vor Start. Hier geht es um das Festlegen und Studieren der Route oder darum, Schlüsselstellen herauszufinden und die Tourengruppe zusammenzustellen. Eine alternative Tour sollte man schon parat haben. Einen Tag vor Start werden Informationen über die Wetter-, Schnee- und Lawinenverhältnisse gesammelt (Feinplanung). Und am Tourentag gleicht man von Beginn weg immer wieder ab, ob die Verhältnisse vor Ort mit den Erwartungen übereinstimmen.
Selbsteinschätzung bei Skitouren / Bild: Marting Edlinger / Naturfreunde Österreich
2. SELBSTEINSCHÄTZUNG
Eine realistische Selbsteinschätzung der eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten ist enorm wichtig – aber gar nicht so einfach. Nicht selten sind Skitourengeher schon mehrere Jahre unterwegs, technisch gut und wähnen sich entsprechend als „fortgeschritten“; aber haben sich etwa als Teil einer Gruppe noch nie selbstständig mit Sicherheitsfragen beschäftigt. Einen Leitfaden zur einfachen Selbsteinschätzung hat ein Team rund um Edlinger und Studeregger vor zwei Jahren geschaffen: Das „W3“-Konzept teilt Skitourengeher in „Einsteiger“, „mäßig Fortgeschrittene“, „Fortgeschrittene“ und „Profis“ und definiert die vier Gruppen anhand von Fähigkeiten und Fertigkeiten. Und es werden klare Verhaltensempfehlungen für alle vier Gruppen ausgegeben, „wer wann wohin“ (=„W3“) gehen soll. Hier: ein Leitfaden zu den W3 Fragen.
Lawine / Bild: istock
3. LAWINENLAGEBERICHT
Gehört auch zur Tourenplanung – der Check des Lawinenlageberichts. Dieser ist pyramidenförmig aufgebaut: Ganz oben steht die Gefahrenstufe; je tiefer man in die Materie hinabtaucht, desto detaillierter wird die Information. Als Einsteiger ist es weder möglich noch notwendig, jedes Wort des Lageberichts zu verstehen und richtig interpretieren zu können. Mindestanforderung für alle, die auf Skitour gehen, ist es, die Bedeutung der Gefahrenstufen von 1 (geringe Gefahr) bis 5 (sehr große Gefahr) zu kennen und zu beachten. Unterschätzt wird oft die Lawinenwarnstufe 3 – diese bedeutet aber bereits „erhebliche Gefahr“. Hier muss man schon genau wissen, was man tut, will man noch risikobewusst unterwegs sein. Bei dieser Stufe passiert auch am meisten. Bei Warnstufe 4 („große Gefahr“) ist auch für Alpinprofis die Grenze, bei der eine Skitour überhaupt noch möglich ist, erreicht. Im Laufe des Lebens sollte man als Skitourensportler in der Lage sein, immer mehr nützliche Information aus dem Lawinenlagebericht zu ziehen.
Orientierung bei Skitour / Bild: Martin Edlinger / Naturfreunde Österreich
4. (NOTFALL-)AUSRÜSTUNG
Die ersten 15 Minuten entscheiden oft über Leben oder Tod nach einem Lawinenunglück. Für Bergretter ist es unmöglich, in so kurzer Zeit zur Unglücksstelle zu kommen. Die Kameradenhilfe entscheidet – und eine vollständige Notfallausrüstung ist dabei unverzichtbar:
- LVS-Gerät
- Schaufel
- Sonde
- Mobiltelefon mit eingespeicherter Notfallnummer (Euronotruf 112 oder Alpinnotruf 140)
- Erste-Hilfe-Paket
- Biwaksack
Lawinenairbags und ein Helm sind zusätzlich zu empfehlen. Aber die beste Ausrüstung nützt nichts, wenn man damit nicht umgehen kann – der Umgang gehört in Kursen gelernt und regelmäßig selbstständig trainiert.
