Jeder weiß, dass Reinhold Messner und Peter Habeler am 8. Mai 1978 die ersten Menschen ohne Flaschen-Sauerstoff am Mount Everest waren. Kundig fühlt sich, wer Robert Schauer als ersten Österreicher tituliert, der am 3. Mai 1978 am Dach der Welt stand. Nur Insider wissen, dass Wolfgang Nairz gemeinsam mit Schauer und Horst Bergmann „oben“ war. Und dass er die Expedition der Rekorde vor 40 Jahren geleitet hat.

Oliver Pichler


Sein nächstes Ziel? 100 Mal Nepal! Wolfgang Nairz war immer schon ein Mann großer Pläne. Auch vor 40 Jahren lag sein Ziel in Nepal. In 8848 m Höhe. Der Mount Everest. 1978 führte der Tiroler die Expedition an, bei der es Reinhold Messner und Peter Habeler erstmals ohne künstlichen Sauerstoff auf den Gipfel des höchsten Berges der Welt schafften. Und Nairz selbst war der 60. Mensch am Everest. Ehrensache, dass der Termin seines 100. Nepal-Trips bereits feststeht: November 2019. Zu seinem 75. Geburtstag.

Was fasziniert dich bis heute an den Bergen?
Früher war es mein Ehrgeiz, große schwere Touren zu machen und hohe Berge in den Alpen genauso wie in den Weltbergen zu besteigen. Abenteuerlust und alpinistisch etwas Besonderes leisten zu wollen, standen im Mittelpunkt. Heute sind Freude an der Natur und Lust an der Bewegung meine Motivation. Die Berge werden mit zunehmendem Alter „höher“. Deshalb bin ich abseits der Extreme unterwegs. Wichtig ist, dass man sich machbare Ziele steckt.

Was verstehst du unter „machbaren Zielen“?
Man soll seinen Glückshorizont so gestalten, dass man ihn erreichen kann. Dann wird man in den Bergen, egal, wie hoch und wie schwierig sie sind, Faszination, Glück und Begeisterung erleben. Man soll ambitioniert dabei sein, ohne sich zu überfordern oder sich zu großen Risiken auszusetzen.

„Zurück zum Everest 1978–2018“ - Bild von Künstlerin Maria Peters


Nairz hilft Nepal

„Bei Reinhold Messner und mir steht heute das Bewusstsein, Nepal etwas zurückgeben zu wollen, im Vordergrund“, betont Wolfgang Nairz. Mit der von ihm geleiteten NepalHilfe Tirol unterstützt er soziale Projekte. Zuletzt wurde ein vom Erdbeben 2015 zerstörtes Krankenhaus in Khunde mit Mitteln der Messner Mountain Foundation, der NepalHilfe Tirol und der Himalaya Foundation von Everest-Erstbesteiger Edmund Hillary neu aufgebaut.

„Zurück zum Everest 1978–2018“ nennt sich ein Bild der renommierten Tiroler Künstlerin Maria Peters. Es wurde in limitierter Auflage (100 Stück) aufgelegt und von den acht lebenden Expeditionsteilnehmern signiert. Nun wird es zugunsten der NepalHilfe Tirol für € 220,– angeboten.

Bestellung: alpinconsult@nairz.at

Hast du Lieblingsberge, auf die es dich immer wieder zieht?
Ich habe im Stubaital eine kleine private Alm. Sie ist mein Kraftplatz. Hier tanke ich Energie, finde Ruhe und Erholung. Und von Innsbruck aus sind die Nordkette sowie die Kalkkögel in den Stubaier Alpen meine Favoriten. 

Stichwort Massen am Berg und Modeberge?
Die Modeberge als plakative Sehnsuchtsziele sind nicht zu verteufeln. Es gibt sie in den Alpen genauso wie im Himalaya. Großglockner, Matterhorn oder Mont Blanc zählen dazu, wie auch der Everest. Sie haben enormen Zulauf. Doch wer sich Stille und Ruhe in den Bergen wünscht, findet sie mehr denn je. Abseits der großen Namen gibt es wunderschöne, einsame Gipfel. Und selbst am Glockner gibt es Zeiten, speziell im Frühjahr und Herbst, zu denen man alleine unterwegs ist.

Was möchtest du einem ambitionierten Bergsteiger mit auf den Weg geben?
Höhenbergsteigen ist ein logisches Ziel. Die Schritte dorthin so zu setzen, dass binnen kurzer Zeit auf den Patscherkofel der Großglockner folgt und darauf dann der Mont Blanc sowie der Kilimandscharo und dann gleich der Everest folgen müsse, halte ich für nicht richtig. Man soll sich langsam an die Berge herantasten und sie genießen. Auf Basis einer guten Ausbildung sollte man zuerst bei uns das Bergsteigen optimieren, um sich dann an die hohen Berge der Welt heranzuwagen.

