Kurze Sprünge, großer Effekt. Wie reaktives Training die Achillessehne trainiert und dir damit hilft, dein Potenzial beim Laufen besser auszuschöpfen oder einfach mobiler durch den Alltag zu kommen.

Klaus Molidor
Klaus Molidor


Die Verheißungen des reaktiven Trainings sind groß: wenig Aufwand, große Wirkung. Und der Volksmund hat ihm auch noch einen lustigen Spitznamen gegeben, der gleich erklärt, worum es geht: Känguru-Training. Vereinfacht gesagt geht es dabei darum, mit kleinen Sprüngen das Laufpotenzial besser ausschöpfen zu können. „In der Leichtathletik ist das schon lange gang und gäbe“, erzählt Sportwissenschafter Kurt Steinbauer. Bis vor rund 15 Jahren allerdings dachte man, dass die Faszien, also das muskelumhüllende Bindegewebe wie Bänder und Sehnen, starres Gewebe seien. Dann ist man draufgekommen, dass darin große Elastizität steckt. „Sie haben die Struktur einer Feder“, erklärt Steinbauer. Und die kann man trainieren. Beim Laufen also vor allem die Achillessehne. Allerdings ist die wie eine starke Feder und es braucht viel Kraft sie zu dehnen. „Gehen alleine ist da zu wenig. Beim Laufen mit etwa 8 km/h fängt es an, sinnvoll zu werden, weil da das zwei- bis dreifache Körpergewicht wirkt.“ Beim Aufprall wird die Sehne vorgedehnt, beim Abdruck vom Boden zieht sie sich schnell wieder zusammen und das ergibt einen Katapulteffekt.

Den besten Trainingseffekt erreicht man bei der Achillessehne mit Sprüngen. Entweder aus geringer Höhe oder beim altbewährten Schnurspringen. „Dadurch verbessert sich die Funktion, der Verkürzungsreflex enorm“, sagt Steinbauer. Wichtig bei Sprüngen aus geringer Höhe ist, dass man gleich nach der Landung wieder wegspringt. Ohne die Kraft aus den Oberschenkeln zu Hilfe zu nehmen. „Entscheidend ist die Verweildauer auf dem Boden“, weiß Steinbauer und formuliert überspitzt: „Du solltest gefühlt schon wieder wegspringen, bevor du den Boden berührt hast.“ Als Faust­regel kann man sagen: Optimal ist ein kurzes Auftippen, bei dem die Ferse den Boden nicht berührt. Danach lässt sich auch die richtige Absprunghöhe ermitteln: Nur so wählen, dass man es noch schafft, die Ferse nicht aufzusetzen. Das wird am Anfang die letzte Stufe einer Treppe sein und sich mit fortschreitender Trainingsdauer steigern.

NUR SCHMERZFREI SPRINGEN
Ebenfalls wichtig: Zehn Sekunden springen, möglichst durchgehend, danach 30 Sekunden Pause machen und das alles zehn Mal wiederholen. „Wenn du das zwei- bis dreimal die Woche machst, hast du schon sehr viel getan“, sagt Steinbauer. Eine Grundvoraussetzung für das Sprungtraining gibt es aber: eine schmerzfreie Achillessehne. „Dann auf keinen Fall springen, sondern exzentrisch dehnen“, rät der Experte. Das heißt: Mit Zehen und Ballen auf eine Stufe stellen und die Ferse so weit es geht absenken und wieder hochziehen. Zur Verbesserung des Effekts auf einem Bein absenken und mit beiden Füßen wieder hochziehen. Und das Ganze in drei Sätzen zu je 15 Wiederholungen. Wer lange nichts getan hat oder vielleicht zu viel trainiert hat, sollte ebenfalls so beginnen. „Denn dann liegen die Faszien nicht schön geordnet nebeneinander, sondern sind verworren und verklebt und gleiten nicht so gut. Da muss man sie mit der Faszienrolle behandeln.“ Wie erkennt aber der Laie, ob seine Faszien womöglich verklebt sind? „Wer beim Ausrollen der Waden mit einer Faszienrolle Schmerzen stark spürt, hat sicher verklebte Faszien“, sagt Steinbauer. Dann sollte man vorsichtig und gezielt weiter ausrollen, dehnen, bis sich die Verklebungen lösen und die Sehne bereit für das Sprungtraining ist.

TRAINING FÜR ALLE
Nach zwölf Wochen regelmäßigem Känguru-Training stellt sich spürbar ein Erfolg ein. „Der Laufstil wird spritziger, die Schrittlänge verbessert sich, der Bodenkontakt wird kürzer – wenn man bewusst darauf achtet so zu laufen.“ Man wird also auch schneller. Allerdings: Diese reaktiven Einheiten ersetzen kein Intervalltraining. „Denn zum schnellen Laufen gehört auch die Koordination und die trainierst du eben nur beim Laufen“, sagt Steinbauer. Auch das Herz-Kreislauf-System muss dazu angeregt werden – das fällt beim reaktiven Training ebenso aus. „Du ersparst dir auch keine Einheiten im Bereich der Grundlagenausdauer.“

Eine klare Aussage trifft der Experte bei der Zielgruppe des reaktiven Trainings: alle. Also Läufer, die fünf, sechs Kilometer laufen ebenso wie solche mit Marathon-Ambitionen. Und dazu nicht nur Läufer: „Man hat auch bei älteren und nicht so fitten Personen festgestellt, dass reaktives Training die Mobilität deutlich verbessert“, sagt Steinbauer. Reaktives Training ist also eine zusätzliche Komponente. Für Läufer, die sich steigern möchten oder Menschen, die den Alltag mobiler und stabiler gestalten möchten. Und es ist das ganze Jahr über sinnvoll. Wenn man es richtig und in der passenden Intensität betreibt. Also maximal jeden zweiten Tag. „Direkt am Tag nach dem Training braucht die Sehne Regeneration“, erklärt Steinbauer. „Optimal ist es, zuerst das reaktive Training durchzuführen, danach Intervalle zu laufen und einen Tag Pause einzustreuen.“ Damit hilft man sich beim Laufen selbst am besten auf die Sprünge. Dann gibt es vielleicht doch das eine oder andere Känguru in Austria …