Volksleiden "Rückenschmerz": Im 2. Teil unserer Serie decken wir einen der Hauptverursacher auf: Es ist der Stress, der uns im wahrsten Sinn des Wortes im Nacken bzw. im Kreuz sitzt! Was uns gleich zur gar nicht wundersamen Heilung vieler und oft extremer Schmerzen bringt: Ein gesunder Rücken beginnt im Kopf – und endet in den Muskeln.

Von Linda Freutel

Fast 90 Prozent der Österreicher kennen Rückenschmerzen, quasi jeder hat das Kreuz mit dem Kreuz schon einmal selbst (er)tragen müssen. Es ist aber nicht nur diese Tatsache, um die wir spätestens seit dem 1. Teil unserer Rückenserie wissen. Wir haben im vorangegangenen Artikel Rückenschmerzen: Das harmlose Volksleiden noch etwas anderes gelernt. Nämlich, dass vieles beim „Volksleiden Rückenschmerz" halb so wild ist, wie es zunächst scheinen mag. Nochmals zur Erinnerung: Studien und medizinische Erfahrungsberichte zeigen deutlich, dass nur in den seltensten Fällen ernsthafte oder gar dauerhafte Schädigungen und Erkrankungen der Grund für Rückenschmerzen sind – nein, Verspannungen, Bewegungsmangel und statische Überlastungen sind die häufigsten – und vor allem behebbaren – Ursachen!

Gut, so weit waren wir schon in der letzten Ausgabe. Was zwar per se eine gute Nachricht ist, aber nichts daran ändert, dass das Kreuz den Betroffenen trotzdem verflixt weh tut! Deshalb wollen wir in dieser Folge die Schmerzen nicht wegschreiben, sondern euch zeigen, wie man sie bekämpft.

Oder, um es mit den Worten des Mediziners zu sagen, der uns diesmal als Ratgeber zur Seite steht: „Das Schicksal seines Rückens hat jeder selbst in der Hand", lautet das Credo des Wirbelsäulenexperten und Sportmediziners Dr. Georg Fritsch aus Schladming.

Dr. Georg Fritsch / Bild: Privat

DER EXPERTE

DR. GEORG FRITSCH ist nicht nur selbst begeisterter Sportler und Bergsteiger, sondern als Arzt für Allgemeinmedizin und Sportmedizin auch medizinischer Experte auf diesem Gebiet.

Kontakt: Langegasse 384, 8970 Schladming

Tel.: 0 36 87/226 65

Web: www.med-aktiv.at


DEN SCHMERZ IM NACKEN
Tauchen wir also ein in diese breit aufgestellte Schmerzwelt: Statistiken zufolge sind Beschwerden im Bereich des Nackens und des unteren Rückens am häufigsten. Dass ausgerechnet diese Stellen am meisten schmerzen, ist für Dr. Fritsch kein Zufall: „Das sind einfach typische Sollbruchstellen. Nacken und Schultern sind die beweglichen Teile der Wirbelsäule. Dass es hier zu Verrenkungen, Verspannungen, Blockaden und Verschleiß kommt, liegt auf der Hand. Ähnliches gilt für den unteren Teil des Rückens: Er ist zwar aus anatomischer Sicht weniger beweglich, aber durch typische, oft falsche Haltungen im Alltags meist stark belastet."

Beschwerden äußern sich in einer eingeschränkten Beweglichkeit oder in einem starken Ziehen bis hin zu einem schmerzenden Stechen. Auch eine Ausdehnung der Symptome ist nicht selten – Kopfschmerzen oder gar Übelkeit können die Folgen von Kreuzproblemen sein, wenn entsprechende Nervenenden in Mitleidenschaft gezogen werden und den Schmerz weiter tragen.

Wirklich bedenklich werden Nackenschmerzen oder überhaupt Schmerzen im gesamten Rückenbereich aber erst dann, wenn sie länger als sechs Wochen andauern, oder aber sogenannte absolute Warnzeichen vorliegen, sagt Dr. Georg Fritsch: „Lähmungen, Gefühllosigkeit, Blasen- und Mastdarmstörungen beim Harn- oder Wasserlassen oder wirklich unaushaltbar massive Schmerzen sind unbedingt ernst zu nehmen. Wenn ein Betroffener solche Warnsymptome an sich bemerkt, muss er umgehend einen Arzt aufsuchen".