Was unterscheidet das Bergsteigen am Everest von heute mit dem vor 40 Jahren?
Die Menge der Bergsteiger am Everest und die Dauer der Expeditionen haben sich deutlich verändert. Wir waren 1978 die einzige zugelassene Expedition, für die wir bereits sechs Jahre zuvor angesucht hatten. Heute ist das Basislager ein belebtes „Dorf“ mit über 1000 Menschen. Es gibt ein Internet-Café und eine Bäckerei. Wir waren damals von Ende Februar bis Anfang Juni unterwegs. Heute wird der Everest-Gipfelsieg binnen drei Wochen angeboten. Doch wer sich danach aus dem Basislager per Hubschrauber ausfliegen lässt, versäumt viel. Für uns war es nach Monaten im Eis eines der schönsten Erlebnisse, vom Basislager talwärts zu gehen und endlich wieder grüne Wiesen und blühende Pflanzen zu sehen.

Ist der Aufstieg heute leichter?
Heute sind zwischen Basislager und Gipfel Fixseile angebracht. Durch den so gefährlichen Khumbu-Eisfall sind es sogar zwei Routen – eine hinauf und eine herunter. Und alle Lager sind fix eingerichtet. Um Fixseile und Lager kümmern sich die Sherpas. Sie haben das Zepter am Everest in der Hand. Durch ihre Vorbereitungen soll möglichst vielen Bergsportlern der Weg zum Gipfel eröffnet werden. Das hat natürlich auch kommerzielle Gründe.

Wie viele der heutigen Everest-Gipfelsieger hätten es auch 1978 geschafft?
90 % der heutigen Everest-Bezwinger wären vor 40 Jahren nicht auf den Gipfel gekommen. Wir haben alle Lager selbst eingerichtet, selbst gespurt und, wo nötig, selbst Fixseile angebracht. Aufwand und Risiko waren damals viel größer. Es gab auch keinen Wetterbericht und die Kommunikation war schwierig. Funk war nur teilweise vorhanden. Funkgeräte waren 18 kg schwer. Und einen Brief oder eine Filmrolle aus dem Basislager nach Wien zu senden, dauerte im besten Fall sechs Tage.

Stark verändert hat sich die Ausrüstung.
Unsere von damals ist im Museum. Sie ist mit der Ausrüstung von heute nicht vergleichbar. Die Schuhe etwa waren 3-teilig. Ein äußerer Lederschuh, ein zweiter Lederschuh und innen ein Filzschuh. Sie wogen je Schuh rund 2 kg.

Wie lässt sich deine Rolle bei der Expedition 1978 beschreiben?
Seit 1972 (Manaslu 8163 m) haben wir als kleine Tiroler Gruppe gemeinsame Himalaya-Expeditionen unternommen. Weil ich damals studierte, wurde ich von den Kollegen zum Expeditionsleiter bestimmt. Für den Everest wurde unser kleines Stammteam aus Reinhold Messner, Oswald Oelz, Horst Bergmann, Josef Knoll und mir auf zwölf Bergsteiger erweitert. Besonders freut es mich, dass wir bis heute in enger Freundschaft verbunden sind. Deshalb waren wir acht noch lebenden Expeditionsteilnehmer im April gemeinsam noch einmal in Nepal.

Expedition der Rekorde

  • Dauer: Ende Februar – Anfang Juni 1978
  • 12 Teilnehmer, 20 Träger
  • Teilnehmer (9 davon am Gipfel): Horst Bergmann (†), Peter Habeler, Helmut Hagner,
    Reinhard Karl (†), Josef Knoll (†), Raimund Margreiter, Reinhold Messner, Wolfgang Nairz, Oswald Oelz, Franz Oppurg (†), Robert Schauer, Hanns Schell


Höhepunkte

  • 3. Mai: Horst Bergmann, Wolfgang Nairz und Robert Schauer als erste Österreicher am Gipfel. Nairz als erster Expeditionsleiter am Gipfel. Dreh des ersten 16-mm-Films am Gipfel durch Bergmann
  • 8. Mai: Reinhold Messner und Peter Habeler – die ersten Menschen ohne Flaschen-Sauerstoff am Gipfel
  • 11. Mai: Reinhard Karl – erster Deutscher am Gipfel
  • 13. Mai: Franz Oppurg – erster Solo-Gipfelsieg