Der Wind bläst aus ungewohnter Richtung. Von Süden scheucht er dunkle Wolken in Richtung Athen, treibt das Meer gegen die Küste, hinein in die Bucht von Vouliagmeni, wo mehr als 30 junge Männer im Wasser treiben - und das tun, wofür die griechische Hauptstadt nicht unbedingt bekannt ist: Surfen.
Montagvormittag. Die Wellen haben einen Großteil des Strandes überspült, die Sonnenliegen versinken im nassen Sand. Christos Patrinos hat gerade sein Surfbrett abgeladen, gleich geht's aufs Wasser. „Fantastisch", freut er sich und lässt den Blick schweifen: „Solche Bedingungen haben wir selten hier, vielleicht fünf oder sechs Mal im Jahr ..."
Der 22-jährige Student hat die erste Vorlesung der Woche noch mitgenommen, nun verpasst er den zweiten Kurs des Tages, aber das ist angesichts dieser­ Wellen zweitrangig. Er hat seine Sachen gepackt und ist raus nach Vouliagmeni gefahren, einen Vorort etwa 20 Kilometer südlich des Athener Stadtzentrums, der dafür bekannt ist, dass seine betuchten Bewohner nicht ganz so hart von der Krise betroffen sind.
Wenigstens heute kriegen sie mal was ab - auch wenn's nur das aufgewühlte Meer ist.

Spass gegen den Frust

„Unser Land hat große Probleme. Aber gerade in solchen Zeiten ist es wichtig, trotzdem seinen Spaß zu haben", sagt Christos. „Ich studiere Schiffsbau, ein solider Beruf. Aber ich kann froh sein, dass ich an der Uni bin und noch nicht nach einem Job als Ingenieur suchen muss."
Er streckt den Daumen hoch, packt sein Brett und sticht in die stürmische See, wo sich dutzende von Surfern und Stand-Up-Paddlern im graugrünen Wasser am temporären City-Spot erfreuen. Der Wind drückt das Meer einen guten Kilometer weit in die hufeisenförmige Bucht, die Wellen rollen im Takt weniger Sekunden heran und brechen auf der gesamten Breite des Strandes.
Es wird unermüdlich gepaddelt, immer wieder stehen drei oder vier Jungs auf der gleichen Welle. Dabei kommt es zu Situationen, die an Spots in Kalifornien oder Australien augenblicklich zu handfesten Auseinandersetzungen führen würden. Nicht so in Athen. Die Surfer rauschen unkontrolliert ineinander, verschwinden im Weißwasser und rappeln sich wieder auf ihre Bretter. Ohne Geschrei, ohne gegenseitige Schuldzuweisungen. Und das in Zeiten, die man auch ohne sechs Windstärken als stürmisch bezeichnen muss.