Ein Fachmann ist klarerweise auch dann zu konsultieren, wenn ein Unfall oder ein ähnliches Trauma den Rückenschmerz verursacht hat, und natürlich spricht bei jeglicher Art von Schmerzen grundsätzlich nichts gegen einen Arztbesuch – „gerade aber beim Thema Rückenschmerz“, sagt der Mediziner, „kann man den Ursachen meist selbst auf den Grund gehen – und diese dann sogar selbst beheben!“

VOLL VERSPANNT!
Die häufigste Schmerzursache, vor allem bei Nackenschmerzen, sind Verspannungen. Dr. Fritsch erklärt: „Verspannt zu sein bedeutet, dass ein bestimmter Muskel zu lange an- oder sogar übergespannt wurde. Dadurch entsteht eine Art muskuläre Verkrampfung, in dessen Folge sich das Gewebe zusammenzieht und dadurch nicht mehr ausreichend mit Nährstoffen versorgt wird." Der Muskel steht praktisch auf seinem eigenen Versorgungsschlauch.
Hält dieser Zustand längere Zeit an, bilden sich zusätzlich an der betreffenden Stelle Schmerzstoffe, die die Spannung weiter steigern – schon ist der Teufelskreis aus Schmerz und Verspannung perfekt.

Der Auslöser der ganzen Misere ist in den meisten Fällen – eine andauernd falsche Haltung. Mediziner sprechen hierbei von statischen Überlastungen. Beispiele aus der Praxis kennt jeder: das lange, monotone Starren auf den PC-Monitor, das eingeengte Sitzen hinterm Steuer, Nächte auf falschen Matratzen oder in einer ungünstigen Liegeposition, oder auch nur das dauernde einseitige Belasten etwa durch das Tragen schwerer Taschen.

Ja sogar unser Kopf trägt eine wesentliche, leider oft unterschätzte Rolle zur körperlichen Verspanntheit bei. Angespannt sind wir schließlich nicht nur im physischen, sondern vor allem auch im psychischen Sinne. Wer mentalen Stress hat, setzt damit automatisch auch eine körperliche Reaktionskette in Gang – und damit den nächsten Teufelskreis. Im Stressmodus läuft nämlich ein aus der Urzeit gelerntes Programm ab: Der Blutdruck steigt, die Gefäße verengen sich, die Verdauung schaltet auf Pausenmodus, und die Muskeln werden (wenn auch nicht bewusst) im Stressmodus zum „Kämpfen und Fliehen" angespannt. Die Atmung wird flacher, der Bauch wird fest, um die inneren Organe zu schützen. Sogar die Kiefermuskulatur spannt an, um zur Verteidigung besser zubeißen zu können.

Doch im Vergleich zu Urzeiten löst sich diese Spannung nicht wieder auf, wenn der Tiger oder der Bär verschwunden ist. Stress ist heute zum Dauerbrenner geworden – pausenlose Erreichbarkeit, Termindruck und die Hektik des Alltags sind im buchstäblichen Sinn ein einziger Krampf. Verspannungen? Vorprogrammiert!

DIE BESTE MEDIZIN
Um eine solch krampfhafte Anspannung zu lösen, gibt es nur ein Rezept: Dauerhafte und regelmäßige Ent-Spannung! Klingt simpel. Und das ist es auch. Viele Beschwerden sind viel leichter zu beheben, als es die Betroffenen ob ihres starken Leidens vermuten. „In den meisten Fällen muss man gar nicht viel tun – man muss es nur regelmäßig tun. Das ist das ganze Geheimnis", sagt Dr. Georg Fritsch.

Verspannungsprävention, aber auch deren Behebung ist nicht mit einer schnellen Tablette oder kurzen Massage getan. „Medikamente können kurzfristig durchaus eine zuverlässige Linderung schaffen und auch unterstützend den Weg zur Behandlung frei machen. Tabletten ersetzen aber kein dauerhaftes und vor allem eigeninitiatives Mitwirken des Betroffenen."