Die Natur im Blick bei Skitouren / Bild: Alpinpolizei
5. DIE NATUR IM BLICK
Viele delegieren die Verantwortung an erfahrenere Gruppenmitglieder – und nehmen sich damit auch die Möglichkeit, sich zur Eigenverantwortung weiterzuentwickeln. Vom Startpunkt der Tour weg gilt es, immer wieder die Erwartungshaltung, die sich aus der Planung ergibt, mit den Verhältnissen vor Ort abzugleichen. Auch Einsteiger sollten zu jeder Zeit in der Lage sein, ihren eigenen Standort auf einer Karte (nicht nur mit GPS-Gerät) zu bestimmen. Und auch für die Grenze von 30 Grad Hangneigung, unter der nach menschlichem Ermessen keine Schneebrettlawinen abgehen, sollte man rasch ein Gefühl entwickeln. Je öfter man unterwegs ist, desto besser sollte es gelingen, die Zeichen der Natur zu deuten – wenn Augen und Ohren offen sind.
Skihochtouren / Bild: Martin Edlinger / Naturfreunde Österreich
6. VERHALTEN DER GRUPPE
Niemals allein ins freie Gelände gehen, heißt der Grundsatz. Gleichzeitig ergeben sich Gefahrensituationen auf Skitouren aber auch aus der Gruppe heraus: „Sowohl Überforderung als auch Unterforderung in einer Gruppen stellen Risikofaktoren dar“, weiß Studeregger. Es gilt auf Tour, nicht nur lawinenrelevante Gefahrenzeichen in der Natur, sondern auch das Verhalten von anderen Gruppenmitgliedern (z. B. deren Körpersprache) im Auge zu behalten. Im Idealfall sind Skitourengruppen homogen; sprich: Können und Wissensstand aller auf Tour sind auf einem ähnlichen Level. Dies ist freilich oft nicht möglich. Gehen unterschiedlich starke Sportler miteinander auf Tour, sollte die Tour von Vornherein auf das schwächste Gruppenmitglied ausgerichtet sein. Werden Probleme erst auf Tour erkannt, empfiehlt sich: Überforderte ins vordere Gruppendrittel holen, Pausen machen, so gut es geht unterstützen, eventuell die Tour abkürzen. Unterforderte mit Aufgaben wie Spuren und Orientierungsaufgaben betrauen.
Verschütteten Suche bei Lawine / Bild: Martin Edlinger / Naturfreunde Österreich
7. SICH SELBST HINTERFRAGEN
Sicherheitsrelevante Entscheidungen sollten möglichst objektiv und rational getroffen werden – sagt die Logik. In der Praxis ist es nicht möglich, Gefühle und das Unterbewusstsein aus der Entscheidungsfindung auszublenden. Bekanntes Gelände suggeriert beispielsweise automatisch Sicherheit. Sammelt man positive Erfahrungen, fühlt man sich sicherer – und die Risikobereitschaft steigt mit den gemachten Erfahrungen unbewusst an. Wer sich das bewusst macht, sich selbst hinterfragt, sich mit anderen austauscht und andere Meinungen zulässt, hat einen wichtigen Schritt zu mehr Sicherheit getan. Und im Zweifelsfall? Die sichere Seite wählen, einen Hang meiden oder sogar eine Tour abbrechen
Skitouren / Bild: Marting Edlinger / Naturfreunde Österreich
8. EIN LEBEN LANG DAZULERNEN
Der ideale Einstieg ins Skitourenleben führt in einen Kurs, wo die wichtigsten Sicherheitsbasics gelernt und in der Praxis geübt werden (siehe ab Seite 67). Aus den zuvor genannten Punkten ergibt sich aber auch ganz klar: Ausgelernt hat man nie. „Ein Leben lang dazulernen“ ist die Devise – selbstständig auf Touren, in Ausbildungskursen oder von Profibergführern, denen man sich auf Tour anschließt.