„TURNE BIS ZUR URNE"
Mentales Abbauen von Stress ist dabei nur die eine Komponente dieser „Eigeninitiative". Sich den Stress im buchstäblichen Sinne aus dem Nacken zu nehmen, setzt vor allem regelmäßige Lockerung des Gewebes voraus. Und das funktioniert noch immer am besten durch altbekannte Entspannungsklassiker wie Wärme, Massagen und vor allem Bewegung.

Dass Sport eine der wichtigsten Präventiv-, aber auch Linderungsmaßnahmen bei Rückenschmerzen jeglicher Art ist, war ja bereits das Fazit im 1. Teil unserer Rücken-Serie. Und auch Wirbelsäulenspezialist Dr. Fritsch bekräftigt hier die einhellige Meinung der modernen Medizin. „Turne bis zu Urne", zitiert der Schladminger Mediziner seinen berühmten Kollegen Professor Dietrich Grönemeyer. „Durch regelmäßiges Training kommt es nicht nur zu einer muskulären Stabilisierung und damit zu einer Entlastung des Skeletts, der Bänder und Sehnen. Auch die Durchblutung und damit der Abbau von Schlack- und Schmerzstoffen im Gewebe wird gefördert und das Level der Stresshormone im Körper gesenkt."

Daran führt kein Weg vorbei: Der krampfhafte Knoten, den eine Verspannung im Gewebe erzeugt, kann nur durch Bewegung aufgesprengt werden.

AKTIVITÄT IM ALLTAG
Bewegung als wichtigste Verspannungs- und damit Rückenschmerzlinderung und Prävention meint aber gar nicht schweißtreibendes Training, sondern grundsätzlich jede Art der alltäglichen Bewegung. „Nur Stillstand ist der Tod. Diese Redewendung ist in diesem Fall durchaus wörtlich zu nehmen", sagt unser Experte, und meint damit: Statische, also über einen langen Zeitraum gleichbleibende Belastungen sind die Hauptursache von Spannungsschmerzen! „Entgegenwirken kann man ihnen nur mit Dynamik. Mehr Aktivität im Alltag muss das Motto für uns alle sein."

Diese Aktivität beginnt nicht nur mit dem berühmten Tausch von Fahrrad gegen Auto oder Treppe gegen Lift, sondern sogar schon mit viel kleineren Maßnahmen, die große Wirkung bringen:

  • Reckt und streckt euch immer wieder zwischendurch – am Arbeitsplatz, in der Schule, im Haushalt, beim Fernsehen.
  • Steht beim Telefonieren auf und geht ein paar Schritte.
  • Macht auch am Arbeitsplatz leichte, gymnastische Bewegungsübungen.
  • Und vor allem: Wechselt regelmäßig eure Sitzposition. „Auch beim Sitzen kann man dynamisch und beweglich bleiben“, sagt Georg Fritsch, „denn tatsächlich ist es gar nicht so sehr das lange, sondern das starre Sitzen, das Rückenbeschwerden verursacht.“


DIE ANGST VOR DEM VORFALL
Der zweite große „Nagel“ im Kreuz schlägt unterhalb der Gürtellinie zu –der untere Teil des Rückens macht mindestens ebenso vielen zu schaffen wie der Nacken. Aber auch hier gilt die positive Botschaftt: Nur in den wenigsten Fällen kommt es zu einer schwerwiegenden Diagnose. „Auch der Schmerz im unteren Rückenbereich“, weiß Dr. Fritsch, „hat seinen Ursprung meist in Reizzuständen der Muskeln und Sehnen, in Verkrampfungen und Verhärtungen der Muskulatur sowie in den Bändern und im Gelenksapparat.“ Mit einem Wort: Total verspannt!

Typisches Beispiel von Fehlinterpretation: Ein „Bandscheibenvorfall“, wie er von Schmerz-Betroffenen oft vermutet wird, bringt weniger Beschwerden in der Wirbelsäule selbst als vielmehr einen ins Bein ausstrahlenden Schmerz. Fritsch: „Dass ein Bandscheibenvorfall ausschließlich und gezielt Kreuzschmerzen verursacht, ist selten. Kommen allerdings neurologische Ausfälle mit sensiblen Störungen, wie zum Beispiel ein Taubheitsgefühl, oder motorische Ausfälle wie Lähmung oder Kraftminderung, hinzu, dann ist natürlich umgehend ein Arzt aufzusuchen.“


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